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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Widerspruch und weicht von anderen Arbeiten Cabanels z. B. der mit aus¬
gestellten "Lautenspielerin", einem Meisterstück von tiefer und vornehmer
Färbung, und der ernst und bedeutend gehaltenen fein modellirten "Druide",
auf das unerfreulichste ab. Brion's Versuch, Licht und Schatten blos
als solche ohne allen Bezug zu wirklichem Stoff durch die Configuration
einer weißbärtigen nebulosen Greisenfigur und die Benennung "sechster
Schöpfungstag" zu stilisiren, verdient nur als aeroplastisches Experiment
Erwähnung. Es gibt Hoffnung, daß wir künstig den wirklichen Hergang
der Erdschöpfung gemalt erhalten, wobei dann Sanct Sauerstoff an Stelle
der altmodischen Cherubim fungiren wird. -- Damit zerfließt zum mindesten
hier vor unseren Augen die idealistische Kunstthätigkeit der Franzosen. Erst
das letzte Resultat der siebentägigen Schöpfungsplage reizt ihren Ehrgeiz
wieder.

Indeß sie sich um Helenen bemühn, überlassen sie uns die Arbeit
Fausts fast ausschließlich; denn mit dem seltenen Drang, die erhabene
Form und interesselose Schönheit zu verwirklichen, stellen sie uns heute
Niemanden gegenüber. Wie fast bei allen Gattungen, die auf der
Ausstellung vertreten sind, haben wir auch hier mit einer Klage zu be¬
ginnen: unser genialster Classiker Genelli fehlt, obgleich seine Oelgemälde sich
mit einer einzigen Ausnahme sämmtlich in München befinden. Diese em¬
pfindlichste Lücke ist nicht durch seinen kunstsinnigen Freund verschuldet, was
ausdrücklich erwähnt sein will; wie wir hören, ward Freiherr von Schock
veranlaßt, das von ihm gespendete Bild zurückzunehmen, da es einen ganz
ungünstigen Platz angewiesen erhielt. Jedenfalls ist die deutsche Abtheilung
dadurch nicht blos des bedeutendsten Werkes dieser Richtung, sondern über¬
haupt des Vortheils verlustig gegangen, ein umfassendes Staffeleibild großen
Stiles darzubringen. Die Ueberzeugung, daß Genelli's "Omphale" oder "Eu¬
ropa" die Krone der ganzen Ausstellung gewesen wäre, kann den Vorwurf
nur steigern. Sie bestätigt zu sehen, wäre ein überaus werthvolles Zeugniß
für das Lebensrccht des deutschen Idealismus gewesen, der in und außer
Land so lebhast discutirt wird. Aber wehrlos sind wir darum nicht: Rahl
ist da, wenn auch nur mit einem kleinen und in der Farbe nicht ganz erfreulichen
Bild "Urtheil des Paris"; aus dem "Götterbacchanal" von Wi s lie e n u s
sodann weht in sanfteren Schwung der Flügelschlag von Cornelius' Geiste,
auf dessen Tradition sich die Leiter der Düsseldorfer Kunstschule zu guter
Stunde besonnen haben; denn die Berufung des jungen Meisters, welche in
diesem Sinne geschah, dünkt uns die beste Jubiläumsgabe der rheinischen Aka¬
demie. Und daneben zeigen Th. Grosse's mythologische Kompositionen, die
gleich jenem Bilde in Leipzig g, drehe-o ausgeführt werden, daß der strengen
Monumental-Malerei, die es zugleich auf stilvolle Decoration bestimmter ar-


Widerspruch und weicht von anderen Arbeiten Cabanels z. B. der mit aus¬
gestellten „Lautenspielerin", einem Meisterstück von tiefer und vornehmer
Färbung, und der ernst und bedeutend gehaltenen fein modellirten „Druide",
auf das unerfreulichste ab. Brion's Versuch, Licht und Schatten blos
als solche ohne allen Bezug zu wirklichem Stoff durch die Configuration
einer weißbärtigen nebulosen Greisenfigur und die Benennung „sechster
Schöpfungstag" zu stilisiren, verdient nur als aeroplastisches Experiment
Erwähnung. Es gibt Hoffnung, daß wir künstig den wirklichen Hergang
der Erdschöpfung gemalt erhalten, wobei dann Sanct Sauerstoff an Stelle
der altmodischen Cherubim fungiren wird. — Damit zerfließt zum mindesten
hier vor unseren Augen die idealistische Kunstthätigkeit der Franzosen. Erst
das letzte Resultat der siebentägigen Schöpfungsplage reizt ihren Ehrgeiz
wieder.

Indeß sie sich um Helenen bemühn, überlassen sie uns die Arbeit
Fausts fast ausschließlich; denn mit dem seltenen Drang, die erhabene
Form und interesselose Schönheit zu verwirklichen, stellen sie uns heute
Niemanden gegenüber. Wie fast bei allen Gattungen, die auf der
Ausstellung vertreten sind, haben wir auch hier mit einer Klage zu be¬
ginnen: unser genialster Classiker Genelli fehlt, obgleich seine Oelgemälde sich
mit einer einzigen Ausnahme sämmtlich in München befinden. Diese em¬
pfindlichste Lücke ist nicht durch seinen kunstsinnigen Freund verschuldet, was
ausdrücklich erwähnt sein will; wie wir hören, ward Freiherr von Schock
veranlaßt, das von ihm gespendete Bild zurückzunehmen, da es einen ganz
ungünstigen Platz angewiesen erhielt. Jedenfalls ist die deutsche Abtheilung
dadurch nicht blos des bedeutendsten Werkes dieser Richtung, sondern über¬
haupt des Vortheils verlustig gegangen, ein umfassendes Staffeleibild großen
Stiles darzubringen. Die Ueberzeugung, daß Genelli's „Omphale" oder „Eu¬
ropa" die Krone der ganzen Ausstellung gewesen wäre, kann den Vorwurf
nur steigern. Sie bestätigt zu sehen, wäre ein überaus werthvolles Zeugniß
für das Lebensrccht des deutschen Idealismus gewesen, der in und außer
Land so lebhast discutirt wird. Aber wehrlos sind wir darum nicht: Rahl
ist da, wenn auch nur mit einem kleinen und in der Farbe nicht ganz erfreulichen
Bild „Urtheil des Paris"; aus dem „Götterbacchanal" von Wi s lie e n u s
sodann weht in sanfteren Schwung der Flügelschlag von Cornelius' Geiste,
auf dessen Tradition sich die Leiter der Düsseldorfer Kunstschule zu guter
Stunde besonnen haben; denn die Berufung des jungen Meisters, welche in
diesem Sinne geschah, dünkt uns die beste Jubiläumsgabe der rheinischen Aka¬
demie. Und daneben zeigen Th. Grosse's mythologische Kompositionen, die
gleich jenem Bilde in Leipzig g, drehe-o ausgeführt werden, daß der strengen
Monumental-Malerei, die es zugleich auf stilvolle Decoration bestimmter ar-


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[0375] Widerspruch und weicht von anderen Arbeiten Cabanels z. B. der mit aus¬ gestellten „Lautenspielerin", einem Meisterstück von tiefer und vornehmer Färbung, und der ernst und bedeutend gehaltenen fein modellirten „Druide", auf das unerfreulichste ab. Brion's Versuch, Licht und Schatten blos als solche ohne allen Bezug zu wirklichem Stoff durch die Configuration einer weißbärtigen nebulosen Greisenfigur und die Benennung „sechster Schöpfungstag" zu stilisiren, verdient nur als aeroplastisches Experiment Erwähnung. Es gibt Hoffnung, daß wir künstig den wirklichen Hergang der Erdschöpfung gemalt erhalten, wobei dann Sanct Sauerstoff an Stelle der altmodischen Cherubim fungiren wird. — Damit zerfließt zum mindesten hier vor unseren Augen die idealistische Kunstthätigkeit der Franzosen. Erst das letzte Resultat der siebentägigen Schöpfungsplage reizt ihren Ehrgeiz wieder. Indeß sie sich um Helenen bemühn, überlassen sie uns die Arbeit Fausts fast ausschließlich; denn mit dem seltenen Drang, die erhabene Form und interesselose Schönheit zu verwirklichen, stellen sie uns heute Niemanden gegenüber. Wie fast bei allen Gattungen, die auf der Ausstellung vertreten sind, haben wir auch hier mit einer Klage zu be¬ ginnen: unser genialster Classiker Genelli fehlt, obgleich seine Oelgemälde sich mit einer einzigen Ausnahme sämmtlich in München befinden. Diese em¬ pfindlichste Lücke ist nicht durch seinen kunstsinnigen Freund verschuldet, was ausdrücklich erwähnt sein will; wie wir hören, ward Freiherr von Schock veranlaßt, das von ihm gespendete Bild zurückzunehmen, da es einen ganz ungünstigen Platz angewiesen erhielt. Jedenfalls ist die deutsche Abtheilung dadurch nicht blos des bedeutendsten Werkes dieser Richtung, sondern über¬ haupt des Vortheils verlustig gegangen, ein umfassendes Staffeleibild großen Stiles darzubringen. Die Ueberzeugung, daß Genelli's „Omphale" oder „Eu¬ ropa" die Krone der ganzen Ausstellung gewesen wäre, kann den Vorwurf nur steigern. Sie bestätigt zu sehen, wäre ein überaus werthvolles Zeugniß für das Lebensrccht des deutschen Idealismus gewesen, der in und außer Land so lebhast discutirt wird. Aber wehrlos sind wir darum nicht: Rahl ist da, wenn auch nur mit einem kleinen und in der Farbe nicht ganz erfreulichen Bild „Urtheil des Paris"; aus dem „Götterbacchanal" von Wi s lie e n u s sodann weht in sanfteren Schwung der Flügelschlag von Cornelius' Geiste, auf dessen Tradition sich die Leiter der Düsseldorfer Kunstschule zu guter Stunde besonnen haben; denn die Berufung des jungen Meisters, welche in diesem Sinne geschah, dünkt uns die beste Jubiläumsgabe der rheinischen Aka¬ demie. Und daneben zeigen Th. Grosse's mythologische Kompositionen, die gleich jenem Bilde in Leipzig g, drehe-o ausgeführt werden, daß der strengen Monumental-Malerei, die es zugleich auf stilvolle Decoration bestimmter ar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/375>, abgerufen am 03.07.2024.