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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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chitektonischer Räume absieht, auch unter uns weder die Künstler noch die
Aufgaben mangeln. Wien, Düsseldorf (resp. Weimar) und Dresden also ha¬
ben Abgeordnete dieses Bekenntnisses geschickt. Für Berlin, von wo Heydens
einschlägige Arbeiten erwartet werden konnten, und für München zugleich muß
Kaulbach herhalten, um die Zahl der namhaften Städte voll zu machen.
Diesem doppelten Ehrgeize genügt wenigstens der Raum, den seine Arbeiten
in der Ausstellung einnehmen. Fast die Fläche einer ganzen Wand füllt der
Karton zur "Schlacht von Salamis." Obwohl das Bild in die Periode des
Künstlers zurückweist, in welcher er noch bemüht war, die menschliche Figur
richtig und bedeutend wiederzugeben, so ist doch die schiefe Ebene schon un¬
verkennbar, auf der sich mit dem Hauptmotiv des Bildes die Kunst des Ur¬
hebers entwickelt. Eine Befreiungsschlacht mit manchen gut und energisch
gebauten, wenn auch im Einzelnen oft schon erlahmenden Gruppen gewisser¬
maßen durch die Falten von Weiberhemden hindurch sich begeben zu sehen,
hat etwas sehr widerwärtiges, besonders da blos um dieses pikanten Con-
trastes willen Themistokles die Artigkeit haben muß, den Ehrenplatz im Vor¬
dergrunde der asiatischen Königin mit Kind und Kegel zu räumen. -- Schlimm
schon, wenn bei einem Künstler der Zeitpunkt, wo er ohne Schuld in Dec"'
denne geräth, nicht auch der Endpunkt seiner Thätigkeit ist, ganz schlimm
aber, wenn er sich bei bewußter Schwäche behaglich weiter in die Breite er¬
geht. Für solchen Muth, sichs leicht zu machen, hat die Kunstgeschichte dann
einen ganz andern Ausdruck; denn je größer das Talent, um das es sich
handelt, desto unnachsichtiger trifft der Vorwurf die Gesinnung. Daß die
neuesten -- soll man sagen ausgestellten oder blosgestellten -- Kompositionen
des einstmals angestaunten Zeichners (eine Serie Illustrationen zu Romeo,
Braut von Messina, Lohengrin, Tell und Triften) durchaus gefühlsleer und
erfindungsarm sind, nimmt nicht Wunder, erschreckend aber ist die Misere
der Ausführung: diese Gestalten haben gar nicht Fleisch und Bein mehr, es
sind eitel Puppen, schablonenmäßig mit den irr schielenden Augen versehen,
welche bei Kaulbach Geist bedeuten. Auch diese Gebilde werden, wie ihre
Vorgänger, in allen Größen und Vervielfältigungsarten unter das deutsche
Publicum geworfen werden. Die Multiplication kann sie nur unschädlicher
machen.

Um so unlieber vermißt man nach solcher Kost den anmuthigsten der
modernen Stilisten: Moritz von Schwind; seine Entwürfe zur Ausschmückung
des wiener Opernhauses waren erwartete Gäste. Es soll Aussicht vorhanden
sein, daß er sich noch mit seinem jüngsten z. Z, unvollendeten cyklischen Werke,
der schönen Melusine, auf der Ausstellung einfindet. Wie Schmorr, der bis
jetzt ebensowenig in irgend einer seiner mannigfaltigen Gebiete vertreten ist
und dessen neuestes für das Marimilianum bestimmtes Bild "Luther in


chitektonischer Räume absieht, auch unter uns weder die Künstler noch die
Aufgaben mangeln. Wien, Düsseldorf (resp. Weimar) und Dresden also ha¬
ben Abgeordnete dieses Bekenntnisses geschickt. Für Berlin, von wo Heydens
einschlägige Arbeiten erwartet werden konnten, und für München zugleich muß
Kaulbach herhalten, um die Zahl der namhaften Städte voll zu machen.
Diesem doppelten Ehrgeize genügt wenigstens der Raum, den seine Arbeiten
in der Ausstellung einnehmen. Fast die Fläche einer ganzen Wand füllt der
Karton zur „Schlacht von Salamis." Obwohl das Bild in die Periode des
Künstlers zurückweist, in welcher er noch bemüht war, die menschliche Figur
richtig und bedeutend wiederzugeben, so ist doch die schiefe Ebene schon un¬
verkennbar, auf der sich mit dem Hauptmotiv des Bildes die Kunst des Ur¬
hebers entwickelt. Eine Befreiungsschlacht mit manchen gut und energisch
gebauten, wenn auch im Einzelnen oft schon erlahmenden Gruppen gewisser¬
maßen durch die Falten von Weiberhemden hindurch sich begeben zu sehen,
hat etwas sehr widerwärtiges, besonders da blos um dieses pikanten Con-
trastes willen Themistokles die Artigkeit haben muß, den Ehrenplatz im Vor¬
dergrunde der asiatischen Königin mit Kind und Kegel zu räumen. — Schlimm
schon, wenn bei einem Künstler der Zeitpunkt, wo er ohne Schuld in Dec«'
denne geräth, nicht auch der Endpunkt seiner Thätigkeit ist, ganz schlimm
aber, wenn er sich bei bewußter Schwäche behaglich weiter in die Breite er¬
geht. Für solchen Muth, sichs leicht zu machen, hat die Kunstgeschichte dann
einen ganz andern Ausdruck; denn je größer das Talent, um das es sich
handelt, desto unnachsichtiger trifft der Vorwurf die Gesinnung. Daß die
neuesten — soll man sagen ausgestellten oder blosgestellten — Kompositionen
des einstmals angestaunten Zeichners (eine Serie Illustrationen zu Romeo,
Braut von Messina, Lohengrin, Tell und Triften) durchaus gefühlsleer und
erfindungsarm sind, nimmt nicht Wunder, erschreckend aber ist die Misere
der Ausführung: diese Gestalten haben gar nicht Fleisch und Bein mehr, es
sind eitel Puppen, schablonenmäßig mit den irr schielenden Augen versehen,
welche bei Kaulbach Geist bedeuten. Auch diese Gebilde werden, wie ihre
Vorgänger, in allen Größen und Vervielfältigungsarten unter das deutsche
Publicum geworfen werden. Die Multiplication kann sie nur unschädlicher
machen.

Um so unlieber vermißt man nach solcher Kost den anmuthigsten der
modernen Stilisten: Moritz von Schwind; seine Entwürfe zur Ausschmückung
des wiener Opernhauses waren erwartete Gäste. Es soll Aussicht vorhanden
sein, daß er sich noch mit seinem jüngsten z. Z, unvollendeten cyklischen Werke,
der schönen Melusine, auf der Ausstellung einfindet. Wie Schmorr, der bis
jetzt ebensowenig in irgend einer seiner mannigfaltigen Gebiete vertreten ist
und dessen neuestes für das Marimilianum bestimmtes Bild „Luther in


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[0376] chitektonischer Räume absieht, auch unter uns weder die Künstler noch die Aufgaben mangeln. Wien, Düsseldorf (resp. Weimar) und Dresden also ha¬ ben Abgeordnete dieses Bekenntnisses geschickt. Für Berlin, von wo Heydens einschlägige Arbeiten erwartet werden konnten, und für München zugleich muß Kaulbach herhalten, um die Zahl der namhaften Städte voll zu machen. Diesem doppelten Ehrgeize genügt wenigstens der Raum, den seine Arbeiten in der Ausstellung einnehmen. Fast die Fläche einer ganzen Wand füllt der Karton zur „Schlacht von Salamis." Obwohl das Bild in die Periode des Künstlers zurückweist, in welcher er noch bemüht war, die menschliche Figur richtig und bedeutend wiederzugeben, so ist doch die schiefe Ebene schon un¬ verkennbar, auf der sich mit dem Hauptmotiv des Bildes die Kunst des Ur¬ hebers entwickelt. Eine Befreiungsschlacht mit manchen gut und energisch gebauten, wenn auch im Einzelnen oft schon erlahmenden Gruppen gewisser¬ maßen durch die Falten von Weiberhemden hindurch sich begeben zu sehen, hat etwas sehr widerwärtiges, besonders da blos um dieses pikanten Con- trastes willen Themistokles die Artigkeit haben muß, den Ehrenplatz im Vor¬ dergrunde der asiatischen Königin mit Kind und Kegel zu räumen. — Schlimm schon, wenn bei einem Künstler der Zeitpunkt, wo er ohne Schuld in Dec«' denne geräth, nicht auch der Endpunkt seiner Thätigkeit ist, ganz schlimm aber, wenn er sich bei bewußter Schwäche behaglich weiter in die Breite er¬ geht. Für solchen Muth, sichs leicht zu machen, hat die Kunstgeschichte dann einen ganz andern Ausdruck; denn je größer das Talent, um das es sich handelt, desto unnachsichtiger trifft der Vorwurf die Gesinnung. Daß die neuesten — soll man sagen ausgestellten oder blosgestellten — Kompositionen des einstmals angestaunten Zeichners (eine Serie Illustrationen zu Romeo, Braut von Messina, Lohengrin, Tell und Triften) durchaus gefühlsleer und erfindungsarm sind, nimmt nicht Wunder, erschreckend aber ist die Misere der Ausführung: diese Gestalten haben gar nicht Fleisch und Bein mehr, es sind eitel Puppen, schablonenmäßig mit den irr schielenden Augen versehen, welche bei Kaulbach Geist bedeuten. Auch diese Gebilde werden, wie ihre Vorgänger, in allen Größen und Vervielfältigungsarten unter das deutsche Publicum geworfen werden. Die Multiplication kann sie nur unschädlicher machen. Um so unlieber vermißt man nach solcher Kost den anmuthigsten der modernen Stilisten: Moritz von Schwind; seine Entwürfe zur Ausschmückung des wiener Opernhauses waren erwartete Gäste. Es soll Aussicht vorhanden sein, daß er sich noch mit seinem jüngsten z. Z, unvollendeten cyklischen Werke, der schönen Melusine, auf der Ausstellung einfindet. Wie Schmorr, der bis jetzt ebensowenig in irgend einer seiner mannigfaltigen Gebiete vertreten ist und dessen neuestes für das Marimilianum bestimmtes Bild „Luther in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/376>, abgerufen am 03.07.2024.