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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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sagt hat. Bekanntlich ist die Apostelgeschichte von einem Pauliner geschrieben,
aber zu dem Zweck, eine Versöhnung zwischen der paulinischen und der da¬
mals überwiegenden judenchristlichen Partei herbeizuführen. Der Verfasser
bietet gleichsam einen Vergleich an, durch Modificationen in der Lebens¬
beschreibung der beiden Hauptapostel, deren Ungeschichtlichkeit namentlich durch
den Inhalt des Galaterbriefs erhärtet ist. Er macht den Paulus, kurz ge¬
sagt, zu einem gesetzesfrommen Judenchristen, damit diese Partei an dem
gegnerischen Haupt nicht länger Anstoß nehme, und er macht umgekehrt den
Petrus zu einem freisinnigen Heidenchristen, damit das wesentliche Resultat
des Paulinismus, die Universalität des Christenthums, durch die Autorität des
Petrus selbst gedeckt werde. Er vertauscht also die Rolle beider und sucht
das Wesentliche im Werk des Paulus zu retten, indem er es dem Petrus auf
die Rechnung schreibt. Im Uebrigen werden beide als die besten Freunde
geschildert, die Streitpunkte überhaupt vermischt, die Erinnerung an so schroffe
Scenen, wie die für welche der Galaterbrief als geschichtlicher Zeuge dasteht,
möglichst getilgt. Der Zweck, den die Apostelgeschichte und mit ihr andere Schrif¬
ten verfolgten, ist denn auch vollständig erreicht worden. Der Compromiß der
Parteien drang in der Kirche durch; der Haß, mit welchem Paulus von der
judenchristlichen Partei noch im 2. Jahrhundert verfolgt wurde, verlor sich und
rehabilitirt nahm der Apostel seine Stellung in der Kirche unmittelbar neben
Petrus ein; beide wurden jetzt als Häupter und Gründer der vornehmsten
Gemeinden verehrt. Das freundschaftliche Zusammenwirken der beiden
Hauptapostel bildet von nun an beinahe einen Glaubenssatz der Kirche, der
vollendete Ausgleich des Parteistreits findet darin seinen sprechendsten Aus¬
druck. Aber der kirchliche Paulus war nicht mehr der geschichtliche Paulus;
schon der Paulus der Apostelgeschichte ist nicht mehr der des Galaterbriefs.
Gerade seine eigenthümliche Persönlichkeit hatte müssen daran gegeben wer¬
den, damit der Ausgleich zu Stande komme. Denn die spätere Kirche
wollte nichts mehr von dem kühnen Neuerer wissen, der erst in leidenschaft¬
lichem Kampf mit den Uraposteln den Fortschritt ertrotzte, dessen jetzt die ge-
sammte Kirche sich freute. Im Wesentlichen siegten die Pauliner, sofern die
Losreißung vom gesetzlichen Judenthum eine vollendete Thatsache wurde.
Allein der Sieg war theuer, sie bezahlten ihn damit, daß sie die Individuali¬
tät ihres Parteihauptes preisgaben, und die Aufgabe des Geschichtsschreibers
ist es, diese Individualität wiederherzustellen.

Daß nun jene Tendenz der Abfassung der Apostelgeschichte zu Grunde
liegt, -- welche im Uebrigen allerdings Stücke enthält, die unzweifelhaft von
einem Reisebegleiter des Paulus herrühren -- wird auch von Renan zuge¬
standen. Da wo in der Darstellung der Apostelgeschichte und in jener der
paulinischen Briefe sich erhebliche Differenzen finden, stellt er den Grundsatz


sagt hat. Bekanntlich ist die Apostelgeschichte von einem Pauliner geschrieben,
aber zu dem Zweck, eine Versöhnung zwischen der paulinischen und der da¬
mals überwiegenden judenchristlichen Partei herbeizuführen. Der Verfasser
bietet gleichsam einen Vergleich an, durch Modificationen in der Lebens¬
beschreibung der beiden Hauptapostel, deren Ungeschichtlichkeit namentlich durch
den Inhalt des Galaterbriefs erhärtet ist. Er macht den Paulus, kurz ge¬
sagt, zu einem gesetzesfrommen Judenchristen, damit diese Partei an dem
gegnerischen Haupt nicht länger Anstoß nehme, und er macht umgekehrt den
Petrus zu einem freisinnigen Heidenchristen, damit das wesentliche Resultat
des Paulinismus, die Universalität des Christenthums, durch die Autorität des
Petrus selbst gedeckt werde. Er vertauscht also die Rolle beider und sucht
das Wesentliche im Werk des Paulus zu retten, indem er es dem Petrus auf
die Rechnung schreibt. Im Uebrigen werden beide als die besten Freunde
geschildert, die Streitpunkte überhaupt vermischt, die Erinnerung an so schroffe
Scenen, wie die für welche der Galaterbrief als geschichtlicher Zeuge dasteht,
möglichst getilgt. Der Zweck, den die Apostelgeschichte und mit ihr andere Schrif¬
ten verfolgten, ist denn auch vollständig erreicht worden. Der Compromiß der
Parteien drang in der Kirche durch; der Haß, mit welchem Paulus von der
judenchristlichen Partei noch im 2. Jahrhundert verfolgt wurde, verlor sich und
rehabilitirt nahm der Apostel seine Stellung in der Kirche unmittelbar neben
Petrus ein; beide wurden jetzt als Häupter und Gründer der vornehmsten
Gemeinden verehrt. Das freundschaftliche Zusammenwirken der beiden
Hauptapostel bildet von nun an beinahe einen Glaubenssatz der Kirche, der
vollendete Ausgleich des Parteistreits findet darin seinen sprechendsten Aus¬
druck. Aber der kirchliche Paulus war nicht mehr der geschichtliche Paulus;
schon der Paulus der Apostelgeschichte ist nicht mehr der des Galaterbriefs.
Gerade seine eigenthümliche Persönlichkeit hatte müssen daran gegeben wer¬
den, damit der Ausgleich zu Stande komme. Denn die spätere Kirche
wollte nichts mehr von dem kühnen Neuerer wissen, der erst in leidenschaft¬
lichem Kampf mit den Uraposteln den Fortschritt ertrotzte, dessen jetzt die ge-
sammte Kirche sich freute. Im Wesentlichen siegten die Pauliner, sofern die
Losreißung vom gesetzlichen Judenthum eine vollendete Thatsache wurde.
Allein der Sieg war theuer, sie bezahlten ihn damit, daß sie die Individuali¬
tät ihres Parteihauptes preisgaben, und die Aufgabe des Geschichtsschreibers
ist es, diese Individualität wiederherzustellen.

Daß nun jene Tendenz der Abfassung der Apostelgeschichte zu Grunde
liegt, — welche im Uebrigen allerdings Stücke enthält, die unzweifelhaft von
einem Reisebegleiter des Paulus herrühren — wird auch von Renan zuge¬
standen. Da wo in der Darstellung der Apostelgeschichte und in jener der
paulinischen Briefe sich erhebliche Differenzen finden, stellt er den Grundsatz


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[0453] sagt hat. Bekanntlich ist die Apostelgeschichte von einem Pauliner geschrieben, aber zu dem Zweck, eine Versöhnung zwischen der paulinischen und der da¬ mals überwiegenden judenchristlichen Partei herbeizuführen. Der Verfasser bietet gleichsam einen Vergleich an, durch Modificationen in der Lebens¬ beschreibung der beiden Hauptapostel, deren Ungeschichtlichkeit namentlich durch den Inhalt des Galaterbriefs erhärtet ist. Er macht den Paulus, kurz ge¬ sagt, zu einem gesetzesfrommen Judenchristen, damit diese Partei an dem gegnerischen Haupt nicht länger Anstoß nehme, und er macht umgekehrt den Petrus zu einem freisinnigen Heidenchristen, damit das wesentliche Resultat des Paulinismus, die Universalität des Christenthums, durch die Autorität des Petrus selbst gedeckt werde. Er vertauscht also die Rolle beider und sucht das Wesentliche im Werk des Paulus zu retten, indem er es dem Petrus auf die Rechnung schreibt. Im Uebrigen werden beide als die besten Freunde geschildert, die Streitpunkte überhaupt vermischt, die Erinnerung an so schroffe Scenen, wie die für welche der Galaterbrief als geschichtlicher Zeuge dasteht, möglichst getilgt. Der Zweck, den die Apostelgeschichte und mit ihr andere Schrif¬ ten verfolgten, ist denn auch vollständig erreicht worden. Der Compromiß der Parteien drang in der Kirche durch; der Haß, mit welchem Paulus von der judenchristlichen Partei noch im 2. Jahrhundert verfolgt wurde, verlor sich und rehabilitirt nahm der Apostel seine Stellung in der Kirche unmittelbar neben Petrus ein; beide wurden jetzt als Häupter und Gründer der vornehmsten Gemeinden verehrt. Das freundschaftliche Zusammenwirken der beiden Hauptapostel bildet von nun an beinahe einen Glaubenssatz der Kirche, der vollendete Ausgleich des Parteistreits findet darin seinen sprechendsten Aus¬ druck. Aber der kirchliche Paulus war nicht mehr der geschichtliche Paulus; schon der Paulus der Apostelgeschichte ist nicht mehr der des Galaterbriefs. Gerade seine eigenthümliche Persönlichkeit hatte müssen daran gegeben wer¬ den, damit der Ausgleich zu Stande komme. Denn die spätere Kirche wollte nichts mehr von dem kühnen Neuerer wissen, der erst in leidenschaft¬ lichem Kampf mit den Uraposteln den Fortschritt ertrotzte, dessen jetzt die ge- sammte Kirche sich freute. Im Wesentlichen siegten die Pauliner, sofern die Losreißung vom gesetzlichen Judenthum eine vollendete Thatsache wurde. Allein der Sieg war theuer, sie bezahlten ihn damit, daß sie die Individuali¬ tät ihres Parteihauptes preisgaben, und die Aufgabe des Geschichtsschreibers ist es, diese Individualität wiederherzustellen. Daß nun jene Tendenz der Abfassung der Apostelgeschichte zu Grunde liegt, — welche im Uebrigen allerdings Stücke enthält, die unzweifelhaft von einem Reisebegleiter des Paulus herrühren — wird auch von Renan zuge¬ standen. Da wo in der Darstellung der Apostelgeschichte und in jener der paulinischen Briefe sich erhebliche Differenzen finden, stellt er den Grundsatz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/453>, abgerufen am 24.08.2024.