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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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mit sich nahm; trotzdem hat ein ganzer Zweig der kirchlichen Ueberlieferung
behauptet, daß er verheirathet war."

Am Schlüsse wird das Gesammturtheil über Paulus und sein Volk ge¬
fällt. Daß es nicht übermäßig günstig ausfallen werde, darauf sind wir
vorbereitet. Denn bet jeder Gelegenheit kommt die Abneigung des Schrift¬
stellers gegen den Helden seiner Biographie zu Tage. Was das letzte Motiv
seiner Abneigung ist, darüber spricht sich Renan zum Schluß mit aller Offen¬
heit aus. Er mag nämlich die Männer der That nicht leiden. Sein Ideal
ist die vollkommen schöne und gute Natur, die ungetrübte Gottinnigkeit, wie
er sie bei Jesus findet, und wie sie, ihm zufolge, der Charakter der eisten
christlichen Gemeinschaft am See Tiberias war. Aber Paulus war "ein her¬
vorragender Mann der That, ein starker mit sich sortreißender enthusiastischer
Geist, ein Eroberer, ein Verkündiger, nach allen Seiten um so eifriger, als
er früher seinen Fanatismus im entgegengesetzten Sinn entfaltet hatte. Der
Mann der That aber, so edel er auch ist, wenn es sich um ein edles Ziel
handelt, ist Gott weniger nahe, als der, der in reiner Liebe sür das Gute,
Wahre oder Schöne gelebt hat. Der Apostel ist von Natur ein etwas be¬
schränkter Geist; er will zur Geltung gelangen und dafür bringt er Opfer;
die Berührung mit der Wirklichkeit beschmutzt immer, die ersten Plätze im,
Himmelreich sind denen aufbewahrt, die ein Strahl der Gnade berührt hat,
die nur das Ideal angebetet haben." Ein solcher Missionär, erfahren wir
weiter, ist immer ein mittelmäßiger Künstler, er ist kein Gelehrter, er ist nicht
einmal ganz tugendhaft, denn die Bosheit der Menschen zwingt ihn, sich mit
ihnen abzufinden; vor Allem aber ist er niemals liebenswürdig. "Ein Mann
der streitet, der Widerstand leistet, von sich selbst redet, ein Mann, der seine
Meinung und seine Ansprüche aufrecht hält, der Anderen lästig wird, sie hart
anfährt -- ein solcher ist uns antipathisch. In ähnlichen Fällen gestand Jesus
Alles zu und zog sich mit einem bezaubernden Wort aus der Verlegenheit."
Kurz, mit Jesus ist Paulus nicht zu vergleichen. Er verhält sich zu Jesus,
wie der Mensch zum Gott. Ja er steht selbst unter dem bei Renan nun ein¬
mal unvermeidlichen Franz von Assisi und dem Verfasser der Nachahmung
Christi.

Man sieht, Renan verbirgt gar nicht die Motive seines Urtheils. Er ge¬
steht, daß ihm energische Männer der That nun einmal nicht sympathisch sind.
Nun ist über Geschmackssachen bekanntlich nicht zu streiten. Wenn ihm wun¬
derliche stigmatisirte Heilige wie Franz von Assisi lieber sind, so ist das seine
Sache. Nur darf er diesen unschuldigen Ausdruck seiner Geschmacksrichtung
nicht verwechseln mit einem geschichtlichen Urtheil. Er kann als Geschichts¬
schreiber nicht die Summe seiner Kritik zusammenfassen in die Worte: Solche
Leute sind mir unangenehm. Was Paulus wirklich gewesen ist und geleistet


mit sich nahm; trotzdem hat ein ganzer Zweig der kirchlichen Ueberlieferung
behauptet, daß er verheirathet war."

Am Schlüsse wird das Gesammturtheil über Paulus und sein Volk ge¬
fällt. Daß es nicht übermäßig günstig ausfallen werde, darauf sind wir
vorbereitet. Denn bet jeder Gelegenheit kommt die Abneigung des Schrift¬
stellers gegen den Helden seiner Biographie zu Tage. Was das letzte Motiv
seiner Abneigung ist, darüber spricht sich Renan zum Schluß mit aller Offen¬
heit aus. Er mag nämlich die Männer der That nicht leiden. Sein Ideal
ist die vollkommen schöne und gute Natur, die ungetrübte Gottinnigkeit, wie
er sie bei Jesus findet, und wie sie, ihm zufolge, der Charakter der eisten
christlichen Gemeinschaft am See Tiberias war. Aber Paulus war „ein her¬
vorragender Mann der That, ein starker mit sich sortreißender enthusiastischer
Geist, ein Eroberer, ein Verkündiger, nach allen Seiten um so eifriger, als
er früher seinen Fanatismus im entgegengesetzten Sinn entfaltet hatte. Der
Mann der That aber, so edel er auch ist, wenn es sich um ein edles Ziel
handelt, ist Gott weniger nahe, als der, der in reiner Liebe sür das Gute,
Wahre oder Schöne gelebt hat. Der Apostel ist von Natur ein etwas be¬
schränkter Geist; er will zur Geltung gelangen und dafür bringt er Opfer;
die Berührung mit der Wirklichkeit beschmutzt immer, die ersten Plätze im,
Himmelreich sind denen aufbewahrt, die ein Strahl der Gnade berührt hat,
die nur das Ideal angebetet haben." Ein solcher Missionär, erfahren wir
weiter, ist immer ein mittelmäßiger Künstler, er ist kein Gelehrter, er ist nicht
einmal ganz tugendhaft, denn die Bosheit der Menschen zwingt ihn, sich mit
ihnen abzufinden; vor Allem aber ist er niemals liebenswürdig. „Ein Mann
der streitet, der Widerstand leistet, von sich selbst redet, ein Mann, der seine
Meinung und seine Ansprüche aufrecht hält, der Anderen lästig wird, sie hart
anfährt — ein solcher ist uns antipathisch. In ähnlichen Fällen gestand Jesus
Alles zu und zog sich mit einem bezaubernden Wort aus der Verlegenheit."
Kurz, mit Jesus ist Paulus nicht zu vergleichen. Er verhält sich zu Jesus,
wie der Mensch zum Gott. Ja er steht selbst unter dem bei Renan nun ein¬
mal unvermeidlichen Franz von Assisi und dem Verfasser der Nachahmung
Christi.

Man sieht, Renan verbirgt gar nicht die Motive seines Urtheils. Er ge¬
steht, daß ihm energische Männer der That nun einmal nicht sympathisch sind.
Nun ist über Geschmackssachen bekanntlich nicht zu streiten. Wenn ihm wun¬
derliche stigmatisirte Heilige wie Franz von Assisi lieber sind, so ist das seine
Sache. Nur darf er diesen unschuldigen Ausdruck seiner Geschmacksrichtung
nicht verwechseln mit einem geschichtlichen Urtheil. Er kann als Geschichts¬
schreiber nicht die Summe seiner Kritik zusammenfassen in die Worte: Solche
Leute sind mir unangenehm. Was Paulus wirklich gewesen ist und geleistet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/458>, abgerufen am 02.07.2024.