Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sandte Gioberti's wurde in Neapel gar nicht angenommen und die Rück¬
sichtslosigkeiten dieses Hoff steigerten sich derart, daß Piemont Anfangs Fe¬
bruar genöthigt war, die diplomatischen Beziehungen mit Neapel abzubrechen.

An Montanelli nach Florenz hatte Gioberti wenige Tage nach seinem
Amtsantritt eine Note geschickt, welche seine Meinung über die Constituente
erläuterte. "Die sardinische Regierung, schrieb er am 21. Dezember, sei
bereit, zu einer föderativem Versammlung die Hand zu bieten, nicht aber zu
einer constituirenden, die in die inneren Verhältnisse der Einzelstaaten ein-
griffe und nothwendig nur zu Hader und Factionen führen würde. Ebenso
wenig könne er einer Constituente beistimmen, welche die legale Existenz
von Oberitalien in Frage stellte, denn dieses sei eine Stütze für ganz Italien
und kein anderer italienischer Staat habe von ihm etwas zu fürchten, da ihre
besonderen Rechte im Bundesvertrag garantirt werden sollten. Am 1- Januar
sandte Gioberti in besonderer Mission Nosellini nach Florenz und ertheilte
ihm Instruktionen, von denen Bianchi nicht zu viel behauptet, wenn er in
ihnen die Signatur eines staatsmännischen Kopfs ersten Ranges findet. Vor
Allem führte Gioberti hier aus, daß es sich jetzt nicht um eine theoretische
Frage, sondern um eine praktische Frage handle, nicht darum, was über¬
haupt das beste, sondern darum, was im Augenblick erreichbar sei. An sich
sei die absolute Einheit, wie Frankreich und die anderen großen Nationen
sie besitzen, das wünschenswertheste; dennoch verzichte er auf die Einheit und
begnüge sich mit der Union, weil sie jetzt allein durchführbar sei. Sie sei
möglich, sobald Rom und Toscana wollten. Toscana halte jetzt eng zu Rom,
aber die beiden zusammen könnten die Unabhängigkeit nicht erlangen, weil sie
ohne Heer seien, und sich selbst überlassen, nur die sichere Beute der Frem¬
den werden würden. Sie also brauchen nothwendig Piemont und müssen
sich dessen Bedürfnissen fügen, nicht aber umgekehrt Piemont den Wünschen
Toscanas und Roms. Dies sage ich als Italiener, nicht als Piemonrese.
Denn nicht das Interesse dieser oder jener Provinz habe ich im Auge, son¬
dern das allgemeine Wohl. Piemont allein steht in Waffen, und die piemon-
tesische Negierung vermag nichts zu thun ohne die Mitwirkung des Heers,
sie kann nur eine Politik befolgen, die ihr das Heer nicht entfremdet. Oder
steht vielleicht das Königreich Oberitalien im Wege? Aber gibt es etwas
Legitimeres als einen Staat, der durch den freien Willen der Bevölkerung
geheiligt ist? Oder steht er etwa den anderen Staaten feindlich im Wege?
Möge Toscana zusehen, daß es nicht von den tückischen Sophismen der
Feinde des piemontesischen Staates sich bethören lasse. Diese Feinde sind
einmal die Fremden, welche in ihm die Kraft Italiens hassen, und dann die
Utopisten, welche die Republik und den Einheitsstaat wollen. Dieser Staat
wird vielmehr Allen ein Schutz sein, denn er ist die wirksamste Bürgschaft


sandte Gioberti's wurde in Neapel gar nicht angenommen und die Rück¬
sichtslosigkeiten dieses Hoff steigerten sich derart, daß Piemont Anfangs Fe¬
bruar genöthigt war, die diplomatischen Beziehungen mit Neapel abzubrechen.

An Montanelli nach Florenz hatte Gioberti wenige Tage nach seinem
Amtsantritt eine Note geschickt, welche seine Meinung über die Constituente
erläuterte. „Die sardinische Regierung, schrieb er am 21. Dezember, sei
bereit, zu einer föderativem Versammlung die Hand zu bieten, nicht aber zu
einer constituirenden, die in die inneren Verhältnisse der Einzelstaaten ein-
griffe und nothwendig nur zu Hader und Factionen führen würde. Ebenso
wenig könne er einer Constituente beistimmen, welche die legale Existenz
von Oberitalien in Frage stellte, denn dieses sei eine Stütze für ganz Italien
und kein anderer italienischer Staat habe von ihm etwas zu fürchten, da ihre
besonderen Rechte im Bundesvertrag garantirt werden sollten. Am 1- Januar
sandte Gioberti in besonderer Mission Nosellini nach Florenz und ertheilte
ihm Instruktionen, von denen Bianchi nicht zu viel behauptet, wenn er in
ihnen die Signatur eines staatsmännischen Kopfs ersten Ranges findet. Vor
Allem führte Gioberti hier aus, daß es sich jetzt nicht um eine theoretische
Frage, sondern um eine praktische Frage handle, nicht darum, was über¬
haupt das beste, sondern darum, was im Augenblick erreichbar sei. An sich
sei die absolute Einheit, wie Frankreich und die anderen großen Nationen
sie besitzen, das wünschenswertheste; dennoch verzichte er auf die Einheit und
begnüge sich mit der Union, weil sie jetzt allein durchführbar sei. Sie sei
möglich, sobald Rom und Toscana wollten. Toscana halte jetzt eng zu Rom,
aber die beiden zusammen könnten die Unabhängigkeit nicht erlangen, weil sie
ohne Heer seien, und sich selbst überlassen, nur die sichere Beute der Frem¬
den werden würden. Sie also brauchen nothwendig Piemont und müssen
sich dessen Bedürfnissen fügen, nicht aber umgekehrt Piemont den Wünschen
Toscanas und Roms. Dies sage ich als Italiener, nicht als Piemonrese.
Denn nicht das Interesse dieser oder jener Provinz habe ich im Auge, son¬
dern das allgemeine Wohl. Piemont allein steht in Waffen, und die piemon-
tesische Negierung vermag nichts zu thun ohne die Mitwirkung des Heers,
sie kann nur eine Politik befolgen, die ihr das Heer nicht entfremdet. Oder
steht vielleicht das Königreich Oberitalien im Wege? Aber gibt es etwas
Legitimeres als einen Staat, der durch den freien Willen der Bevölkerung
geheiligt ist? Oder steht er etwa den anderen Staaten feindlich im Wege?
Möge Toscana zusehen, daß es nicht von den tückischen Sophismen der
Feinde des piemontesischen Staates sich bethören lasse. Diese Feinde sind
einmal die Fremden, welche in ihm die Kraft Italiens hassen, und dann die
Utopisten, welche die Republik und den Einheitsstaat wollen. Dieser Staat
wird vielmehr Allen ein Schutz sein, denn er ist die wirksamste Bürgschaft


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121612"/>
            <p xml:id="ID_1201" prev="#ID_1200"> sandte Gioberti's wurde in Neapel gar nicht angenommen und die Rück¬<lb/>
sichtslosigkeiten dieses Hoff steigerten sich derart, daß Piemont Anfangs Fe¬<lb/>
bruar genöthigt war, die diplomatischen Beziehungen mit Neapel abzubrechen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1202" next="#ID_1203"> An Montanelli nach Florenz hatte Gioberti wenige Tage nach seinem<lb/>
Amtsantritt eine Note geschickt, welche seine Meinung über die Constituente<lb/>
erläuterte. &#x201E;Die sardinische Regierung, schrieb er am 21. Dezember, sei<lb/>
bereit, zu einer föderativem Versammlung die Hand zu bieten, nicht aber zu<lb/>
einer constituirenden, die in die inneren Verhältnisse der Einzelstaaten ein-<lb/>
griffe und nothwendig nur zu Hader und Factionen führen würde. Ebenso<lb/>
wenig könne er einer Constituente beistimmen, welche die legale Existenz<lb/>
von Oberitalien in Frage stellte, denn dieses sei eine Stütze für ganz Italien<lb/>
und kein anderer italienischer Staat habe von ihm etwas zu fürchten, da ihre<lb/>
besonderen Rechte im Bundesvertrag garantirt werden sollten. Am 1- Januar<lb/>
sandte Gioberti in besonderer Mission Nosellini nach Florenz und ertheilte<lb/>
ihm Instruktionen, von denen Bianchi nicht zu viel behauptet, wenn er in<lb/>
ihnen die Signatur eines staatsmännischen Kopfs ersten Ranges findet. Vor<lb/>
Allem führte Gioberti hier aus, daß es sich jetzt nicht um eine theoretische<lb/>
Frage, sondern um eine praktische Frage handle, nicht darum, was über¬<lb/>
haupt das beste, sondern darum, was im Augenblick erreichbar sei. An sich<lb/>
sei die absolute Einheit, wie Frankreich und die anderen großen Nationen<lb/>
sie besitzen, das wünschenswertheste; dennoch verzichte er auf die Einheit und<lb/>
begnüge sich mit der Union, weil sie jetzt allein durchführbar sei. Sie sei<lb/>
möglich, sobald Rom und Toscana wollten. Toscana halte jetzt eng zu Rom,<lb/>
aber die beiden zusammen könnten die Unabhängigkeit nicht erlangen, weil sie<lb/>
ohne Heer seien, und sich selbst überlassen, nur die sichere Beute der Frem¬<lb/>
den werden würden. Sie also brauchen nothwendig Piemont und müssen<lb/>
sich dessen Bedürfnissen fügen, nicht aber umgekehrt Piemont den Wünschen<lb/>
Toscanas und Roms. Dies sage ich als Italiener, nicht als Piemonrese.<lb/>
Denn nicht das Interesse dieser oder jener Provinz habe ich im Auge, son¬<lb/>
dern das allgemeine Wohl. Piemont allein steht in Waffen, und die piemon-<lb/>
tesische Negierung vermag nichts zu thun ohne die Mitwirkung des Heers,<lb/>
sie kann nur eine Politik befolgen, die ihr das Heer nicht entfremdet. Oder<lb/>
steht vielleicht das Königreich Oberitalien im Wege? Aber gibt es etwas<lb/>
Legitimeres als einen Staat, der durch den freien Willen der Bevölkerung<lb/>
geheiligt ist? Oder steht er etwa den anderen Staaten feindlich im Wege?<lb/>
Möge Toscana zusehen, daß es nicht von den tückischen Sophismen der<lb/>
Feinde des piemontesischen Staates sich bethören lasse. Diese Feinde sind<lb/>
einmal die Fremden, welche in ihm die Kraft Italiens hassen, und dann die<lb/>
Utopisten, welche die Republik und den Einheitsstaat wollen. Dieser Staat<lb/>
wird vielmehr Allen ein Schutz sein, denn er ist die wirksamste Bürgschaft</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0391] sandte Gioberti's wurde in Neapel gar nicht angenommen und die Rück¬ sichtslosigkeiten dieses Hoff steigerten sich derart, daß Piemont Anfangs Fe¬ bruar genöthigt war, die diplomatischen Beziehungen mit Neapel abzubrechen. An Montanelli nach Florenz hatte Gioberti wenige Tage nach seinem Amtsantritt eine Note geschickt, welche seine Meinung über die Constituente erläuterte. „Die sardinische Regierung, schrieb er am 21. Dezember, sei bereit, zu einer föderativem Versammlung die Hand zu bieten, nicht aber zu einer constituirenden, die in die inneren Verhältnisse der Einzelstaaten ein- griffe und nothwendig nur zu Hader und Factionen führen würde. Ebenso wenig könne er einer Constituente beistimmen, welche die legale Existenz von Oberitalien in Frage stellte, denn dieses sei eine Stütze für ganz Italien und kein anderer italienischer Staat habe von ihm etwas zu fürchten, da ihre besonderen Rechte im Bundesvertrag garantirt werden sollten. Am 1- Januar sandte Gioberti in besonderer Mission Nosellini nach Florenz und ertheilte ihm Instruktionen, von denen Bianchi nicht zu viel behauptet, wenn er in ihnen die Signatur eines staatsmännischen Kopfs ersten Ranges findet. Vor Allem führte Gioberti hier aus, daß es sich jetzt nicht um eine theoretische Frage, sondern um eine praktische Frage handle, nicht darum, was über¬ haupt das beste, sondern darum, was im Augenblick erreichbar sei. An sich sei die absolute Einheit, wie Frankreich und die anderen großen Nationen sie besitzen, das wünschenswertheste; dennoch verzichte er auf die Einheit und begnüge sich mit der Union, weil sie jetzt allein durchführbar sei. Sie sei möglich, sobald Rom und Toscana wollten. Toscana halte jetzt eng zu Rom, aber die beiden zusammen könnten die Unabhängigkeit nicht erlangen, weil sie ohne Heer seien, und sich selbst überlassen, nur die sichere Beute der Frem¬ den werden würden. Sie also brauchen nothwendig Piemont und müssen sich dessen Bedürfnissen fügen, nicht aber umgekehrt Piemont den Wünschen Toscanas und Roms. Dies sage ich als Italiener, nicht als Piemonrese. Denn nicht das Interesse dieser oder jener Provinz habe ich im Auge, son¬ dern das allgemeine Wohl. Piemont allein steht in Waffen, und die piemon- tesische Negierung vermag nichts zu thun ohne die Mitwirkung des Heers, sie kann nur eine Politik befolgen, die ihr das Heer nicht entfremdet. Oder steht vielleicht das Königreich Oberitalien im Wege? Aber gibt es etwas Legitimeres als einen Staat, der durch den freien Willen der Bevölkerung geheiligt ist? Oder steht er etwa den anderen Staaten feindlich im Wege? Möge Toscana zusehen, daß es nicht von den tückischen Sophismen der Feinde des piemontesischen Staates sich bethören lasse. Diese Feinde sind einmal die Fremden, welche in ihm die Kraft Italiens hassen, und dann die Utopisten, welche die Republik und den Einheitsstaat wollen. Dieser Staat wird vielmehr Allen ein Schutz sein, denn er ist die wirksamste Bürgschaft

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/391
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/391>, abgerufen am 25.08.2024.