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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Ministerium Percone sei anderer Ansicht, und da die neuesten Instruktionen
--- so schloß Nosmini-- nicht mehr mit denen, die er von Gioberti erhalten,
übereinstimmten, so bitte er um seine Abberufung.

In Rom erregten die Eröffnungen, die Nosmini im Auftrag seines Ca-
binets zu machen hatte, den größten Unmuth. Bargagli, der toscanische
Gesandte, und Pellegrino Rossi tauschten ihre Entrüstung über die "perfide
Politik", über die "exorbitanten Forderungen" Piemonts aus, durch welche
jede Möglichkeit von Verhandlungen abgeschnitten werde. Die Geschichte
werde einst richten über diese Länder gier, welche das Scheitern der Conföde-
rationsidee verschulde. Rossi war besonders erbost. Er zog die Eventualität
eines gegen Piemont gerichteten Bundes mit Neapel in Erwägung, und alle
Rücksichten, bei Seite setzend, ließ er auch in der Presse die heftigsten An¬
klagen gegen Piemont schleudern, eine Polemik, die in diesem Augenblick
nur dazu dienen konnte, den subversiven Parteien Nahrung zu geben, von
denen der Kirchenstaat jedenfalls mehr bedroht war als Piemont.

Für Rossi, der gerne mit der Phrase spielte, die Einheit Italiens sei
keineswegs gleichbedeutend mit der Vergrößerung Piemonts, stand es über¬
dies fest, daß der Versuch, die Lombardei und Venetien zu befreien, bereits
definitiv gescheitert sei. Er wollte einen Bund, aber nur einen Bund für den
Frieden zur Aufrechthaltung des Gleichgewichts unter den Staaten, und auch
das Project Rosmini's trug ihm einen viel zu präcisen und zu gefährlichen
Charakter. Noch ehe die Forderungen des Turiner Cabinets bekannt ge¬
worden, suchte er den Papst mit Vorspieglung der Gefahren zu schrecken,
welche die Errichtung eines permanenten, aus Volksabgcordneten bestehenden
Bundestages für ihn unvermeidlich haben werde, und stellte einen neuen Ent¬
wurf auf, in welchem die Bestimmungen Rosmini's abgeblaßt, der nationale
Charakter vermischt war, und der nur auf einen Bund der Fürsten zielte:
die Bevollmächtigten sollten nicht aus erwählten Abgeordneten, sondern aus
ernannten Diplomaten bestehen, und der von ihnen auszuarbeitende Ent¬
wurf den Einzelkammern zur Genehmigung vorgelegt werden.

Gerade die Unbestimmtheit des Entwurfs war indessen für das Turiner
Cabinet ein Motiv, sich nicht ablehnend zu demselben zu verhalten. Auch
war Percone -- offenbar Angesichts der wachsenden Propaganda der Radi-
calen -- mit der Bestimmung einverstanden, daß die Bevollmächtigten nur
von den Fürsten ernannt werden sollten, und noch am 23. Octbr. gab das
Turiner Cabinet in Rom die Erklärung ab, daß es bereit sei, auf Grund¬
lage von Rossis Project zu verhandeln und einen unverzüglich nach Rom
einzuberufenden Congreß zu beschicken. Dagegen stieß dieses Project auf den
Widerspruch Toscanas. Bargagli nannte es geradezu eine Betrügerei; es
sei schlechterdings unmöglich, die Kammern für die Genehmigung eines Pro-


Ministerium Percone sei anderer Ansicht, und da die neuesten Instruktionen
—- so schloß Nosmini— nicht mehr mit denen, die er von Gioberti erhalten,
übereinstimmten, so bitte er um seine Abberufung.

In Rom erregten die Eröffnungen, die Nosmini im Auftrag seines Ca-
binets zu machen hatte, den größten Unmuth. Bargagli, der toscanische
Gesandte, und Pellegrino Rossi tauschten ihre Entrüstung über die „perfide
Politik", über die „exorbitanten Forderungen" Piemonts aus, durch welche
jede Möglichkeit von Verhandlungen abgeschnitten werde. Die Geschichte
werde einst richten über diese Länder gier, welche das Scheitern der Conföde-
rationsidee verschulde. Rossi war besonders erbost. Er zog die Eventualität
eines gegen Piemont gerichteten Bundes mit Neapel in Erwägung, und alle
Rücksichten, bei Seite setzend, ließ er auch in der Presse die heftigsten An¬
klagen gegen Piemont schleudern, eine Polemik, die in diesem Augenblick
nur dazu dienen konnte, den subversiven Parteien Nahrung zu geben, von
denen der Kirchenstaat jedenfalls mehr bedroht war als Piemont.

Für Rossi, der gerne mit der Phrase spielte, die Einheit Italiens sei
keineswegs gleichbedeutend mit der Vergrößerung Piemonts, stand es über¬
dies fest, daß der Versuch, die Lombardei und Venetien zu befreien, bereits
definitiv gescheitert sei. Er wollte einen Bund, aber nur einen Bund für den
Frieden zur Aufrechthaltung des Gleichgewichts unter den Staaten, und auch
das Project Rosmini's trug ihm einen viel zu präcisen und zu gefährlichen
Charakter. Noch ehe die Forderungen des Turiner Cabinets bekannt ge¬
worden, suchte er den Papst mit Vorspieglung der Gefahren zu schrecken,
welche die Errichtung eines permanenten, aus Volksabgcordneten bestehenden
Bundestages für ihn unvermeidlich haben werde, und stellte einen neuen Ent¬
wurf auf, in welchem die Bestimmungen Rosmini's abgeblaßt, der nationale
Charakter vermischt war, und der nur auf einen Bund der Fürsten zielte:
die Bevollmächtigten sollten nicht aus erwählten Abgeordneten, sondern aus
ernannten Diplomaten bestehen, und der von ihnen auszuarbeitende Ent¬
wurf den Einzelkammern zur Genehmigung vorgelegt werden.

Gerade die Unbestimmtheit des Entwurfs war indessen für das Turiner
Cabinet ein Motiv, sich nicht ablehnend zu demselben zu verhalten. Auch
war Percone — offenbar Angesichts der wachsenden Propaganda der Radi-
calen — mit der Bestimmung einverstanden, daß die Bevollmächtigten nur
von den Fürsten ernannt werden sollten, und noch am 23. Octbr. gab das
Turiner Cabinet in Rom die Erklärung ab, daß es bereit sei, auf Grund¬
lage von Rossis Project zu verhandeln und einen unverzüglich nach Rom
einzuberufenden Congreß zu beschicken. Dagegen stieß dieses Project auf den
Widerspruch Toscanas. Bargagli nannte es geradezu eine Betrügerei; es
sei schlechterdings unmöglich, die Kammern für die Genehmigung eines Pro-


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[0382] Ministerium Percone sei anderer Ansicht, und da die neuesten Instruktionen —- so schloß Nosmini— nicht mehr mit denen, die er von Gioberti erhalten, übereinstimmten, so bitte er um seine Abberufung. In Rom erregten die Eröffnungen, die Nosmini im Auftrag seines Ca- binets zu machen hatte, den größten Unmuth. Bargagli, der toscanische Gesandte, und Pellegrino Rossi tauschten ihre Entrüstung über die „perfide Politik", über die „exorbitanten Forderungen" Piemonts aus, durch welche jede Möglichkeit von Verhandlungen abgeschnitten werde. Die Geschichte werde einst richten über diese Länder gier, welche das Scheitern der Conföde- rationsidee verschulde. Rossi war besonders erbost. Er zog die Eventualität eines gegen Piemont gerichteten Bundes mit Neapel in Erwägung, und alle Rücksichten, bei Seite setzend, ließ er auch in der Presse die heftigsten An¬ klagen gegen Piemont schleudern, eine Polemik, die in diesem Augenblick nur dazu dienen konnte, den subversiven Parteien Nahrung zu geben, von denen der Kirchenstaat jedenfalls mehr bedroht war als Piemont. Für Rossi, der gerne mit der Phrase spielte, die Einheit Italiens sei keineswegs gleichbedeutend mit der Vergrößerung Piemonts, stand es über¬ dies fest, daß der Versuch, die Lombardei und Venetien zu befreien, bereits definitiv gescheitert sei. Er wollte einen Bund, aber nur einen Bund für den Frieden zur Aufrechthaltung des Gleichgewichts unter den Staaten, und auch das Project Rosmini's trug ihm einen viel zu präcisen und zu gefährlichen Charakter. Noch ehe die Forderungen des Turiner Cabinets bekannt ge¬ worden, suchte er den Papst mit Vorspieglung der Gefahren zu schrecken, welche die Errichtung eines permanenten, aus Volksabgcordneten bestehenden Bundestages für ihn unvermeidlich haben werde, und stellte einen neuen Ent¬ wurf auf, in welchem die Bestimmungen Rosmini's abgeblaßt, der nationale Charakter vermischt war, und der nur auf einen Bund der Fürsten zielte: die Bevollmächtigten sollten nicht aus erwählten Abgeordneten, sondern aus ernannten Diplomaten bestehen, und der von ihnen auszuarbeitende Ent¬ wurf den Einzelkammern zur Genehmigung vorgelegt werden. Gerade die Unbestimmtheit des Entwurfs war indessen für das Turiner Cabinet ein Motiv, sich nicht ablehnend zu demselben zu verhalten. Auch war Percone — offenbar Angesichts der wachsenden Propaganda der Radi- calen — mit der Bestimmung einverstanden, daß die Bevollmächtigten nur von den Fürsten ernannt werden sollten, und noch am 23. Octbr. gab das Turiner Cabinet in Rom die Erklärung ab, daß es bereit sei, auf Grund¬ lage von Rossis Project zu verhandeln und einen unverzüglich nach Rom einzuberufenden Congreß zu beschicken. Dagegen stieß dieses Project auf den Widerspruch Toscanas. Bargagli nannte es geradezu eine Betrügerei; es sei schlechterdings unmöglich, die Kammern für die Genehmigung eines Pro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/382>, abgerufen am 03.07.2024.