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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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tretern der einzelnen Staaten zusammensetzen. Was ihn zum Verfechter des
Staatenprincips machte, war neben dem Wunsch, die anderen Fürsten zu gewin¬
nen, das Bewußtsein von der Nothwendigkeit, daß vor Allem der piemontesische
Staat aufrecht bleiben müsse. Verhütet mußte werden, daß Piemont in den
Strudel der auflösenden Bewegung Mittelitaliens hineingerissen würde. Gioberti
wollte die Conföderation, sie war der Hauptpunkt seines Programms, und
als er nach dem Waffenstillstand Salasco mit dem Ministerium Casati abge¬
treten war, hatte er einen eigenen Verein zur Propaganda für die föderative
Idee gestiftet und in Turin einen, etwas phantastischen, föderativem Congreß
veranstaltet. Dieses Programm war fast unzertrennlich von dem Namen dessen,
der es zum erstenmal ausgesprochen. Allein seitdem er es zuerst als einen
zündenden Funken unter seine Volksgenossen geworfen, war ihm die Be-
deutung des piemontesischen Staats immer deutlicher aufgegangen. Jetzt da
er ihn zu leiten hatte, war ihm vollends die Pflicht gegen diesen Staat
identisch mit der Pflicht gegen Italien. Im Königreich Oberitalien sah er
eine wirksame Garantie für die gemeinsame Unabhängigkeit und darum erklärte
er es für Verbrechen und Frevel, dessen Existenz in Frage zu stellen. Die
Zukunft Italiens lag ihm im Staatenbunde, in den aber Piemont nur als
das vergrößerte Piemont, als der subalpinische Staat, bekleidet mit der un¬
fraglichen Hegemonie, eintreten sollte. So wollte er zwei Standpunkte ver¬
söhnen, die bisher nur gegen einander ins Feld geführt worden waren und
sich paralhsirt hatten. Es war dies in der That die reife Frucht seiner po¬
litischen Erfahrungen, die Abklärung seiner phantastischen Ideale. Er wollte
diejenige Form des italienischen Bundesstaats, von der allein vielleicht be¬
dauert werden mag, daß niemals ein ernstlicher Versuch zu ihrer Durch¬
führung gemacht worden ist. Damals freilich war an eine Durchführung
bereits nicht mehr zu denken, wenn wir auch noch mit Interesse diesen letzten
Versuchen Gioberti's folgen.

Nach Florenz, nach Rom, nach Neapel ließ Gioberti seine Einladung
zur Bildung einer Conföderation ergehen. Ueberall hob er hervor, daß die
Conföderation das Mittel sei, ebenso die Eintracht zwischen den Fürsten und
Völkern behufs Erlangung der nationalen Unabhängigkeit wiederherzustellen, als
insbesondere jede fremde Einmischung in die inneren Angelegenheiten
Italiens zurückzuweisen. Den Fürsten stellte er vor, daß dieser Staatenbund
nichts die Monarchie Beeinträchtigendes habe, jedem Staat seine Selbstän¬
digkeit vielmehr verbürge als entziehe. Der Ernst, mit welchem Gioberti
das Zustandekommen des Bundes betrieb, leuchtet aus jeder seiner Depeschen
hervor. Was Neapel betraf, so war er sogar bereit, einen Gesandten nach
Sicilien zu schicken, um die Aussöhnung der aufgestandenen Insel mit ihrem
Souverän auf Grundlage des Staatenbundes zu versuchen. Allein der Ge-


tretern der einzelnen Staaten zusammensetzen. Was ihn zum Verfechter des
Staatenprincips machte, war neben dem Wunsch, die anderen Fürsten zu gewin¬
nen, das Bewußtsein von der Nothwendigkeit, daß vor Allem der piemontesische
Staat aufrecht bleiben müsse. Verhütet mußte werden, daß Piemont in den
Strudel der auflösenden Bewegung Mittelitaliens hineingerissen würde. Gioberti
wollte die Conföderation, sie war der Hauptpunkt seines Programms, und
als er nach dem Waffenstillstand Salasco mit dem Ministerium Casati abge¬
treten war, hatte er einen eigenen Verein zur Propaganda für die föderative
Idee gestiftet und in Turin einen, etwas phantastischen, föderativem Congreß
veranstaltet. Dieses Programm war fast unzertrennlich von dem Namen dessen,
der es zum erstenmal ausgesprochen. Allein seitdem er es zuerst als einen
zündenden Funken unter seine Volksgenossen geworfen, war ihm die Be-
deutung des piemontesischen Staats immer deutlicher aufgegangen. Jetzt da
er ihn zu leiten hatte, war ihm vollends die Pflicht gegen diesen Staat
identisch mit der Pflicht gegen Italien. Im Königreich Oberitalien sah er
eine wirksame Garantie für die gemeinsame Unabhängigkeit und darum erklärte
er es für Verbrechen und Frevel, dessen Existenz in Frage zu stellen. Die
Zukunft Italiens lag ihm im Staatenbunde, in den aber Piemont nur als
das vergrößerte Piemont, als der subalpinische Staat, bekleidet mit der un¬
fraglichen Hegemonie, eintreten sollte. So wollte er zwei Standpunkte ver¬
söhnen, die bisher nur gegen einander ins Feld geführt worden waren und
sich paralhsirt hatten. Es war dies in der That die reife Frucht seiner po¬
litischen Erfahrungen, die Abklärung seiner phantastischen Ideale. Er wollte
diejenige Form des italienischen Bundesstaats, von der allein vielleicht be¬
dauert werden mag, daß niemals ein ernstlicher Versuch zu ihrer Durch¬
führung gemacht worden ist. Damals freilich war an eine Durchführung
bereits nicht mehr zu denken, wenn wir auch noch mit Interesse diesen letzten
Versuchen Gioberti's folgen.

Nach Florenz, nach Rom, nach Neapel ließ Gioberti seine Einladung
zur Bildung einer Conföderation ergehen. Ueberall hob er hervor, daß die
Conföderation das Mittel sei, ebenso die Eintracht zwischen den Fürsten und
Völkern behufs Erlangung der nationalen Unabhängigkeit wiederherzustellen, als
insbesondere jede fremde Einmischung in die inneren Angelegenheiten
Italiens zurückzuweisen. Den Fürsten stellte er vor, daß dieser Staatenbund
nichts die Monarchie Beeinträchtigendes habe, jedem Staat seine Selbstän¬
digkeit vielmehr verbürge als entziehe. Der Ernst, mit welchem Gioberti
das Zustandekommen des Bundes betrieb, leuchtet aus jeder seiner Depeschen
hervor. Was Neapel betraf, so war er sogar bereit, einen Gesandten nach
Sicilien zu schicken, um die Aussöhnung der aufgestandenen Insel mit ihrem
Souverän auf Grundlage des Staatenbundes zu versuchen. Allein der Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/390>, abgerufen am 25.08.2024.