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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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"es ist gar nicht möglich, sich einen Begriff von den'Zweideutigkeiten, Jammer,
lichkeiten und von der Feigheit zu machen, welche dieser Fürst an den Tag
gelegt hat." Im Augenblick, da Gioberti endlich auf eigene Faust im Kirchen¬
staat und in Toscana interveniren wollte, um Oestreich zuvorzukommen, ließ
ihn Karl Albert wie die übrigen Minister im Stich und er nahm seine Ent¬
lassung. Mit Recht war er der Meinung gewesen, daß wenn die Wieder¬
aufnahme des Kriegs wirklich eine verhängnißvolle Nothwendigkeit war, jene
Intervention zu Gunsten des Großherzogs und des Papstes, welcher sich selbst
Lord Palmerston nicht abgeneigt gezeigt hatte, besten Anlaß dargeboten und
Piemont wenigstens eine ungleich günstigere Position verschafft hätte.

Die jämmerliche Unfähigkeit der Radicalen, die nun in Florenz und
Rom schälkelen, zeigte sich jetzt erst, da sie nach Beseitigung der constitutio-
nellen Regierungen Hand an die Aufrichtung der Republik legen sollten. In
Rom wurde der feierliche Beschluß gefaßt, Toscana zur Unification einzu¬
laden. Mazzini selbst erschien festlich aufgenommen in Florenz und predigte
die Verschmelzung. Allein in Florenz war man jetzt plötzlich vorsichtig ge¬
worden, die Union sollte nur im Princip aufgestellt werden, blos über einen
Zoll- und Militärvertrag wollte man zunächst verhandeln, und als man in
Rom detaillirte Vorschläge zu diesem Zweck ausarbeitete, fand man diese zu
weitgehend. Die Constituente, so pomphaft als das Universalheilmittel an¬
gekündigt, schrumpfte schließlich zum Projekt einer gemischten Militärcommission
zu Bologna zusammen, und vor lauter mißtrauischen Bedenken und Eifer¬
süchteleien kam es Nicht einmal darüber zu einer Einigung. Dafür aber
schimpfte man aus Leibeskräften über Karl Albert und die Saumseligkeit der
piemontesischen Kriegsrüstungen, während die letzten Versuche des Turiner
Cabinets, Anfangs März, von Rom und Toscana Hilfe zum Krieg zu er¬
langen, mit leeren Versprechungen beantwortet wurden.

In welchem Credit die Lenker Mittelitaliens standen, zeigte sich nament¬
lich an der Aufnahme, welche ihre Eröffnungen in Sicilien und in Venedig
fanden. Montanelli hatte sich geschmeichelt, daß nach dem neuen nationalen
Centrum ohne Verzug Sicilien und Venedig, und später durch Zwang auch
Neapel und Piemont gravitiren würden. Allein die provisorische Regierung
in Palermo nahm die Gesandten von Rom und Florenz, die über einen
Allianzvertrag und die Beschickung der Constituenten verhandeln sollten,
nicht einmal in offiziöser Weise an, so daß sie sich mit den Sympathie-
bezeugungen der Volksvereine begnügen mußten. Man sprach sich in Palermo
in höchst drastischer Weise über die Unvernunft und die Unsolidität der ephe¬
meren Schöpfung in Mittelitalien aus und erklärte, dem Unifieationsproject
gegenüber am föderativem Princip festzuhalten. Und Mamin versicherte zwar
Mittelitalien seiner größten Sympathien, erklärte aber gleichzeitig, daß er es in


Grenzboten III. 1869. 49

„es ist gar nicht möglich, sich einen Begriff von den'Zweideutigkeiten, Jammer,
lichkeiten und von der Feigheit zu machen, welche dieser Fürst an den Tag
gelegt hat." Im Augenblick, da Gioberti endlich auf eigene Faust im Kirchen¬
staat und in Toscana interveniren wollte, um Oestreich zuvorzukommen, ließ
ihn Karl Albert wie die übrigen Minister im Stich und er nahm seine Ent¬
lassung. Mit Recht war er der Meinung gewesen, daß wenn die Wieder¬
aufnahme des Kriegs wirklich eine verhängnißvolle Nothwendigkeit war, jene
Intervention zu Gunsten des Großherzogs und des Papstes, welcher sich selbst
Lord Palmerston nicht abgeneigt gezeigt hatte, besten Anlaß dargeboten und
Piemont wenigstens eine ungleich günstigere Position verschafft hätte.

Die jämmerliche Unfähigkeit der Radicalen, die nun in Florenz und
Rom schälkelen, zeigte sich jetzt erst, da sie nach Beseitigung der constitutio-
nellen Regierungen Hand an die Aufrichtung der Republik legen sollten. In
Rom wurde der feierliche Beschluß gefaßt, Toscana zur Unification einzu¬
laden. Mazzini selbst erschien festlich aufgenommen in Florenz und predigte
die Verschmelzung. Allein in Florenz war man jetzt plötzlich vorsichtig ge¬
worden, die Union sollte nur im Princip aufgestellt werden, blos über einen
Zoll- und Militärvertrag wollte man zunächst verhandeln, und als man in
Rom detaillirte Vorschläge zu diesem Zweck ausarbeitete, fand man diese zu
weitgehend. Die Constituente, so pomphaft als das Universalheilmittel an¬
gekündigt, schrumpfte schließlich zum Projekt einer gemischten Militärcommission
zu Bologna zusammen, und vor lauter mißtrauischen Bedenken und Eifer¬
süchteleien kam es Nicht einmal darüber zu einer Einigung. Dafür aber
schimpfte man aus Leibeskräften über Karl Albert und die Saumseligkeit der
piemontesischen Kriegsrüstungen, während die letzten Versuche des Turiner
Cabinets, Anfangs März, von Rom und Toscana Hilfe zum Krieg zu er¬
langen, mit leeren Versprechungen beantwortet wurden.

In welchem Credit die Lenker Mittelitaliens standen, zeigte sich nament¬
lich an der Aufnahme, welche ihre Eröffnungen in Sicilien und in Venedig
fanden. Montanelli hatte sich geschmeichelt, daß nach dem neuen nationalen
Centrum ohne Verzug Sicilien und Venedig, und später durch Zwang auch
Neapel und Piemont gravitiren würden. Allein die provisorische Regierung
in Palermo nahm die Gesandten von Rom und Florenz, die über einen
Allianzvertrag und die Beschickung der Constituenten verhandeln sollten,
nicht einmal in offiziöser Weise an, so daß sie sich mit den Sympathie-
bezeugungen der Volksvereine begnügen mußten. Man sprach sich in Palermo
in höchst drastischer Weise über die Unvernunft und die Unsolidität der ephe¬
meren Schöpfung in Mittelitalien aus und erklärte, dem Unifieationsproject
gegenüber am föderativem Princip festzuhalten. Und Mamin versicherte zwar
Mittelitalien seiner größten Sympathien, erklärte aber gleichzeitig, daß er es in


Grenzboten III. 1869. 49
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/393>, abgerufen am 25.08.2024.