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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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mische Fragmente, Münzen u. s. w. nahm der Herzog in seine Sammlungen
auf. Sie erregten großes Aussehen, denn die meisten von ihnen prangten
noch in ihrem ursprünglichen Farbenschmuck, und die Frage über die Poly-
chromie der alten Architektur war eben erst angeregt.

Otto Jahr hat in seiner schönen Biographie Gerhard's dargelegt, welchen
Antheil der Duc de Luynes an der Gründung des archäologischen Instituts
in Rom (1828--1829) gehabt hat; durch seine Persönlichkeit und sein Ver¬
mögen war er geeignet, Schwierigkeiten aller Art zu ebnen, und gleich im
ersten Bande der Annali gab er Beweise auch von dem wissenschaftlichen Bei¬
stande, den zu leisten er fähig und gesonnen war. Am meisten beschäftigte
er sich mit Numismatik, dann mit Vasenkunde und Topographie; klares
methodisches Vorschreiten, reiner und seiner Kunstgeschmack zeichnen seine
zahlreichen Arbeiten aus. Er ließ seine Aufsätze gewöhnlich in den Publica¬
tionen des Instituts, später in der Revuv muni^ir>g.ti<ins erscheinen. Sie sollen
in Frankreich vielfach zum Studium der alten Sagen und Religionen an¬
geregt haben; seine eigenen mythologischen Erklärungen sind von nüchternem
kalten Rationalismus wie von überschwänglicher Symbolik frei.

Seit 1842 wandte sich der Herzog vorzüglich, jedoch ohne den klassischen
Boden ganz zu verlassen, der orientalischen Philologie und Archäologie zu,
namentlich beschäftigten ihn die Verbindungen uralten Völkerverkehrs zwischen
Orient und Occident. Untersuchungen über phönikische sowie kypriotische
Münzen und Inschriften, der bekannte Aufsatz über den Sarkophag des Es-
munazar, Königs von Sidon, (jetzt im Louvre), sind das Bedeutendste, was
er auf diesem Gebiete hervorbrachte.

Neben dem Alterthum war es auf historischem Felde besonders das
mittelalterliche Italien, das den Duc de Luynes anzog: seine Bibliothek ist
ungemein reich an Büchern über diese Epoche, und diese Sammlung ist um
so werthvoller, als solche vielfach nur locale Publicationen selten diesseits
der Alpen gelangen. Eine Frucht dieser Arbeiten war der historisch-chrono¬
logische Cowmentar über die sogenannte Diurnali des Matteo ti Giovenazzo
(1839); diese Diurnali, für die Geschichte Süditaliens in der Mitte des
13. Jahrhunderts wichtig, sind zwar jüngst von deutscher Kritik als eine
tendenziöse Fälschung späterer Zeit erkannt worden, aber ein solches Ergebniß
wäre unmöglich gewesen ohne das Vorgehen sorgfältiger analytischer Arbeiten,
wie es diejenigen waren, denen sich der Duc de Luynes unterzogen hatte.

Endlich interessirte sich der vielseitige Mann für Mineralogie, worüber
auch kleine Aussähe erschienen, für Photographie, die er durch Aussetzen, von
Prämien zu fördern und sür die Verbreitung der Kunstwerke nutzbar zu
machen suchte, sür Kunstindustrie: 1851 wurde er französischerseits mit der


mische Fragmente, Münzen u. s. w. nahm der Herzog in seine Sammlungen
auf. Sie erregten großes Aussehen, denn die meisten von ihnen prangten
noch in ihrem ursprünglichen Farbenschmuck, und die Frage über die Poly-
chromie der alten Architektur war eben erst angeregt.

Otto Jahr hat in seiner schönen Biographie Gerhard's dargelegt, welchen
Antheil der Duc de Luynes an der Gründung des archäologischen Instituts
in Rom (1828—1829) gehabt hat; durch seine Persönlichkeit und sein Ver¬
mögen war er geeignet, Schwierigkeiten aller Art zu ebnen, und gleich im
ersten Bande der Annali gab er Beweise auch von dem wissenschaftlichen Bei¬
stande, den zu leisten er fähig und gesonnen war. Am meisten beschäftigte
er sich mit Numismatik, dann mit Vasenkunde und Topographie; klares
methodisches Vorschreiten, reiner und seiner Kunstgeschmack zeichnen seine
zahlreichen Arbeiten aus. Er ließ seine Aufsätze gewöhnlich in den Publica¬
tionen des Instituts, später in der Revuv muni^ir>g.ti<ins erscheinen. Sie sollen
in Frankreich vielfach zum Studium der alten Sagen und Religionen an¬
geregt haben; seine eigenen mythologischen Erklärungen sind von nüchternem
kalten Rationalismus wie von überschwänglicher Symbolik frei.

Seit 1842 wandte sich der Herzog vorzüglich, jedoch ohne den klassischen
Boden ganz zu verlassen, der orientalischen Philologie und Archäologie zu,
namentlich beschäftigten ihn die Verbindungen uralten Völkerverkehrs zwischen
Orient und Occident. Untersuchungen über phönikische sowie kypriotische
Münzen und Inschriften, der bekannte Aufsatz über den Sarkophag des Es-
munazar, Königs von Sidon, (jetzt im Louvre), sind das Bedeutendste, was
er auf diesem Gebiete hervorbrachte.

Neben dem Alterthum war es auf historischem Felde besonders das
mittelalterliche Italien, das den Duc de Luynes anzog: seine Bibliothek ist
ungemein reich an Büchern über diese Epoche, und diese Sammlung ist um
so werthvoller, als solche vielfach nur locale Publicationen selten diesseits
der Alpen gelangen. Eine Frucht dieser Arbeiten war der historisch-chrono¬
logische Cowmentar über die sogenannte Diurnali des Matteo ti Giovenazzo
(1839); diese Diurnali, für die Geschichte Süditaliens in der Mitte des
13. Jahrhunderts wichtig, sind zwar jüngst von deutscher Kritik als eine
tendenziöse Fälschung späterer Zeit erkannt worden, aber ein solches Ergebniß
wäre unmöglich gewesen ohne das Vorgehen sorgfältiger analytischer Arbeiten,
wie es diejenigen waren, denen sich der Duc de Luynes unterzogen hatte.

Endlich interessirte sich der vielseitige Mann für Mineralogie, worüber
auch kleine Aussähe erschienen, für Photographie, die er durch Aussetzen, von
Prämien zu fördern und sür die Verbreitung der Kunstwerke nutzbar zu
machen suchte, sür Kunstindustrie: 1851 wurde er französischerseits mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/462>, abgerufen am 02.07.2024.