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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Gioberti frischweg für die Säkularisation des Kirchenstaats eiferte und so mit
eigener Hand sein einstiges Ideal wieder zertrümmerte. Von da war er
immer tiefer in die demokratische Agitation gerathen, in der sardinischen
Kammer gehörte er zu den heftigsten Anklägern des Ministeriums, das er
mit Profferio um die Wette in einen neuen Krieg treiben wollte, und seine
Verbindung mit den Radicalen war es, die ihn nun jetzt an die Spitze des
Staats stellte, dessen nächste Gefahr eben in dem Andrängen der Radicalen
bestand. Leidenschaftlich, unberechenbar, ehrgeizig, voll von sprudelnden
Ideen, so schien er der gefährlichste Minister, der in diesem Moment der
Krisis die Leitung des Staatsschiffs übernehmen konnte. Und dennoch wird
man sagen müssen, daß schwerlich ein anderer als diese vielseitige Natur den
vielseitigen Anforderungen der Lage gewachsen war. Er versuchte sich an
einer Aufgabe, die bereits unmöglich geworden war, aber er behandelte sie
noch einmal mit einer gewissen Größe, mit einer Geschicklichkeit im Einzelnen
und mit einer Energie, die doch wieder der Versöhnlichkeit nicht entbehrte.
Nicomede Bianchi ist der Meinung, daß Gioberti das Zeug zu einem be¬
deutenden Staatsmann in sich gehabt habe und daß eine längere Erfahrung
auch die Schärfen seines Charakters gemildert und ihm jenes ruhige Gleich'
gewicht verliehen hätte, das ihm allerdings abging. Für uns Deutsche ist
es noch überdem von Interesse, aus einer seiner Depeschen zu ersehen, mit
welcher Scharfsichtigkeit er gleichzeitig unsere Einheitsbewegung beurtheilte.
Die Jnstructionen, die er seinem Bevollmächtigten bei der deutschen Central-
gewalt, dem Demokraten Lorenzo Valerio Ende December 1848 nach Frank¬
furt mitgab, faßten kurz und bündig die Gründe zusammen, welche die deut¬
sche Nation im Interesse ihrer Einheit. Freiheit und Größe bestimmen
müßten, sich von Oestreich zu trennen und sich unter Preußens Führung zu
constituiren, und aus denselben Gründen leitete er den Satz ab, daß für den
deutschen Bund die italienische Allianz ungleich naturgemäßer wäre als die
östreichische, ein Satz, für den er freilich damals in Deutschland ebensowenig
auf Anerkennung rechnen konnte, als für sein nationales Programm bei seinen
Landsleuten.

"Vier Hauptpunkte -- sagte Gioberti in seiner Ministerrede vor der
Kammer -- umfaßt die Idee der Wiedergeburt Italiens; die Reformen, die
Verfassung, die Unabhängigkeit, die Conföderation. In diesen vier Punkten
ist Alles begriffen, was in unsern Wünschen und Hoffnungen Vernünftiges
und Ausführbares ist. Das Uebrige ist, so wie die Dinge gegenwär-
tig liegen, Traum und Utopie." Damit war den unitarischen Republi¬
kanern sofort der Handschuh hingeworfen, ebenso der Cvnstituente Monta-
nelli's. Gioberti wollte die Nationalversammlung nicht aus dem allge¬
meinen Stimmrecht der Italiener hervorgehen lassen, sondern aus Ver-


Gioberti frischweg für die Säkularisation des Kirchenstaats eiferte und so mit
eigener Hand sein einstiges Ideal wieder zertrümmerte. Von da war er
immer tiefer in die demokratische Agitation gerathen, in der sardinischen
Kammer gehörte er zu den heftigsten Anklägern des Ministeriums, das er
mit Profferio um die Wette in einen neuen Krieg treiben wollte, und seine
Verbindung mit den Radicalen war es, die ihn nun jetzt an die Spitze des
Staats stellte, dessen nächste Gefahr eben in dem Andrängen der Radicalen
bestand. Leidenschaftlich, unberechenbar, ehrgeizig, voll von sprudelnden
Ideen, so schien er der gefährlichste Minister, der in diesem Moment der
Krisis die Leitung des Staatsschiffs übernehmen konnte. Und dennoch wird
man sagen müssen, daß schwerlich ein anderer als diese vielseitige Natur den
vielseitigen Anforderungen der Lage gewachsen war. Er versuchte sich an
einer Aufgabe, die bereits unmöglich geworden war, aber er behandelte sie
noch einmal mit einer gewissen Größe, mit einer Geschicklichkeit im Einzelnen
und mit einer Energie, die doch wieder der Versöhnlichkeit nicht entbehrte.
Nicomede Bianchi ist der Meinung, daß Gioberti das Zeug zu einem be¬
deutenden Staatsmann in sich gehabt habe und daß eine längere Erfahrung
auch die Schärfen seines Charakters gemildert und ihm jenes ruhige Gleich'
gewicht verliehen hätte, das ihm allerdings abging. Für uns Deutsche ist
es noch überdem von Interesse, aus einer seiner Depeschen zu ersehen, mit
welcher Scharfsichtigkeit er gleichzeitig unsere Einheitsbewegung beurtheilte.
Die Jnstructionen, die er seinem Bevollmächtigten bei der deutschen Central-
gewalt, dem Demokraten Lorenzo Valerio Ende December 1848 nach Frank¬
furt mitgab, faßten kurz und bündig die Gründe zusammen, welche die deut¬
sche Nation im Interesse ihrer Einheit. Freiheit und Größe bestimmen
müßten, sich von Oestreich zu trennen und sich unter Preußens Führung zu
constituiren, und aus denselben Gründen leitete er den Satz ab, daß für den
deutschen Bund die italienische Allianz ungleich naturgemäßer wäre als die
östreichische, ein Satz, für den er freilich damals in Deutschland ebensowenig
auf Anerkennung rechnen konnte, als für sein nationales Programm bei seinen
Landsleuten.

„Vier Hauptpunkte — sagte Gioberti in seiner Ministerrede vor der
Kammer — umfaßt die Idee der Wiedergeburt Italiens; die Reformen, die
Verfassung, die Unabhängigkeit, die Conföderation. In diesen vier Punkten
ist Alles begriffen, was in unsern Wünschen und Hoffnungen Vernünftiges
und Ausführbares ist. Das Uebrige ist, so wie die Dinge gegenwär-
tig liegen, Traum und Utopie." Damit war den unitarischen Republi¬
kanern sofort der Handschuh hingeworfen, ebenso der Cvnstituente Monta-
nelli's. Gioberti wollte die Nationalversammlung nicht aus dem allge¬
meinen Stimmrecht der Italiener hervorgehen lassen, sondern aus Ver-


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[0389] Gioberti frischweg für die Säkularisation des Kirchenstaats eiferte und so mit eigener Hand sein einstiges Ideal wieder zertrümmerte. Von da war er immer tiefer in die demokratische Agitation gerathen, in der sardinischen Kammer gehörte er zu den heftigsten Anklägern des Ministeriums, das er mit Profferio um die Wette in einen neuen Krieg treiben wollte, und seine Verbindung mit den Radicalen war es, die ihn nun jetzt an die Spitze des Staats stellte, dessen nächste Gefahr eben in dem Andrängen der Radicalen bestand. Leidenschaftlich, unberechenbar, ehrgeizig, voll von sprudelnden Ideen, so schien er der gefährlichste Minister, der in diesem Moment der Krisis die Leitung des Staatsschiffs übernehmen konnte. Und dennoch wird man sagen müssen, daß schwerlich ein anderer als diese vielseitige Natur den vielseitigen Anforderungen der Lage gewachsen war. Er versuchte sich an einer Aufgabe, die bereits unmöglich geworden war, aber er behandelte sie noch einmal mit einer gewissen Größe, mit einer Geschicklichkeit im Einzelnen und mit einer Energie, die doch wieder der Versöhnlichkeit nicht entbehrte. Nicomede Bianchi ist der Meinung, daß Gioberti das Zeug zu einem be¬ deutenden Staatsmann in sich gehabt habe und daß eine längere Erfahrung auch die Schärfen seines Charakters gemildert und ihm jenes ruhige Gleich' gewicht verliehen hätte, das ihm allerdings abging. Für uns Deutsche ist es noch überdem von Interesse, aus einer seiner Depeschen zu ersehen, mit welcher Scharfsichtigkeit er gleichzeitig unsere Einheitsbewegung beurtheilte. Die Jnstructionen, die er seinem Bevollmächtigten bei der deutschen Central- gewalt, dem Demokraten Lorenzo Valerio Ende December 1848 nach Frank¬ furt mitgab, faßten kurz und bündig die Gründe zusammen, welche die deut¬ sche Nation im Interesse ihrer Einheit. Freiheit und Größe bestimmen müßten, sich von Oestreich zu trennen und sich unter Preußens Führung zu constituiren, und aus denselben Gründen leitete er den Satz ab, daß für den deutschen Bund die italienische Allianz ungleich naturgemäßer wäre als die östreichische, ein Satz, für den er freilich damals in Deutschland ebensowenig auf Anerkennung rechnen konnte, als für sein nationales Programm bei seinen Landsleuten. „Vier Hauptpunkte — sagte Gioberti in seiner Ministerrede vor der Kammer — umfaßt die Idee der Wiedergeburt Italiens; die Reformen, die Verfassung, die Unabhängigkeit, die Conföderation. In diesen vier Punkten ist Alles begriffen, was in unsern Wünschen und Hoffnungen Vernünftiges und Ausführbares ist. Das Uebrige ist, so wie die Dinge gegenwär- tig liegen, Traum und Utopie." Damit war den unitarischen Republi¬ kanern sofort der Handschuh hingeworfen, ebenso der Cvnstituente Monta- nelli's. Gioberti wollte die Nationalversammlung nicht aus dem allge¬ meinen Stimmrecht der Italiener hervorgehen lassen, sondern aus Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/389>, abgerufen am 25.08.2024.