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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Urvater zu sein ein Zeichen allerhöchster Huld und eine vielbegehrte Aus¬
zeichnung war.

Dem entsprach der Pomp und Aufwand für die Festlichkeiten, für die
zahlreichen Opfer und für gelegentliche Spenden an einzelne Götter, die aus
der Kasse des Collegs bestritten werden müssen. Auch die Diener, deren einen
jeder Bruder aus der Zahl seiner Freigelassenen stellt, bringen zuweilen
solche Spenden und müssen sogar zur Aufnahme ein Eintrittsgeld entrichten
Bei den Opferhandlungen versehen Senatorensöhne echten Bluts den Dienst
als eamilli; zu den niederen Handreichungen standen dem Collegium eine
Anzahl Staatssclaven zur Verfügung.

Diese Reorganisation des Instituts, so sehr sie dessen ursprünglichen
Charakter verwischt hat, begründet doch den hauptsächlichen Werth unserer Ar-
valenacten. Die Thaten der Brüderschaft an sich, das ewige Einerlei von
Opfern und Gebeten, die ängstlich beobachteten und immer wieder beinahe
mit denselben Worten verzeichneten Ceremonien würden unser Interesse
bald erschöpfen. Aber eine durch Jahrhunderte laufende geordnete Reihe
von religiösen Handlungen, die sich meist auf den Cult der Kaiser, auf ge¬
schichtliche Vorfälle der Dynastie beziehen, die ausgeführt werden von den
vornehmsten und bekanntesten Männern der Kaiserzeit, liefert uns eine un¬
schätzbare Ergänzung der historischen Quellen für diese merkwürdige Periode,
die wichtigsten Notizen über bisher nur mangelhaft Bekanntes und Auf¬
schlüsse über streitige Punkte. An Beiträgen zur Kenntniß der Familien- und
Geschlechtergeschichte, der Beziehungen des Adels zum Kaiser sind diese Pro¬
tokolle, wie natürlich, besonders reich. Die meisten Namen sind uns aus
Geschichtsschreibern oder Inschriften bekannt, als Freunde, mitunter als spätere
Gegner oder als Opfer des Kaisers, als Feldherrn und erste Beamte kehren
sie in Rom oder den Provinzen wieder; bei nicht Wenigen vermögen wir
die ganze Aemtercarriere zu verfolgen und uns dadurch wieder über Ordnung
und Geschichte der Reichsadministration bestimmtere Begriffe zu bilden.

Die Chronologie der Kaiserzeit gewinnt zahlreiche neue Haltpunkte.
Was dieselbe gerade für diese Periode trotz vieler Einzelnotizen so complicirt
macht, ist bekanntlich vorwiegend der Umstand, daß die eponymen Stadt¬
beamten Roms, der sichere chronologische Führer durch die Zeit der Republik,
unter den Kaisern nicht mehr jährlich gewählt werden, sondern zunächst ein
halbes Jahr, später vier oder drei, und endlich (seit Hadrian regelmäßig) nur
zwei Monate im Amte sind, während die Historiker nach wie vor das Jahr
nach dem ersten Consularpaar bezeichnen. Die Verwirrung wird noch ver¬
mehrt durch die große Anzahl von Ersatzconsuln, deren Eintritt namentlich
die kaiserliche Gewohnheit begünstigte für den Jahresanfang selbst die
Consulfasces zu übernehmen, sie aber schon im Laufe der ersten Wochen ab-


Urvater zu sein ein Zeichen allerhöchster Huld und eine vielbegehrte Aus¬
zeichnung war.

Dem entsprach der Pomp und Aufwand für die Festlichkeiten, für die
zahlreichen Opfer und für gelegentliche Spenden an einzelne Götter, die aus
der Kasse des Collegs bestritten werden müssen. Auch die Diener, deren einen
jeder Bruder aus der Zahl seiner Freigelassenen stellt, bringen zuweilen
solche Spenden und müssen sogar zur Aufnahme ein Eintrittsgeld entrichten
Bei den Opferhandlungen versehen Senatorensöhne echten Bluts den Dienst
als eamilli; zu den niederen Handreichungen standen dem Collegium eine
Anzahl Staatssclaven zur Verfügung.

Diese Reorganisation des Instituts, so sehr sie dessen ursprünglichen
Charakter verwischt hat, begründet doch den hauptsächlichen Werth unserer Ar-
valenacten. Die Thaten der Brüderschaft an sich, das ewige Einerlei von
Opfern und Gebeten, die ängstlich beobachteten und immer wieder beinahe
mit denselben Worten verzeichneten Ceremonien würden unser Interesse
bald erschöpfen. Aber eine durch Jahrhunderte laufende geordnete Reihe
von religiösen Handlungen, die sich meist auf den Cult der Kaiser, auf ge¬
schichtliche Vorfälle der Dynastie beziehen, die ausgeführt werden von den
vornehmsten und bekanntesten Männern der Kaiserzeit, liefert uns eine un¬
schätzbare Ergänzung der historischen Quellen für diese merkwürdige Periode,
die wichtigsten Notizen über bisher nur mangelhaft Bekanntes und Auf¬
schlüsse über streitige Punkte. An Beiträgen zur Kenntniß der Familien- und
Geschlechtergeschichte, der Beziehungen des Adels zum Kaiser sind diese Pro¬
tokolle, wie natürlich, besonders reich. Die meisten Namen sind uns aus
Geschichtsschreibern oder Inschriften bekannt, als Freunde, mitunter als spätere
Gegner oder als Opfer des Kaisers, als Feldherrn und erste Beamte kehren
sie in Rom oder den Provinzen wieder; bei nicht Wenigen vermögen wir
die ganze Aemtercarriere zu verfolgen und uns dadurch wieder über Ordnung
und Geschichte der Reichsadministration bestimmtere Begriffe zu bilden.

Die Chronologie der Kaiserzeit gewinnt zahlreiche neue Haltpunkte.
Was dieselbe gerade für diese Periode trotz vieler Einzelnotizen so complicirt
macht, ist bekanntlich vorwiegend der Umstand, daß die eponymen Stadt¬
beamten Roms, der sichere chronologische Führer durch die Zeit der Republik,
unter den Kaisern nicht mehr jährlich gewählt werden, sondern zunächst ein
halbes Jahr, später vier oder drei, und endlich (seit Hadrian regelmäßig) nur
zwei Monate im Amte sind, während die Historiker nach wie vor das Jahr
nach dem ersten Consularpaar bezeichnen. Die Verwirrung wird noch ver¬
mehrt durch die große Anzahl von Ersatzconsuln, deren Eintritt namentlich
die kaiserliche Gewohnheit begünstigte für den Jahresanfang selbst die
Consulfasces zu übernehmen, sie aber schon im Laufe der ersten Wochen ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/496>, abgerufen am 24.08.2024.