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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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freiwilligen Anschluß der Länder südlich vom Main, an eine moralische Er¬
oberung derselben find von allen Programmen abgesetzt. Die Erhaltung
jener mit den Südstaaten abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisse, welche
im Frühling 1867 für die Grundlage einer aussichtsvollen neuen Entwicke¬
lung galten, ist Alles was von norddeutscher Seite verlangt wird, der
Glaube an die innere Triebkraft derselben ist längst dahin und von preußisch¬
süddeutschen Wechselwirkungen eigentlich nicht mehr die Rede.

Die alte leidige Erfahrung, daß Verhältnisse, die nach den Gesetzen der
Logik für "innerlich unhaltbar" gelten müssen, oft das zäheste Leben beweisen,
hat sich auch in der neuesten Phase unseres nationalen Lebens bewährt. Weder
ist das preußische Ministerium aus der halben Stellung herausgekommen,
in welche es durch sein Jndemnitätsgesuch vom August 1866 gedrängt wor¬
den, noch haben die süddeutschen Staaten sich entschlossen, die precäre
Stellung aufzugeben, die sie seit der Auflösung des alten Bundes einnehmen.

Selbst der unermüdlichen Geschäftigkeit des Grafen Beust haben sich
keine Anknüpfungspunkte für Lösung der süddeutschen Frage bieten wollen
und die frommen Wünsche, welche man in Wien für das Zustandekommen
eines Südbundes hegte, sind allmälig gegenstandslos geworden. Das Project
eines solchen Bundes ist bei den Cabinetten in noch üblerem Geruch, als bei
den Völkern und die Beust'sche Patronisirung desselben gilt selbst nach parti-
kularistischer Auffassung kaum mehr für eine Empfehlung. Die Stagnation
ist nach beiden Richtungen hin -- der nationalen, wie der arti-nationalen --
eine vollständige, von dem kommenden Morgen haben wir Nichts zu hoffen
und zu fürchten und es kann noch eine Weile dauern, ehe ein kräftiger Luft¬
zug kommt, der mit "erfrischendem Windeswehen kräuselnd bewege das
stockende Leben."

Eine wirkliche "Bewegung" hervorzurufen, sind die im abgelaufenen
Monate geführten Depeschenkriege nicht im Stande gewesen. Selbst in
Sachsen ist die scharfe Zurückweisung, welche Graf Beust durch den Freiherrn
von Friesen erfahren hat, ohne Consequenzen geblieben; es waren nicht die
Organe der Dresdner Negierung, sondern die liberalen Blätter, welche die
Sache des bundestreuen sächsischen Ministers gegen die traditionelle Anhäng¬
lichkeit des grünweißen Particularismus für Herrn v. Beust führten, und wir
können in der ganzen Sache nur eine Bestätigung der schon früher bekann¬
ten Thatsache sehen, daß sich innerhalb dieser Regionen zwei verschiedene
Strömungen die Waage halten. Auf die Woche, welche der Friesenschen
Depesche gewidmet war. folgten die "Enthüllungen" der "Sächsischen Zei¬
tung" über eine angeblich vor Ausbruch des letzten Krieges geführte preußisch¬
östreichische Corresponlenz -- Erfindungen so plumper und niedriger Art,
daß die Dementis der Berliner Osficiösen eigentlich nur für die niedrigste Classe


freiwilligen Anschluß der Länder südlich vom Main, an eine moralische Er¬
oberung derselben find von allen Programmen abgesetzt. Die Erhaltung
jener mit den Südstaaten abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisse, welche
im Frühling 1867 für die Grundlage einer aussichtsvollen neuen Entwicke¬
lung galten, ist Alles was von norddeutscher Seite verlangt wird, der
Glaube an die innere Triebkraft derselben ist längst dahin und von preußisch¬
süddeutschen Wechselwirkungen eigentlich nicht mehr die Rede.

Die alte leidige Erfahrung, daß Verhältnisse, die nach den Gesetzen der
Logik für „innerlich unhaltbar" gelten müssen, oft das zäheste Leben beweisen,
hat sich auch in der neuesten Phase unseres nationalen Lebens bewährt. Weder
ist das preußische Ministerium aus der halben Stellung herausgekommen,
in welche es durch sein Jndemnitätsgesuch vom August 1866 gedrängt wor¬
den, noch haben die süddeutschen Staaten sich entschlossen, die precäre
Stellung aufzugeben, die sie seit der Auflösung des alten Bundes einnehmen.

Selbst der unermüdlichen Geschäftigkeit des Grafen Beust haben sich
keine Anknüpfungspunkte für Lösung der süddeutschen Frage bieten wollen
und die frommen Wünsche, welche man in Wien für das Zustandekommen
eines Südbundes hegte, sind allmälig gegenstandslos geworden. Das Project
eines solchen Bundes ist bei den Cabinetten in noch üblerem Geruch, als bei
den Völkern und die Beust'sche Patronisirung desselben gilt selbst nach parti-
kularistischer Auffassung kaum mehr für eine Empfehlung. Die Stagnation
ist nach beiden Richtungen hin — der nationalen, wie der arti-nationalen —
eine vollständige, von dem kommenden Morgen haben wir Nichts zu hoffen
und zu fürchten und es kann noch eine Weile dauern, ehe ein kräftiger Luft¬
zug kommt, der mit „erfrischendem Windeswehen kräuselnd bewege das
stockende Leben."

Eine wirkliche „Bewegung" hervorzurufen, sind die im abgelaufenen
Monate geführten Depeschenkriege nicht im Stande gewesen. Selbst in
Sachsen ist die scharfe Zurückweisung, welche Graf Beust durch den Freiherrn
von Friesen erfahren hat, ohne Consequenzen geblieben; es waren nicht die
Organe der Dresdner Negierung, sondern die liberalen Blätter, welche die
Sache des bundestreuen sächsischen Ministers gegen die traditionelle Anhäng¬
lichkeit des grünweißen Particularismus für Herrn v. Beust führten, und wir
können in der ganzen Sache nur eine Bestätigung der schon früher bekann¬
ten Thatsache sehen, daß sich innerhalb dieser Regionen zwei verschiedene
Strömungen die Waage halten. Auf die Woche, welche der Friesenschen
Depesche gewidmet war. folgten die „Enthüllungen" der „Sächsischen Zei¬
tung" über eine angeblich vor Ausbruch des letzten Krieges geführte preußisch¬
östreichische Corresponlenz — Erfindungen so plumper und niedriger Art,
daß die Dementis der Berliner Osficiösen eigentlich nur für die niedrigste Classe


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[0358] freiwilligen Anschluß der Länder südlich vom Main, an eine moralische Er¬ oberung derselben find von allen Programmen abgesetzt. Die Erhaltung jener mit den Südstaaten abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisse, welche im Frühling 1867 für die Grundlage einer aussichtsvollen neuen Entwicke¬ lung galten, ist Alles was von norddeutscher Seite verlangt wird, der Glaube an die innere Triebkraft derselben ist längst dahin und von preußisch¬ süddeutschen Wechselwirkungen eigentlich nicht mehr die Rede. Die alte leidige Erfahrung, daß Verhältnisse, die nach den Gesetzen der Logik für „innerlich unhaltbar" gelten müssen, oft das zäheste Leben beweisen, hat sich auch in der neuesten Phase unseres nationalen Lebens bewährt. Weder ist das preußische Ministerium aus der halben Stellung herausgekommen, in welche es durch sein Jndemnitätsgesuch vom August 1866 gedrängt wor¬ den, noch haben die süddeutschen Staaten sich entschlossen, die precäre Stellung aufzugeben, die sie seit der Auflösung des alten Bundes einnehmen. Selbst der unermüdlichen Geschäftigkeit des Grafen Beust haben sich keine Anknüpfungspunkte für Lösung der süddeutschen Frage bieten wollen und die frommen Wünsche, welche man in Wien für das Zustandekommen eines Südbundes hegte, sind allmälig gegenstandslos geworden. Das Project eines solchen Bundes ist bei den Cabinetten in noch üblerem Geruch, als bei den Völkern und die Beust'sche Patronisirung desselben gilt selbst nach parti- kularistischer Auffassung kaum mehr für eine Empfehlung. Die Stagnation ist nach beiden Richtungen hin — der nationalen, wie der arti-nationalen — eine vollständige, von dem kommenden Morgen haben wir Nichts zu hoffen und zu fürchten und es kann noch eine Weile dauern, ehe ein kräftiger Luft¬ zug kommt, der mit „erfrischendem Windeswehen kräuselnd bewege das stockende Leben." Eine wirkliche „Bewegung" hervorzurufen, sind die im abgelaufenen Monate geführten Depeschenkriege nicht im Stande gewesen. Selbst in Sachsen ist die scharfe Zurückweisung, welche Graf Beust durch den Freiherrn von Friesen erfahren hat, ohne Consequenzen geblieben; es waren nicht die Organe der Dresdner Negierung, sondern die liberalen Blätter, welche die Sache des bundestreuen sächsischen Ministers gegen die traditionelle Anhäng¬ lichkeit des grünweißen Particularismus für Herrn v. Beust führten, und wir können in der ganzen Sache nur eine Bestätigung der schon früher bekann¬ ten Thatsache sehen, daß sich innerhalb dieser Regionen zwei verschiedene Strömungen die Waage halten. Auf die Woche, welche der Friesenschen Depesche gewidmet war. folgten die „Enthüllungen" der „Sächsischen Zei¬ tung" über eine angeblich vor Ausbruch des letzten Krieges geführte preußisch¬ östreichische Corresponlenz — Erfindungen so plumper und niedriger Art, daß die Dementis der Berliner Osficiösen eigentlich nur für die niedrigste Classe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/358>, abgerufen am 24.08.2024.