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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Verfassung hervor; es wurde eine Commission eingesetzt, die den Entwurf
zur Berufung einer constitutirenden Synode in Vorlagen für dieselbe aus¬
arbeitete. Aber man hatte zu lange gezögert. Von neuem fiel das Hassen-
pflug'sche Regiment mit seinem Alles niederdrückenden Bleigewicht auf das Land
und Vilmar wurde Referent im Ministerium für Kirchen- und Schulsachen.
Nicht lange darauf machte Vilmar sich zum Stellvertreter des alten General¬
superintendenten der größten Diöcese Niederhessens, um bei den Einführungen
der Pfarrer und bet Kirchenvisitationen die einzelnen Geistlichen persönlich zu
bearbeiten und für seine Anschauungen zu gewinnen und zu zwingen. Die Rich¬
tung, in der dieses geschah, ist bekannt genug. Ebenso wenig ist aber auch
vergessen, daß Vilmar nach dem Tode jenes alten Generalsuperintendenten
von der großen Majorität der Geistlichen zu dessen Nachfolger gewählt, von
dem Kurfürsten die Bestätigung dieser Wahl nicht erwirken konnte und darum
nebst seinem Freunde Hassenpflug den Abschied nahm. Vilmar wurde Professor
in Marburg; Hassenpflug lebte und starb ebendaselbst als pensionirter Minister.
Aber mit dem Austritt Vilmar's aus dem Ministerium war dessen Geist in
demselben noch nicht erstorben. Mußten freilich seine Nachfolger sich hüten,
der Eifersucht unseres Kurfürsten auf seine kirchlichen Rechte neue Nahrung
zu geben, so befragte doch der langjährige Referent für Kirchen- und Schul¬
sachen im Ministerium des Inneren, der Regierungsrath Franz Lotz, seinen
Herrn und Meister hinter dem Rücken des Kurfürsten bei allen wichtigen
Fragen um seine Meinung, Vilmaraner wurden nach wie vor in die wichtigsten
Kirchenämter geschoben, gegen die lutheranisirenden Versuche der Pastoren
kaum irgend welche Schritte gethan. Politisch waren ja diese Herrn auch
unentbehrlich. Bildeten sie doch die einzig zuverlässige Regierungsparlei
im Lande, und mahnten sie den Kurfürsten doch stets in ihrem Blättchen
an die ihm von Preußen durch den berühmten Feldjäger angethane Schmach
und die aufgezwungene Wiederherstellung der Verfassung, von der so wenig
als möglich in Wirksamkeit zu setzen sei.

So lagen die Dinge, als wir zu Preußen wurden. Man konnte
gespannt sein, welche Stellung Vilmar und seine Partei zur neuen Wendung
einnehmen würden. "Wird das Bedürfniß zu herrschen, den Mann wenig¬
stens allmälig auf die Seite der neuen Regierung treiben? Wird der Haß gkgen
die liberale Partei den Rachsüchtigen bestimmen, an dem Tage, an welchem
ein Conflict der national-liberalen Partei in Hessen mit den feudalen Kreuz-
zeitungs-Ministerium ausbucht, sich auf die Seite seiner alten Gesinnungs¬
genossen zu stellen, oder wird er halsstarrig seiner Politik, die den Untergang
des Kurstaates mit herbeigeführt hat, treubleiben und in seinem fanatischen
Hasse gegen Preußen verharren?" Das waren die Fragen, die man sich 1866
in Hessen allgemein vorlegte und je nach der persönlichen Achtung, die man


Verfassung hervor; es wurde eine Commission eingesetzt, die den Entwurf
zur Berufung einer constitutirenden Synode in Vorlagen für dieselbe aus¬
arbeitete. Aber man hatte zu lange gezögert. Von neuem fiel das Hassen-
pflug'sche Regiment mit seinem Alles niederdrückenden Bleigewicht auf das Land
und Vilmar wurde Referent im Ministerium für Kirchen- und Schulsachen.
Nicht lange darauf machte Vilmar sich zum Stellvertreter des alten General¬
superintendenten der größten Diöcese Niederhessens, um bei den Einführungen
der Pfarrer und bet Kirchenvisitationen die einzelnen Geistlichen persönlich zu
bearbeiten und für seine Anschauungen zu gewinnen und zu zwingen. Die Rich¬
tung, in der dieses geschah, ist bekannt genug. Ebenso wenig ist aber auch
vergessen, daß Vilmar nach dem Tode jenes alten Generalsuperintendenten
von der großen Majorität der Geistlichen zu dessen Nachfolger gewählt, von
dem Kurfürsten die Bestätigung dieser Wahl nicht erwirken konnte und darum
nebst seinem Freunde Hassenpflug den Abschied nahm. Vilmar wurde Professor
in Marburg; Hassenpflug lebte und starb ebendaselbst als pensionirter Minister.
Aber mit dem Austritt Vilmar's aus dem Ministerium war dessen Geist in
demselben noch nicht erstorben. Mußten freilich seine Nachfolger sich hüten,
der Eifersucht unseres Kurfürsten auf seine kirchlichen Rechte neue Nahrung
zu geben, so befragte doch der langjährige Referent für Kirchen- und Schul¬
sachen im Ministerium des Inneren, der Regierungsrath Franz Lotz, seinen
Herrn und Meister hinter dem Rücken des Kurfürsten bei allen wichtigen
Fragen um seine Meinung, Vilmaraner wurden nach wie vor in die wichtigsten
Kirchenämter geschoben, gegen die lutheranisirenden Versuche der Pastoren
kaum irgend welche Schritte gethan. Politisch waren ja diese Herrn auch
unentbehrlich. Bildeten sie doch die einzig zuverlässige Regierungsparlei
im Lande, und mahnten sie den Kurfürsten doch stets in ihrem Blättchen
an die ihm von Preußen durch den berühmten Feldjäger angethane Schmach
und die aufgezwungene Wiederherstellung der Verfassung, von der so wenig
als möglich in Wirksamkeit zu setzen sei.

So lagen die Dinge, als wir zu Preußen wurden. Man konnte
gespannt sein, welche Stellung Vilmar und seine Partei zur neuen Wendung
einnehmen würden. „Wird das Bedürfniß zu herrschen, den Mann wenig¬
stens allmälig auf die Seite der neuen Regierung treiben? Wird der Haß gkgen
die liberale Partei den Rachsüchtigen bestimmen, an dem Tage, an welchem
ein Conflict der national-liberalen Partei in Hessen mit den feudalen Kreuz-
zeitungs-Ministerium ausbucht, sich auf die Seite seiner alten Gesinnungs¬
genossen zu stellen, oder wird er halsstarrig seiner Politik, die den Untergang
des Kurstaates mit herbeigeführt hat, treubleiben und in seinem fanatischen
Hasse gegen Preußen verharren?" Das waren die Fragen, die man sich 1866
in Hessen allgemein vorlegte und je nach der persönlichen Achtung, die man


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[0416] Verfassung hervor; es wurde eine Commission eingesetzt, die den Entwurf zur Berufung einer constitutirenden Synode in Vorlagen für dieselbe aus¬ arbeitete. Aber man hatte zu lange gezögert. Von neuem fiel das Hassen- pflug'sche Regiment mit seinem Alles niederdrückenden Bleigewicht auf das Land und Vilmar wurde Referent im Ministerium für Kirchen- und Schulsachen. Nicht lange darauf machte Vilmar sich zum Stellvertreter des alten General¬ superintendenten der größten Diöcese Niederhessens, um bei den Einführungen der Pfarrer und bet Kirchenvisitationen die einzelnen Geistlichen persönlich zu bearbeiten und für seine Anschauungen zu gewinnen und zu zwingen. Die Rich¬ tung, in der dieses geschah, ist bekannt genug. Ebenso wenig ist aber auch vergessen, daß Vilmar nach dem Tode jenes alten Generalsuperintendenten von der großen Majorität der Geistlichen zu dessen Nachfolger gewählt, von dem Kurfürsten die Bestätigung dieser Wahl nicht erwirken konnte und darum nebst seinem Freunde Hassenpflug den Abschied nahm. Vilmar wurde Professor in Marburg; Hassenpflug lebte und starb ebendaselbst als pensionirter Minister. Aber mit dem Austritt Vilmar's aus dem Ministerium war dessen Geist in demselben noch nicht erstorben. Mußten freilich seine Nachfolger sich hüten, der Eifersucht unseres Kurfürsten auf seine kirchlichen Rechte neue Nahrung zu geben, so befragte doch der langjährige Referent für Kirchen- und Schul¬ sachen im Ministerium des Inneren, der Regierungsrath Franz Lotz, seinen Herrn und Meister hinter dem Rücken des Kurfürsten bei allen wichtigen Fragen um seine Meinung, Vilmaraner wurden nach wie vor in die wichtigsten Kirchenämter geschoben, gegen die lutheranisirenden Versuche der Pastoren kaum irgend welche Schritte gethan. Politisch waren ja diese Herrn auch unentbehrlich. Bildeten sie doch die einzig zuverlässige Regierungsparlei im Lande, und mahnten sie den Kurfürsten doch stets in ihrem Blättchen an die ihm von Preußen durch den berühmten Feldjäger angethane Schmach und die aufgezwungene Wiederherstellung der Verfassung, von der so wenig als möglich in Wirksamkeit zu setzen sei. So lagen die Dinge, als wir zu Preußen wurden. Man konnte gespannt sein, welche Stellung Vilmar und seine Partei zur neuen Wendung einnehmen würden. „Wird das Bedürfniß zu herrschen, den Mann wenig¬ stens allmälig auf die Seite der neuen Regierung treiben? Wird der Haß gkgen die liberale Partei den Rachsüchtigen bestimmen, an dem Tage, an welchem ein Conflict der national-liberalen Partei in Hessen mit den feudalen Kreuz- zeitungs-Ministerium ausbucht, sich auf die Seite seiner alten Gesinnungs¬ genossen zu stellen, oder wird er halsstarrig seiner Politik, die den Untergang des Kurstaates mit herbeigeführt hat, treubleiben und in seinem fanatischen Hasse gegen Preußen verharren?" Das waren die Fragen, die man sich 1866 in Hessen allgemein vorlegte und je nach der persönlichen Achtung, die man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/416>, abgerufen am 02.10.2024.