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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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schwerlich zu Theil geworden sein), daß wir die Franzosen in Masse bei uns
sehen. Ueberdieß können wir hier die eigenen und fremden Leistungen statt
in der verwirrenden Verbindung mit Ve'locipedes, Nähmaschinen und Kugel¬
spritzen, wie auf den Weltausstellungen, hübsch allein und mit Muße betrachten.
Umso bedauerlicher, daß die Partie nicht gleich steht. Die Franzosen sind
trotz oder infolge ihrer Minderzahl besser, charakteristischer vertreten, als wir.
Ist das auch weniger ihrer eigenen geschickteren Wahl als dem Geschmack
zu danken, mit welchem in Deutschland französische Bilder gesammelt worden
sind -- denn ein starkes Contingent rührt aus deutschen Staats- und Privat-
gallerien--gleichviel, der Erfolg ist darum nicht minder vortheilhaft für unsere
Rivalen. Ausgeglichen hätte er sich nur, wenn auf deutscher Seite wirklich
von allem Besten Etwas vor Augen stünde.

Bei Auswahl und Musterung des Hervorragenden können wir uns um
so eher mit wenigen Beispielen begnügen, weil das Meiste bereits auf der
vorjährigen Berliner oder Pariser Ausstellung gesehen und besprochen wor¬
den ist. Was man aber auch von alten Bekannten wiederfindet, erscheint in
München interessanter, weil es vermittelter auftritt. In vielen Fällen lernt
man hier die Gattung kennen, wo dort nur die Species auftrat.--

Seit wir Julius Meyers vortreffliche Geschichte der modernen französischen
Malerei besitzen, sollte die lang übliche Bemängelung der gallischen Kunst
selbst dem deutschesten Geschmack aufhören für patriotisch zu gelten. Es ist
gut gethan, mit Stock und Regenschirm auch den teutonischen Tic vor der
Thür zu lassen, wenn man in den Ausstellungsraum eintritt. Unter unseren
Gästen, denen wir artig genug die besten Plätze überlassen haben, gibt es
manches merkwürdige Gesicht und wir dürfen uns nicht schämen, diese fried¬
liche Invasion der Franzmänner, die wir in der Zeit der Säcularfeier des
großen Napoleon als gutes Omen begrüßen, für sehr instruktiv zu halten.

Von den edlen Alten ist zunächst Ingres vertreten. Man findet aller¬
dings kein bedeutendes Gemälde des französischen Altmeisters, aber daß man
in den hier vorliegenden Arbeiten die Art betrachten kann, wie dieser Künstler
gelernt hat, entschädigt einigermaßen für den Mangel des Genusses, den ein
abgeschlossenes Werk gewährt. Gestehen wir auch, daß uns z. B. sein
durchgeführter "Dantekopf" bei aller Weisheit und Tugend des Colorits,
aller Feinheit und Fülle der Modellirung die Kühle alles Mustermäßigen
nicht überwindet, so ist dagegen das Actstudium zur "Lictorengruppe" von
einer Einfachheit der Auffassung, einer Freiheit der Zeichnung und Schönheit
der Färbung, die den Cinquecentisten nahe steht. Den nackten Gestalten, welche
Michelangelo seiner heiligen Familie in der Tribun" der Uffizien zu Florenz
als Folie beigegeben hat, dürften sich diese Männer ohne Scheu als Ge¬
spielen zugesellen. Warum aber sind ihnen nicht die mehr als ebenbürtigen


schwerlich zu Theil geworden sein), daß wir die Franzosen in Masse bei uns
sehen. Ueberdieß können wir hier die eigenen und fremden Leistungen statt
in der verwirrenden Verbindung mit Ve'locipedes, Nähmaschinen und Kugel¬
spritzen, wie auf den Weltausstellungen, hübsch allein und mit Muße betrachten.
Umso bedauerlicher, daß die Partie nicht gleich steht. Die Franzosen sind
trotz oder infolge ihrer Minderzahl besser, charakteristischer vertreten, als wir.
Ist das auch weniger ihrer eigenen geschickteren Wahl als dem Geschmack
zu danken, mit welchem in Deutschland französische Bilder gesammelt worden
sind — denn ein starkes Contingent rührt aus deutschen Staats- und Privat-
gallerien—gleichviel, der Erfolg ist darum nicht minder vortheilhaft für unsere
Rivalen. Ausgeglichen hätte er sich nur, wenn auf deutscher Seite wirklich
von allem Besten Etwas vor Augen stünde.

Bei Auswahl und Musterung des Hervorragenden können wir uns um
so eher mit wenigen Beispielen begnügen, weil das Meiste bereits auf der
vorjährigen Berliner oder Pariser Ausstellung gesehen und besprochen wor¬
den ist. Was man aber auch von alten Bekannten wiederfindet, erscheint in
München interessanter, weil es vermittelter auftritt. In vielen Fällen lernt
man hier die Gattung kennen, wo dort nur die Species auftrat.—

Seit wir Julius Meyers vortreffliche Geschichte der modernen französischen
Malerei besitzen, sollte die lang übliche Bemängelung der gallischen Kunst
selbst dem deutschesten Geschmack aufhören für patriotisch zu gelten. Es ist
gut gethan, mit Stock und Regenschirm auch den teutonischen Tic vor der
Thür zu lassen, wenn man in den Ausstellungsraum eintritt. Unter unseren
Gästen, denen wir artig genug die besten Plätze überlassen haben, gibt es
manches merkwürdige Gesicht und wir dürfen uns nicht schämen, diese fried¬
liche Invasion der Franzmänner, die wir in der Zeit der Säcularfeier des
großen Napoleon als gutes Omen begrüßen, für sehr instruktiv zu halten.

Von den edlen Alten ist zunächst Ingres vertreten. Man findet aller¬
dings kein bedeutendes Gemälde des französischen Altmeisters, aber daß man
in den hier vorliegenden Arbeiten die Art betrachten kann, wie dieser Künstler
gelernt hat, entschädigt einigermaßen für den Mangel des Genusses, den ein
abgeschlossenes Werk gewährt. Gestehen wir auch, daß uns z. B. sein
durchgeführter „Dantekopf" bei aller Weisheit und Tugend des Colorits,
aller Feinheit und Fülle der Modellirung die Kühle alles Mustermäßigen
nicht überwindet, so ist dagegen das Actstudium zur „Lictorengruppe" von
einer Einfachheit der Auffassung, einer Freiheit der Zeichnung und Schönheit
der Färbung, die den Cinquecentisten nahe steht. Den nackten Gestalten, welche
Michelangelo seiner heiligen Familie in der Tribun» der Uffizien zu Florenz
als Folie beigegeben hat, dürften sich diese Männer ohne Scheu als Ge¬
spielen zugesellen. Warum aber sind ihnen nicht die mehr als ebenbürtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/372>, abgerufen am 24.08.2024.