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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Opfern an verschiedenen Stätten feiern: den ccipitolinischen und Triumphal-
Gottheiten findet sich dabei auch Par gesellt, eine Hinweisung auf die
prahlerische Schließung des Janustempels; sowie Felicitas und Clementia,
ein leichtverständliches Compliment. Endlich folgt zu derselben Gelegenheit
noch ein specielles Opferfest der Brüder im neuen Augustustempel an die
vergötterten Glieder der Kaiserfamilie, zu welchen außer August, Livia und
Claudius die göttliche Poppäa, Nero's erste Gemahlin, sowie die göttliche
Jungfrau Claudia, ihr im zarten Alter von vier Monaten verstorbenes Kind,
endlich der Genius des Kaisers und der weibliche Genius seiner zweiten
Gattin Messallina gehören. -- In dasselbe an loyalen Freuden reiche Jahr
fällt auch, wie wir jetzt mit Bestimmtheit erfahren, die Verschwörung des
Vinicius gegen den Kaiser, welche den Urvater Gelegenheit gibt, den Stadt¬
göttern und der Providentia "wegen der Entdeckung ruchloser Anschläge"
für des geheiligtesten Kaisers Wohl und Unversehrtheit, sowie für die ewige
Dauer des Reichs Opfer und Gelübde zu bringen.

Besonders deutlich läßt sich die Wiederspiegelung der Ereignisse, die uns
die Schriftsteller berichten, in unsern Acten bei dem Jahr 69 verfolgen, als
nach Nero's jähem Sturz der Thron zu einem Beutestücke in den Händen
der concurrirenden Heerführer Galba, Otho und Vitellius ward, bis ihn mit
Vespasians Eintritt die slavische Dynastie behauptete. Ein buntes Jahr
voller Ohnmacht und Verwirrung, das an die bequeme gedankenlose Servi-
lität harte Zumuthungen stellte. Die Ironie der Geschichte treibt hier ihr
Spiel und hat Tacitus Historien inspirirt: auch unsere Arvalenprotokolle, in
welchen dieses Jahr allein zwei Tafeln beanspruchte, zeigen in dem erhaltenen
Stück (von Januar bis Juli) noch einige Spuren davon. Beim Jahres¬
beginn ist der alte Galba noch im Besitz der usmpirten Macht; er ist zu¬
gleich Magister des Arvalencollegs. und der Bruder seines Rivalen Otho
spricht als Promagister am dritten Januar die üblichen Jahresgelübde für
das Heil des Kaisers und seine Erhaltung bis zum nächsten 3. Januar.
Doch scheinen solche Gelübde den Kaiser nicht über die schon damals in Volk
und Heer glimmende Unzufriedenheit getäuscht zu haben: er sucht seine ge¬
sunkene Popularität im letzten Moment durch Adoption des trefflichen Cal-
purnius Piso aufzubessern, den er zum Cäsar macht und zu seinem Nach¬
folger bestimmt. Am 10. Januar -- Tacitus gedenkt des Tages, an dem das
Volk mit Schrecken in Regen und Gewitter den göttlichen Zorn erkannte --
fand die übereilte Ceremonie und ihre Verkündigung im Lager statt. Am
selben Tag opferten die Arvalbrüder für die Adoption des Servius Sulpicius
Galba Cäsar -- so heißt Piso jeht -- einer Reihe von Gottheiten, darunter
auch der Providentia und Securitas. Fromme Wünsche: nur fünf Tage,
und Galba und Piso sind getödtet, von einer Handvoll Meuterer aus hat


62*

Opfern an verschiedenen Stätten feiern: den ccipitolinischen und Triumphal-
Gottheiten findet sich dabei auch Par gesellt, eine Hinweisung auf die
prahlerische Schließung des Janustempels; sowie Felicitas und Clementia,
ein leichtverständliches Compliment. Endlich folgt zu derselben Gelegenheit
noch ein specielles Opferfest der Brüder im neuen Augustustempel an die
vergötterten Glieder der Kaiserfamilie, zu welchen außer August, Livia und
Claudius die göttliche Poppäa, Nero's erste Gemahlin, sowie die göttliche
Jungfrau Claudia, ihr im zarten Alter von vier Monaten verstorbenes Kind,
endlich der Genius des Kaisers und der weibliche Genius seiner zweiten
Gattin Messallina gehören. — In dasselbe an loyalen Freuden reiche Jahr
fällt auch, wie wir jetzt mit Bestimmtheit erfahren, die Verschwörung des
Vinicius gegen den Kaiser, welche den Urvater Gelegenheit gibt, den Stadt¬
göttern und der Providentia „wegen der Entdeckung ruchloser Anschläge"
für des geheiligtesten Kaisers Wohl und Unversehrtheit, sowie für die ewige
Dauer des Reichs Opfer und Gelübde zu bringen.

Besonders deutlich läßt sich die Wiederspiegelung der Ereignisse, die uns
die Schriftsteller berichten, in unsern Acten bei dem Jahr 69 verfolgen, als
nach Nero's jähem Sturz der Thron zu einem Beutestücke in den Händen
der concurrirenden Heerführer Galba, Otho und Vitellius ward, bis ihn mit
Vespasians Eintritt die slavische Dynastie behauptete. Ein buntes Jahr
voller Ohnmacht und Verwirrung, das an die bequeme gedankenlose Servi-
lität harte Zumuthungen stellte. Die Ironie der Geschichte treibt hier ihr
Spiel und hat Tacitus Historien inspirirt: auch unsere Arvalenprotokolle, in
welchen dieses Jahr allein zwei Tafeln beanspruchte, zeigen in dem erhaltenen
Stück (von Januar bis Juli) noch einige Spuren davon. Beim Jahres¬
beginn ist der alte Galba noch im Besitz der usmpirten Macht; er ist zu¬
gleich Magister des Arvalencollegs. und der Bruder seines Rivalen Otho
spricht als Promagister am dritten Januar die üblichen Jahresgelübde für
das Heil des Kaisers und seine Erhaltung bis zum nächsten 3. Januar.
Doch scheinen solche Gelübde den Kaiser nicht über die schon damals in Volk
und Heer glimmende Unzufriedenheit getäuscht zu haben: er sucht seine ge¬
sunkene Popularität im letzten Moment durch Adoption des trefflichen Cal-
purnius Piso aufzubessern, den er zum Cäsar macht und zu seinem Nach¬
folger bestimmt. Am 10. Januar — Tacitus gedenkt des Tages, an dem das
Volk mit Schrecken in Regen und Gewitter den göttlichen Zorn erkannte —
fand die übereilte Ceremonie und ihre Verkündigung im Lager statt. Am
selben Tag opferten die Arvalbrüder für die Adoption des Servius Sulpicius
Galba Cäsar — so heißt Piso jeht — einer Reihe von Gottheiten, darunter
auch der Providentia und Securitas. Fromme Wünsche: nur fünf Tage,
und Galba und Piso sind getödtet, von einer Handvoll Meuterer aus hat


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[0499] Opfern an verschiedenen Stätten feiern: den ccipitolinischen und Triumphal- Gottheiten findet sich dabei auch Par gesellt, eine Hinweisung auf die prahlerische Schließung des Janustempels; sowie Felicitas und Clementia, ein leichtverständliches Compliment. Endlich folgt zu derselben Gelegenheit noch ein specielles Opferfest der Brüder im neuen Augustustempel an die vergötterten Glieder der Kaiserfamilie, zu welchen außer August, Livia und Claudius die göttliche Poppäa, Nero's erste Gemahlin, sowie die göttliche Jungfrau Claudia, ihr im zarten Alter von vier Monaten verstorbenes Kind, endlich der Genius des Kaisers und der weibliche Genius seiner zweiten Gattin Messallina gehören. — In dasselbe an loyalen Freuden reiche Jahr fällt auch, wie wir jetzt mit Bestimmtheit erfahren, die Verschwörung des Vinicius gegen den Kaiser, welche den Urvater Gelegenheit gibt, den Stadt¬ göttern und der Providentia „wegen der Entdeckung ruchloser Anschläge" für des geheiligtesten Kaisers Wohl und Unversehrtheit, sowie für die ewige Dauer des Reichs Opfer und Gelübde zu bringen. Besonders deutlich läßt sich die Wiederspiegelung der Ereignisse, die uns die Schriftsteller berichten, in unsern Acten bei dem Jahr 69 verfolgen, als nach Nero's jähem Sturz der Thron zu einem Beutestücke in den Händen der concurrirenden Heerführer Galba, Otho und Vitellius ward, bis ihn mit Vespasians Eintritt die slavische Dynastie behauptete. Ein buntes Jahr voller Ohnmacht und Verwirrung, das an die bequeme gedankenlose Servi- lität harte Zumuthungen stellte. Die Ironie der Geschichte treibt hier ihr Spiel und hat Tacitus Historien inspirirt: auch unsere Arvalenprotokolle, in welchen dieses Jahr allein zwei Tafeln beanspruchte, zeigen in dem erhaltenen Stück (von Januar bis Juli) noch einige Spuren davon. Beim Jahres¬ beginn ist der alte Galba noch im Besitz der usmpirten Macht; er ist zu¬ gleich Magister des Arvalencollegs. und der Bruder seines Rivalen Otho spricht als Promagister am dritten Januar die üblichen Jahresgelübde für das Heil des Kaisers und seine Erhaltung bis zum nächsten 3. Januar. Doch scheinen solche Gelübde den Kaiser nicht über die schon damals in Volk und Heer glimmende Unzufriedenheit getäuscht zu haben: er sucht seine ge¬ sunkene Popularität im letzten Moment durch Adoption des trefflichen Cal- purnius Piso aufzubessern, den er zum Cäsar macht und zu seinem Nach¬ folger bestimmt. Am 10. Januar — Tacitus gedenkt des Tages, an dem das Volk mit Schrecken in Regen und Gewitter den göttlichen Zorn erkannte — fand die übereilte Ceremonie und ihre Verkündigung im Lager statt. Am selben Tag opferten die Arvalbrüder für die Adoption des Servius Sulpicius Galba Cäsar — so heißt Piso jeht — einer Reihe von Gottheiten, darunter auch der Providentia und Securitas. Fromme Wünsche: nur fünf Tage, und Galba und Piso sind getödtet, von einer Handvoll Meuterer aus hat 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/499>, abgerufen am 22.07.2024.