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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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zugeben. Der lange als hoffnungslos betrachteten Aufgabe, aus der Fülle
uns bekannter Consulnamen die Fasten der Kaiserzeit herzustellen, hat erst der
glänzende Scharfsinn und die ausgedehnte Quellenkenntniß Bartolommeo
Borghefi's, des Ministers und Gelehrten von San Marino, gerecht zu werden
versucht: aus seinem Nachlaß ist in nächster Zeit die Veröffentlichung der¬
selben durch Mommsen und Herzen zu erwarten. Die Arvalenacten, welche
mit großer Genauigkeit die Consulnamen den betreffenden Feierlichkeiten vor¬
anstellen, liefern für diese Frage ein reiches Material, mit dessen Hilfe sich
Borghesi's Combinationen vielfach bestätigen, häufig auch berichtigen und
vervollständigen lassen.

Das Hauptinteresse dieser Acten knüpft sich indessen immer an die
Bereicherungen, welche die Chronik der Kaiser und ihrer Familien aus ihnen
empfängt. Geburth- und Todestage in dem kaiserlichen Hause, Vergötterungen
der Mitglieder, Verwandtenmorde, ferner Aemterübernahmen Seitens des
Kaisers, dessen Reisen, Rückkehr und feierliche Einzuge in Rom, Kriegszüge
und Siege des Herrschers oder seiner Generale, Triumphfeste, Einweihung
von Heiligthümern erscheinen hier theils firirt, theils überhaupt zuerst
genannt; und manche irrige Hypothese wird dadurch berichtigt. So, um
nur aufs Gerathewohl herauszugreifen, wird als Livia's, der Gattin August's,
Geburtstag nicht der 28. September wie man bisher annahm, sondern der
29. Januar erwiesen, als der des Germanicus der 25. Mai; die Verschwörung
des Lentulus Gätulieus gegen Caligula fällt in das Jahr 40, nicht 39,
Caracallas Sieg über die Germanen und dritter Jmperatortitel nicht 214,
sondern schon 213: bei dieser Gelegenheit wird die Ueberschreitung des limos
Rlrastig-c;, unsres "Pfahlgrabens" zwischen Donau und Rhein. Gegenstand
besonderer Feier. Zu einer Chronik der römischen Kaiser, wie sie für die
deutsche Kaisergeschichte die Rankesche Schule unternommen hat, würden
unsere Tafeln zahlreiche Bausteine liefern können.

Und für den Geschichtsfreund und Kenner jener Periode enthalten diese
Acten mehr als trockene Notizen. Diese alljährlich registrieren Feste, Gebete
und Spenden, die mit regelmäßigem Taktschlag die gewöhnlichen und unge¬
wöhnlichen Vorfälle im Palast begleiten,-haben auch ihr culturhistorisches
Interesse. Sie liefern uns authentische Züge zu dem Bilde, das wir uns
von dem Zustand der damaligen Gesellschaft zu machen berechtigt sind, von
der tiefen Verkommenheit, dem Zerfall mit aller politischen und religiösen
Tradition, dem Mandarinenthum der Vornehmen, dem "Stürzen in die
Knechtschaft", wie es Tacitus nennt, der Stumpfheit des Volkes, der völligen'
Unfruchtbarkeit der edleren Lebenskräfte, wie sie den Absolutismus zu be¬
gleiten pflegt. Was uns Tacitus mit gewaltigen Strichen schildert, erhält


Grenzboten III. 18VN, 62

zugeben. Der lange als hoffnungslos betrachteten Aufgabe, aus der Fülle
uns bekannter Consulnamen die Fasten der Kaiserzeit herzustellen, hat erst der
glänzende Scharfsinn und die ausgedehnte Quellenkenntniß Bartolommeo
Borghefi's, des Ministers und Gelehrten von San Marino, gerecht zu werden
versucht: aus seinem Nachlaß ist in nächster Zeit die Veröffentlichung der¬
selben durch Mommsen und Herzen zu erwarten. Die Arvalenacten, welche
mit großer Genauigkeit die Consulnamen den betreffenden Feierlichkeiten vor¬
anstellen, liefern für diese Frage ein reiches Material, mit dessen Hilfe sich
Borghesi's Combinationen vielfach bestätigen, häufig auch berichtigen und
vervollständigen lassen.

Das Hauptinteresse dieser Acten knüpft sich indessen immer an die
Bereicherungen, welche die Chronik der Kaiser und ihrer Familien aus ihnen
empfängt. Geburth- und Todestage in dem kaiserlichen Hause, Vergötterungen
der Mitglieder, Verwandtenmorde, ferner Aemterübernahmen Seitens des
Kaisers, dessen Reisen, Rückkehr und feierliche Einzuge in Rom, Kriegszüge
und Siege des Herrschers oder seiner Generale, Triumphfeste, Einweihung
von Heiligthümern erscheinen hier theils firirt, theils überhaupt zuerst
genannt; und manche irrige Hypothese wird dadurch berichtigt. So, um
nur aufs Gerathewohl herauszugreifen, wird als Livia's, der Gattin August's,
Geburtstag nicht der 28. September wie man bisher annahm, sondern der
29. Januar erwiesen, als der des Germanicus der 25. Mai; die Verschwörung
des Lentulus Gätulieus gegen Caligula fällt in das Jahr 40, nicht 39,
Caracallas Sieg über die Germanen und dritter Jmperatortitel nicht 214,
sondern schon 213: bei dieser Gelegenheit wird die Ueberschreitung des limos
Rlrastig-c;, unsres „Pfahlgrabens" zwischen Donau und Rhein. Gegenstand
besonderer Feier. Zu einer Chronik der römischen Kaiser, wie sie für die
deutsche Kaisergeschichte die Rankesche Schule unternommen hat, würden
unsere Tafeln zahlreiche Bausteine liefern können.

Und für den Geschichtsfreund und Kenner jener Periode enthalten diese
Acten mehr als trockene Notizen. Diese alljährlich registrieren Feste, Gebete
und Spenden, die mit regelmäßigem Taktschlag die gewöhnlichen und unge¬
wöhnlichen Vorfälle im Palast begleiten,-haben auch ihr culturhistorisches
Interesse. Sie liefern uns authentische Züge zu dem Bilde, das wir uns
von dem Zustand der damaligen Gesellschaft zu machen berechtigt sind, von
der tiefen Verkommenheit, dem Zerfall mit aller politischen und religiösen
Tradition, dem Mandarinenthum der Vornehmen, dem „Stürzen in die
Knechtschaft", wie es Tacitus nennt, der Stumpfheit des Volkes, der völligen'
Unfruchtbarkeit der edleren Lebenskräfte, wie sie den Absolutismus zu be¬
gleiten pflegt. Was uns Tacitus mit gewaltigen Strichen schildert, erhält


Grenzboten III. 18VN, 62
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[0497] zugeben. Der lange als hoffnungslos betrachteten Aufgabe, aus der Fülle uns bekannter Consulnamen die Fasten der Kaiserzeit herzustellen, hat erst der glänzende Scharfsinn und die ausgedehnte Quellenkenntniß Bartolommeo Borghefi's, des Ministers und Gelehrten von San Marino, gerecht zu werden versucht: aus seinem Nachlaß ist in nächster Zeit die Veröffentlichung der¬ selben durch Mommsen und Herzen zu erwarten. Die Arvalenacten, welche mit großer Genauigkeit die Consulnamen den betreffenden Feierlichkeiten vor¬ anstellen, liefern für diese Frage ein reiches Material, mit dessen Hilfe sich Borghesi's Combinationen vielfach bestätigen, häufig auch berichtigen und vervollständigen lassen. Das Hauptinteresse dieser Acten knüpft sich indessen immer an die Bereicherungen, welche die Chronik der Kaiser und ihrer Familien aus ihnen empfängt. Geburth- und Todestage in dem kaiserlichen Hause, Vergötterungen der Mitglieder, Verwandtenmorde, ferner Aemterübernahmen Seitens des Kaisers, dessen Reisen, Rückkehr und feierliche Einzuge in Rom, Kriegszüge und Siege des Herrschers oder seiner Generale, Triumphfeste, Einweihung von Heiligthümern erscheinen hier theils firirt, theils überhaupt zuerst genannt; und manche irrige Hypothese wird dadurch berichtigt. So, um nur aufs Gerathewohl herauszugreifen, wird als Livia's, der Gattin August's, Geburtstag nicht der 28. September wie man bisher annahm, sondern der 29. Januar erwiesen, als der des Germanicus der 25. Mai; die Verschwörung des Lentulus Gätulieus gegen Caligula fällt in das Jahr 40, nicht 39, Caracallas Sieg über die Germanen und dritter Jmperatortitel nicht 214, sondern schon 213: bei dieser Gelegenheit wird die Ueberschreitung des limos Rlrastig-c;, unsres „Pfahlgrabens" zwischen Donau und Rhein. Gegenstand besonderer Feier. Zu einer Chronik der römischen Kaiser, wie sie für die deutsche Kaisergeschichte die Rankesche Schule unternommen hat, würden unsere Tafeln zahlreiche Bausteine liefern können. Und für den Geschichtsfreund und Kenner jener Periode enthalten diese Acten mehr als trockene Notizen. Diese alljährlich registrieren Feste, Gebete und Spenden, die mit regelmäßigem Taktschlag die gewöhnlichen und unge¬ wöhnlichen Vorfälle im Palast begleiten,-haben auch ihr culturhistorisches Interesse. Sie liefern uns authentische Züge zu dem Bilde, das wir uns von dem Zustand der damaligen Gesellschaft zu machen berechtigt sind, von der tiefen Verkommenheit, dem Zerfall mit aller politischen und religiösen Tradition, dem Mandarinenthum der Vornehmen, dem „Stürzen in die Knechtschaft", wie es Tacitus nennt, der Stumpfheit des Volkes, der völligen' Unfruchtbarkeit der edleren Lebenskräfte, wie sie den Absolutismus zu be¬ gleiten pflegt. Was uns Tacitus mit gewaltigen Strichen schildert, erhält Grenzboten III. 18VN, 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/497>, abgerufen am 02.10.2024.