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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Energie die commerciellen Chancen des neuen Zeitalters ergriffen, als die
einst noch viel reichere und mächtigere Königin der Adria. Man hört
und liest viel davon, was die italienische Regierung für Venedig Gutes
vorhabe und thun sollte: Subventionen für dort anlegende Dampferlinien
vor Allem. Aber davon, daß die Venetianer selbst sich aufgerafft hätten,
etwas Verheißungsvolles zu unternehmen, daß ein Einzelner oder eine Ge¬
nossenschaft zur Hebung der gesunkenen Blüthe ihrer Stadt Hand anlegen
wollte, davon vernimmt man nichts. Was nützt es Venedig unter diesen
Umständen, daß die Semmering/Bahn und die Brenner-Bahn soviel früher
die Alpen überschient haben, als die nach Genua führenden Eisenbahnen durch
den Gotthard und den Mont Cenis? Wer keinen Löffel hat, dem fällt der
Brei des Himmels in den Schmutz.

Nur eine Einströmung frischen Bluts scheint hier helfen zu können. In
dem einheimischen Geschlecht stecken Bettelgeist und träge Versunkenheit zu
tief. Bemächtigten sich einige energische Geister, mit den nöthigen Mitteln
ausgestattet, der immer noch außerordentlichen Vortheile des Orts, so würde
Trieft einen schweren Stand bekommen. Es wäre dann die Frage, welchem
der beiden Plätze das mit der Zeit doch sicher zu erwartende Erwachen der
gegenüberliegenden adrtatischen Küste zu gesund pulsirenden civilisirten Leben
vorzugsweise zu Gute kommen würde.

Denn soweit Trieft dem gegenwärtigen Venedig vorangeeilt ist, soweit
steht es hinter Plätzen gleich Hamburg und Bremen zurück. Man bettelt
in Trieft nicht und prellt nicht, aber man spielt. Für das niedere Volk
locken die Lotto-Anzeigen von hundert Schaufenstern, und an der Börse
wird nur zu oft mehr in den Speculationspapieren och Tages, Credttan-
stalls-Actien. Lombarden u. s. f. umgesetzt, als in Waaren. Nun hat das
Fondsgeschäft neuerdings zwar auch in den norddeutschen Seehandelsplätzen
große Dimensionen angenommen, größere als dem soliden Kern der Börse
dort lieb und behaglich ist, aber die große Masse der Umsätze betrifft doch
immer noch Waaren und Frachten. Die Waaren, wenn sie sich ebenfalls zum
Spiel hergeben, thun es doch nicht mit der Leichtigkeit wie Staats- und Jn-
dustriepapiere.

Dazu kommt, daß Trieft nur zum Theil durch die eigene Anstrengung
seiner Bewohner in die Höhe gekommen ist. Die Regierung hat ihm ge¬
waltigen Vorschub geleistet; und zwar mit Mitteln directer Begünstigung
und Bevorrechtung, ans Kosten des rivalisirenden feindseligen Venedig.
Triests hauptsächlichste Hilfsquelle, die Dampfschifffahrt des östreichischen
Lloyd, besteht nur durch regelmäßige starke Staatszuschüsse. Das ist eine un¬
sichere Grundlage. Wer weiß, ob die Ungarn nicht bald zu Gunsten ihres Hafen¬
platzes Fiume einen Theil, einen zwar immer zunehmenden Theil der Staats-


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Energie die commerciellen Chancen des neuen Zeitalters ergriffen, als die
einst noch viel reichere und mächtigere Königin der Adria. Man hört
und liest viel davon, was die italienische Regierung für Venedig Gutes
vorhabe und thun sollte: Subventionen für dort anlegende Dampferlinien
vor Allem. Aber davon, daß die Venetianer selbst sich aufgerafft hätten,
etwas Verheißungsvolles zu unternehmen, daß ein Einzelner oder eine Ge¬
nossenschaft zur Hebung der gesunkenen Blüthe ihrer Stadt Hand anlegen
wollte, davon vernimmt man nichts. Was nützt es Venedig unter diesen
Umständen, daß die Semmering/Bahn und die Brenner-Bahn soviel früher
die Alpen überschient haben, als die nach Genua führenden Eisenbahnen durch
den Gotthard und den Mont Cenis? Wer keinen Löffel hat, dem fällt der
Brei des Himmels in den Schmutz.

Nur eine Einströmung frischen Bluts scheint hier helfen zu können. In
dem einheimischen Geschlecht stecken Bettelgeist und träge Versunkenheit zu
tief. Bemächtigten sich einige energische Geister, mit den nöthigen Mitteln
ausgestattet, der immer noch außerordentlichen Vortheile des Orts, so würde
Trieft einen schweren Stand bekommen. Es wäre dann die Frage, welchem
der beiden Plätze das mit der Zeit doch sicher zu erwartende Erwachen der
gegenüberliegenden adrtatischen Küste zu gesund pulsirenden civilisirten Leben
vorzugsweise zu Gute kommen würde.

Denn soweit Trieft dem gegenwärtigen Venedig vorangeeilt ist, soweit
steht es hinter Plätzen gleich Hamburg und Bremen zurück. Man bettelt
in Trieft nicht und prellt nicht, aber man spielt. Für das niedere Volk
locken die Lotto-Anzeigen von hundert Schaufenstern, und an der Börse
wird nur zu oft mehr in den Speculationspapieren och Tages, Credttan-
stalls-Actien. Lombarden u. s. f. umgesetzt, als in Waaren. Nun hat das
Fondsgeschäft neuerdings zwar auch in den norddeutschen Seehandelsplätzen
große Dimensionen angenommen, größere als dem soliden Kern der Börse
dort lieb und behaglich ist, aber die große Masse der Umsätze betrifft doch
immer noch Waaren und Frachten. Die Waaren, wenn sie sich ebenfalls zum
Spiel hergeben, thun es doch nicht mit der Leichtigkeit wie Staats- und Jn-
dustriepapiere.

Dazu kommt, daß Trieft nur zum Theil durch die eigene Anstrengung
seiner Bewohner in die Höhe gekommen ist. Die Regierung hat ihm ge¬
waltigen Vorschub geleistet; und zwar mit Mitteln directer Begünstigung
und Bevorrechtung, ans Kosten des rivalisirenden feindseligen Venedig.
Triests hauptsächlichste Hilfsquelle, die Dampfschifffahrt des östreichischen
Lloyd, besteht nur durch regelmäßige starke Staatszuschüsse. Das ist eine un¬
sichere Grundlage. Wer weiß, ob die Ungarn nicht bald zu Gunsten ihres Hafen¬
platzes Fiume einen Theil, einen zwar immer zunehmenden Theil der Staats-


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[0355] Energie die commerciellen Chancen des neuen Zeitalters ergriffen, als die einst noch viel reichere und mächtigere Königin der Adria. Man hört und liest viel davon, was die italienische Regierung für Venedig Gutes vorhabe und thun sollte: Subventionen für dort anlegende Dampferlinien vor Allem. Aber davon, daß die Venetianer selbst sich aufgerafft hätten, etwas Verheißungsvolles zu unternehmen, daß ein Einzelner oder eine Ge¬ nossenschaft zur Hebung der gesunkenen Blüthe ihrer Stadt Hand anlegen wollte, davon vernimmt man nichts. Was nützt es Venedig unter diesen Umständen, daß die Semmering/Bahn und die Brenner-Bahn soviel früher die Alpen überschient haben, als die nach Genua führenden Eisenbahnen durch den Gotthard und den Mont Cenis? Wer keinen Löffel hat, dem fällt der Brei des Himmels in den Schmutz. Nur eine Einströmung frischen Bluts scheint hier helfen zu können. In dem einheimischen Geschlecht stecken Bettelgeist und träge Versunkenheit zu tief. Bemächtigten sich einige energische Geister, mit den nöthigen Mitteln ausgestattet, der immer noch außerordentlichen Vortheile des Orts, so würde Trieft einen schweren Stand bekommen. Es wäre dann die Frage, welchem der beiden Plätze das mit der Zeit doch sicher zu erwartende Erwachen der gegenüberliegenden adrtatischen Küste zu gesund pulsirenden civilisirten Leben vorzugsweise zu Gute kommen würde. Denn soweit Trieft dem gegenwärtigen Venedig vorangeeilt ist, soweit steht es hinter Plätzen gleich Hamburg und Bremen zurück. Man bettelt in Trieft nicht und prellt nicht, aber man spielt. Für das niedere Volk locken die Lotto-Anzeigen von hundert Schaufenstern, und an der Börse wird nur zu oft mehr in den Speculationspapieren och Tages, Credttan- stalls-Actien. Lombarden u. s. f. umgesetzt, als in Waaren. Nun hat das Fondsgeschäft neuerdings zwar auch in den norddeutschen Seehandelsplätzen große Dimensionen angenommen, größere als dem soliden Kern der Börse dort lieb und behaglich ist, aber die große Masse der Umsätze betrifft doch immer noch Waaren und Frachten. Die Waaren, wenn sie sich ebenfalls zum Spiel hergeben, thun es doch nicht mit der Leichtigkeit wie Staats- und Jn- dustriepapiere. Dazu kommt, daß Trieft nur zum Theil durch die eigene Anstrengung seiner Bewohner in die Höhe gekommen ist. Die Regierung hat ihm ge¬ waltigen Vorschub geleistet; und zwar mit Mitteln directer Begünstigung und Bevorrechtung, ans Kosten des rivalisirenden feindseligen Venedig. Triests hauptsächlichste Hilfsquelle, die Dampfschifffahrt des östreichischen Lloyd, besteht nur durch regelmäßige starke Staatszuschüsse. Das ist eine un¬ sichere Grundlage. Wer weiß, ob die Ungarn nicht bald zu Gunsten ihres Hafen¬ platzes Fiume einen Theil, einen zwar immer zunehmenden Theil der Staats- 44*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/355>, abgerufen am 02.07.2024.