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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Zeitgenossen, Studien von Cornelius, an die Seite gesetzt? Von der Masse
der Namen, welche das Gros der Ausstellung bilden, sind beide Männer
zeitlich wie geistig gleich weit entfernt, die nachfolgende Kunst in Frankreich
hat die Fühlung des Einen so sehr verloren wie die in Deutschland die
Fühlung des Andern; aber wenn die Franzosen soviel Takt hatten, ihren
Ingres zu zeigen, dursten wir doch wahrlich unsern größten Meister nicht
zurückhalten. Und war ein ausgeführtes Bild zu diesem Zweck nicht zu er¬
langen, so that es eine Aquarelle ebenso gut; ja selbst ein Paar Blätter
Zeichnungen aus dem Nachlaß hätten seine und unsere Ehre gewahrt. Sie
wären hier vielleicht um so mehr am Platze gewesen, als auch von Ingres
nur kleine Sache vorhanden sind, und sie würden angesichts des französischen
Altmeisters und seiner nächsten Schüler uns Deutschen überzeugend zu Ge¬
müthe geführt haben, mit welcher einzigen Verbindung von Feinheit und
Größe Cornelius die Natur unmittelbar studirt hat. Wenn wir damit die
Art und Weise der Franzosen vergleichen, so ist es ein Unterschied wie Mar¬
mor gegen Bronze: dort kraftvolle feste Substanz, hier flüssige, wie durch Guß
entstandene Form. Und auf beiden Seiten ist der höchste Erfolg nicht aus¬
geblieben. Denn daß in der großen Kunst das Colorit nur die nothwendige
Folge der wahren Zeichnung sei, dafür brauchen wir die Bestätigung nicht
erst bei Hippolyte Flandrin zu suchen, dessen Axiom der Satz war, wir können
es gerade in München sattsam würdigen, nur müßten wir uns in der
Ludwigskirche, in der Basilika oder in der Hofkapelle mit derselben Un¬
befangenheit umschauen, mit der wir die Monumentalmalereien der neueren
Pariser Kirchen betrachten. Auch Flandrin und Orsel auf gleichem Felde,
d. h. in Zeichnungen oder Farbenstudien zu Fresko, an Overbeck und Heinrich
Heß messen zu können, wäre sehr lehrreich gewesen und würde nicht zum
Nachtheil der deutschen Kunst ausgefallen sein, so wunderbar schön und
graziös auch das Meiste ist, was wir von jenen französischen Malern vor
Augen haben, die sich über die Bedingungen und Zwecke der Kunst feinsinnig
Rechenschaft zu geben wußten, ohne die nächsten Aufgaben des Auges und
der Hand zu vernachlässigen. Overbeck und Veit fehlen gänzlich, wie auch
franzöfischerseits mit Ary Scheffer die moderne Sentimalität ihren bekannte¬
sten Vertreter entbehrt. Aus der Zahl der christlich-germanischen Bekenner ist
nur Führich erschienen, leider ein ebenso unerträglicher Theoretiker wie bewun¬
derungswürdiger Praktiker. Genießt man die holdselige Reinheit, den An¬
muthszauber seines kleinen Gemäldes "Jakob und Rahel", das im vorigen
Jahre beim Verkauf der Arthaberschen Sammlung in Wien so überraschend
hoch bezahlt wurde, dann ist schier unbegreiflich, wie neben solchen Concep¬
tionen der Zelotismus in derselben Brust Platz haben kann. Einen
Versuch, die heiligen Geschichten durch Wahl von Nebenmotiven zu


Zeitgenossen, Studien von Cornelius, an die Seite gesetzt? Von der Masse
der Namen, welche das Gros der Ausstellung bilden, sind beide Männer
zeitlich wie geistig gleich weit entfernt, die nachfolgende Kunst in Frankreich
hat die Fühlung des Einen so sehr verloren wie die in Deutschland die
Fühlung des Andern; aber wenn die Franzosen soviel Takt hatten, ihren
Ingres zu zeigen, dursten wir doch wahrlich unsern größten Meister nicht
zurückhalten. Und war ein ausgeführtes Bild zu diesem Zweck nicht zu er¬
langen, so that es eine Aquarelle ebenso gut; ja selbst ein Paar Blätter
Zeichnungen aus dem Nachlaß hätten seine und unsere Ehre gewahrt. Sie
wären hier vielleicht um so mehr am Platze gewesen, als auch von Ingres
nur kleine Sache vorhanden sind, und sie würden angesichts des französischen
Altmeisters und seiner nächsten Schüler uns Deutschen überzeugend zu Ge¬
müthe geführt haben, mit welcher einzigen Verbindung von Feinheit und
Größe Cornelius die Natur unmittelbar studirt hat. Wenn wir damit die
Art und Weise der Franzosen vergleichen, so ist es ein Unterschied wie Mar¬
mor gegen Bronze: dort kraftvolle feste Substanz, hier flüssige, wie durch Guß
entstandene Form. Und auf beiden Seiten ist der höchste Erfolg nicht aus¬
geblieben. Denn daß in der großen Kunst das Colorit nur die nothwendige
Folge der wahren Zeichnung sei, dafür brauchen wir die Bestätigung nicht
erst bei Hippolyte Flandrin zu suchen, dessen Axiom der Satz war, wir können
es gerade in München sattsam würdigen, nur müßten wir uns in der
Ludwigskirche, in der Basilika oder in der Hofkapelle mit derselben Un¬
befangenheit umschauen, mit der wir die Monumentalmalereien der neueren
Pariser Kirchen betrachten. Auch Flandrin und Orsel auf gleichem Felde,
d. h. in Zeichnungen oder Farbenstudien zu Fresko, an Overbeck und Heinrich
Heß messen zu können, wäre sehr lehrreich gewesen und würde nicht zum
Nachtheil der deutschen Kunst ausgefallen sein, so wunderbar schön und
graziös auch das Meiste ist, was wir von jenen französischen Malern vor
Augen haben, die sich über die Bedingungen und Zwecke der Kunst feinsinnig
Rechenschaft zu geben wußten, ohne die nächsten Aufgaben des Auges und
der Hand zu vernachlässigen. Overbeck und Veit fehlen gänzlich, wie auch
franzöfischerseits mit Ary Scheffer die moderne Sentimalität ihren bekannte¬
sten Vertreter entbehrt. Aus der Zahl der christlich-germanischen Bekenner ist
nur Führich erschienen, leider ein ebenso unerträglicher Theoretiker wie bewun¬
derungswürdiger Praktiker. Genießt man die holdselige Reinheit, den An¬
muthszauber seines kleinen Gemäldes „Jakob und Rahel", das im vorigen
Jahre beim Verkauf der Arthaberschen Sammlung in Wien so überraschend
hoch bezahlt wurde, dann ist schier unbegreiflich, wie neben solchen Concep¬
tionen der Zelotismus in derselben Brust Platz haben kann. Einen
Versuch, die heiligen Geschichten durch Wahl von Nebenmotiven zu


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[0373] Zeitgenossen, Studien von Cornelius, an die Seite gesetzt? Von der Masse der Namen, welche das Gros der Ausstellung bilden, sind beide Männer zeitlich wie geistig gleich weit entfernt, die nachfolgende Kunst in Frankreich hat die Fühlung des Einen so sehr verloren wie die in Deutschland die Fühlung des Andern; aber wenn die Franzosen soviel Takt hatten, ihren Ingres zu zeigen, dursten wir doch wahrlich unsern größten Meister nicht zurückhalten. Und war ein ausgeführtes Bild zu diesem Zweck nicht zu er¬ langen, so that es eine Aquarelle ebenso gut; ja selbst ein Paar Blätter Zeichnungen aus dem Nachlaß hätten seine und unsere Ehre gewahrt. Sie wären hier vielleicht um so mehr am Platze gewesen, als auch von Ingres nur kleine Sache vorhanden sind, und sie würden angesichts des französischen Altmeisters und seiner nächsten Schüler uns Deutschen überzeugend zu Ge¬ müthe geführt haben, mit welcher einzigen Verbindung von Feinheit und Größe Cornelius die Natur unmittelbar studirt hat. Wenn wir damit die Art und Weise der Franzosen vergleichen, so ist es ein Unterschied wie Mar¬ mor gegen Bronze: dort kraftvolle feste Substanz, hier flüssige, wie durch Guß entstandene Form. Und auf beiden Seiten ist der höchste Erfolg nicht aus¬ geblieben. Denn daß in der großen Kunst das Colorit nur die nothwendige Folge der wahren Zeichnung sei, dafür brauchen wir die Bestätigung nicht erst bei Hippolyte Flandrin zu suchen, dessen Axiom der Satz war, wir können es gerade in München sattsam würdigen, nur müßten wir uns in der Ludwigskirche, in der Basilika oder in der Hofkapelle mit derselben Un¬ befangenheit umschauen, mit der wir die Monumentalmalereien der neueren Pariser Kirchen betrachten. Auch Flandrin und Orsel auf gleichem Felde, d. h. in Zeichnungen oder Farbenstudien zu Fresko, an Overbeck und Heinrich Heß messen zu können, wäre sehr lehrreich gewesen und würde nicht zum Nachtheil der deutschen Kunst ausgefallen sein, so wunderbar schön und graziös auch das Meiste ist, was wir von jenen französischen Malern vor Augen haben, die sich über die Bedingungen und Zwecke der Kunst feinsinnig Rechenschaft zu geben wußten, ohne die nächsten Aufgaben des Auges und der Hand zu vernachlässigen. Overbeck und Veit fehlen gänzlich, wie auch franzöfischerseits mit Ary Scheffer die moderne Sentimalität ihren bekannte¬ sten Vertreter entbehrt. Aus der Zahl der christlich-germanischen Bekenner ist nur Führich erschienen, leider ein ebenso unerträglicher Theoretiker wie bewun¬ derungswürdiger Praktiker. Genießt man die holdselige Reinheit, den An¬ muthszauber seines kleinen Gemäldes „Jakob und Rahel", das im vorigen Jahre beim Verkauf der Arthaberschen Sammlung in Wien so überraschend hoch bezahlt wurde, dann ist schier unbegreiflich, wie neben solchen Concep¬ tionen der Zelotismus in derselben Brust Platz haben kann. Einen Versuch, die heiligen Geschichten durch Wahl von Nebenmotiven zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/373>, abgerufen am 22.07.2024.