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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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hatte allein mehr zu sagen und war für die Leitung der kirchlichen Ange¬
legenheiten des ganzen Landes von größerer Bedeutung als alle Consistorien
zusammengenommen. Daß unter solchen Verhältnissen von einer Freiheit
und Selbständigkeit der Kirche nicht die Rede sein konnte, ist mehr als
deutlich.

Wer ein Herz für die Kirche des Landes hatte, mußte darum wün-
schen, daß diesem Mißverhältniß von Kirche und Staat Wandel geschafft
werde. Aber auch Jeder, der die Trennung der Kirche vom Staat aus
rein politischen Gründen erstrebte, mußte diesen Wünschen freudig entgegen-
kommen und sich an Bestrebungen betheiligen, die freilich von anderen Mo¬
tiven als die seinigen waren, ausgehend auf dasselbe Ziel lossteuerten. So
waren denn auch im Anfang der dreißiger Jahre bei uns die jüngere, nicht
altrationalistische Geistlichkeit, die Höpfeld, Vilmar:c. an der Spitze, mit den
Vätern unserer Landesverfassung ganz einig in dem Streben nach Trennung
der Kirche vom Staat. Die Einführung einer Presbytenal- und Synodal-
verfafsung galt den kirchlichen Männern jener Tage als die heilsamste Panacee
gegen allen Unglauben und Jndifferentismus. Wie haben sie seitdem ihre
Ansichten gewechselt! Kaum war Herr v. Hassenpflug ans Regiment gekommen,
als Vilmar nicht nur, sondern nach und nach die ganze Partei sich nicht
nur von dem eben noch so laut gepriesenen Mittel gegen alle kirchlichen Schä¬
den lossagte, und sie dasselbe nun ebenso maßlos verdammten, als sie es bisher
gelobt hatten, sondern den confessionellen Charakter der niederhessischen Kirche
als des Uebels Quelle anzugreifen begannen. Von dem Landtagsavschiede
von 1833, der die Einführung einer Synodal- und Presbyterialordnung ver¬
heißen hatte, war nicht mehr die Rede. Das Kirchenregiment blieb, wie es
war, in den Händen der Consistorien und des Ministeriums. Nachdem
Hassenpflug aus Hessen entfernt war, hatte dasselbe wieder eine mehr ratio¬
nalistische Färbung, bis kurz vor 1848, wo das Ministerium bekanntlich
völlig verfassungswidrig selbst den Leichen von Deutschkatholiken keine Ruhe
gönnte. Da kam das Jahr 1848 und wieder traten die beiden Parteien,
die für die Trennung der Kirche vom Staat gewesen waren, hervor. Doch
der Wechsel der Gesinnung war bei den zu orthodoxen Lutheranern gewor¬
denen kirchlich Gesinnten jetzt so stark, daß sie nichts mehr von Einführung
einer kirchlichen Gemeindevertretung wissen mochten. Die Herren waren jetzt An¬
hänger des Episkopalsystems geworden; die Kirche war ihnen zu einer Anstalt
zusammengeschrumpft, deren Herren die Pastoren, die Nachfolger der Apostel, sein
sollten; die Gemeinde war nur noch eine Heerde, die das Recht hatte, geführt,
geweidet und geschoren zu werden. Dieser sich im Laufe des Jahres 1848
constituirenden Partei gegenüber trat nun die Regierung, von den liberalen
politischen Parteien gedrängt, mit dem Plan zur Einführung einer Kirchen-


hatte allein mehr zu sagen und war für die Leitung der kirchlichen Ange¬
legenheiten des ganzen Landes von größerer Bedeutung als alle Consistorien
zusammengenommen. Daß unter solchen Verhältnissen von einer Freiheit
und Selbständigkeit der Kirche nicht die Rede sein konnte, ist mehr als
deutlich.

Wer ein Herz für die Kirche des Landes hatte, mußte darum wün-
schen, daß diesem Mißverhältniß von Kirche und Staat Wandel geschafft
werde. Aber auch Jeder, der die Trennung der Kirche vom Staat aus
rein politischen Gründen erstrebte, mußte diesen Wünschen freudig entgegen-
kommen und sich an Bestrebungen betheiligen, die freilich von anderen Mo¬
tiven als die seinigen waren, ausgehend auf dasselbe Ziel lossteuerten. So
waren denn auch im Anfang der dreißiger Jahre bei uns die jüngere, nicht
altrationalistische Geistlichkeit, die Höpfeld, Vilmar:c. an der Spitze, mit den
Vätern unserer Landesverfassung ganz einig in dem Streben nach Trennung
der Kirche vom Staat. Die Einführung einer Presbytenal- und Synodal-
verfafsung galt den kirchlichen Männern jener Tage als die heilsamste Panacee
gegen allen Unglauben und Jndifferentismus. Wie haben sie seitdem ihre
Ansichten gewechselt! Kaum war Herr v. Hassenpflug ans Regiment gekommen,
als Vilmar nicht nur, sondern nach und nach die ganze Partei sich nicht
nur von dem eben noch so laut gepriesenen Mittel gegen alle kirchlichen Schä¬
den lossagte, und sie dasselbe nun ebenso maßlos verdammten, als sie es bisher
gelobt hatten, sondern den confessionellen Charakter der niederhessischen Kirche
als des Uebels Quelle anzugreifen begannen. Von dem Landtagsavschiede
von 1833, der die Einführung einer Synodal- und Presbyterialordnung ver¬
heißen hatte, war nicht mehr die Rede. Das Kirchenregiment blieb, wie es
war, in den Händen der Consistorien und des Ministeriums. Nachdem
Hassenpflug aus Hessen entfernt war, hatte dasselbe wieder eine mehr ratio¬
nalistische Färbung, bis kurz vor 1848, wo das Ministerium bekanntlich
völlig verfassungswidrig selbst den Leichen von Deutschkatholiken keine Ruhe
gönnte. Da kam das Jahr 1848 und wieder traten die beiden Parteien,
die für die Trennung der Kirche vom Staat gewesen waren, hervor. Doch
der Wechsel der Gesinnung war bei den zu orthodoxen Lutheranern gewor¬
denen kirchlich Gesinnten jetzt so stark, daß sie nichts mehr von Einführung
einer kirchlichen Gemeindevertretung wissen mochten. Die Herren waren jetzt An¬
hänger des Episkopalsystems geworden; die Kirche war ihnen zu einer Anstalt
zusammengeschrumpft, deren Herren die Pastoren, die Nachfolger der Apostel, sein
sollten; die Gemeinde war nur noch eine Heerde, die das Recht hatte, geführt,
geweidet und geschoren zu werden. Dieser sich im Laufe des Jahres 1848
constituirenden Partei gegenüber trat nun die Regierung, von den liberalen
politischen Parteien gedrängt, mit dem Plan zur Einführung einer Kirchen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/415>, abgerufen am 24.08.2024.