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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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nicht und darum seien alle Verhandlungen über dieselbe überflüssig; wenn die
Polen Galiziens den Ruthenen aus freien Stücken Concessionen machen
wollten, so sei der Landtag dazu der passendste Ort, nicht aber ein polnisches
Fest, welches die russische Nationalität an die Jahrhunderte lange Schmach
erinnere, welche sie durch eine widernatürliche und noch dazu betrügerisch zu
Stande gekommene Union mit der ehemaligen Republik erlitten. In ähn¬
lichem Sinne, wenn auch minder feindlich haben sich die Jungrussen, d. h.
die Anhänger des specifischen Kleinrussenthums ausgesprochen. Smolka ist
auf die Unterstützung der allerdings zahlreichen polnischen Demokraten be¬
schränkt geblieben, bei den Ruthenen hat er vollständiges Fiasco gemacht.

So werden sich auf dem nächsten galizischen Landtage statt der bisher
üblichen zwei nationalen Parteien, der polnischen und der ruthenischen, drei
Fractionen gegenüberstehen, ein Umstand der wohl geeignet wäre, den Ru¬
thenen eine größere Bedeutung zu geben, als sie sie jemals früher auf den
Lemberger Versammlungen besessen. Daß sie sich mit den polnischen Aristo¬
kraten gegen die regierungsfeindliche Partei Smolka's verbinden werden, ist
eben so wenig wahrscheinlich, wie eine Aussöhnung zwischen Smolka und
Goluchowski: beide polnischen Fractionen sind zu weit gegangen, um ohne
Weiteres nachgeben- zu können, zumal seit die Demokratie von der nationalen
Fahne abgefallen ist und den Versuch gemacht hat, mit dem alten Feinde der¬
selben Compromisse einzugehen. Was das Verhältniß zwischen Ruthenen und
Weißen anlangt, so ist dieses tradionell ein höchst feindliches; gerade die polnische
Aristokratie ist es gewesen, welche gemeinsam mit der katholischen Kirche alle
nationalen Bestrebungen des Bauernvolks niederhielt, dasselbe in wirthschaft¬
licher Abhängigkeit zu erhalten und um die Religion seiner Väter zu bringen
suchte. Der Bauernhaß der Ruthenen gegen die polnischen Gutsbesitzer ist
die Wurzel aller nationalen Bestrebungen dieses Volks gewesen. -- Aus
diesen Gründen ist dem bevorstehenden Lemberger Landtage mit besonderem
Interesse entgegenzusehen.

Es wird noch übrig bleiben, einige Worte über die Bedeutung des
galizischen Nationalitätenstreits für Ungarn und die gesammte transleithanische
Reichshälfte zu sagen. -- Es hat seinen guten Grund, wenn Magyaren und
galizische Polen von -Alters her auf freundlichem Fuße stehen und wenn
namentlich zwischen den Weißen und den Deakisten vielfach verhandelt wird.
Abgesehen davon, daß Magyaren und Polen in Rußland einen gemeinsamen
Feind haben, sind sie durch ein gleiches Interesse darauf hingewiesen, die
Agitation unter den Ruthenen und deren russische Sympathien zu bekämpfen.
In den nordöstlichen, an Galizien grenzenden Comitaten Ungarns leben
382,000 Ruthenen, welche an dem geistigen und politischen Leben ihrer in
Galizien wohnenden Stammesgenossen den lebhaftesten Antheil zu nehmen


nicht und darum seien alle Verhandlungen über dieselbe überflüssig; wenn die
Polen Galiziens den Ruthenen aus freien Stücken Concessionen machen
wollten, so sei der Landtag dazu der passendste Ort, nicht aber ein polnisches
Fest, welches die russische Nationalität an die Jahrhunderte lange Schmach
erinnere, welche sie durch eine widernatürliche und noch dazu betrügerisch zu
Stande gekommene Union mit der ehemaligen Republik erlitten. In ähn¬
lichem Sinne, wenn auch minder feindlich haben sich die Jungrussen, d. h.
die Anhänger des specifischen Kleinrussenthums ausgesprochen. Smolka ist
auf die Unterstützung der allerdings zahlreichen polnischen Demokraten be¬
schränkt geblieben, bei den Ruthenen hat er vollständiges Fiasco gemacht.

So werden sich auf dem nächsten galizischen Landtage statt der bisher
üblichen zwei nationalen Parteien, der polnischen und der ruthenischen, drei
Fractionen gegenüberstehen, ein Umstand der wohl geeignet wäre, den Ru¬
thenen eine größere Bedeutung zu geben, als sie sie jemals früher auf den
Lemberger Versammlungen besessen. Daß sie sich mit den polnischen Aristo¬
kraten gegen die regierungsfeindliche Partei Smolka's verbinden werden, ist
eben so wenig wahrscheinlich, wie eine Aussöhnung zwischen Smolka und
Goluchowski: beide polnischen Fractionen sind zu weit gegangen, um ohne
Weiteres nachgeben- zu können, zumal seit die Demokratie von der nationalen
Fahne abgefallen ist und den Versuch gemacht hat, mit dem alten Feinde der¬
selben Compromisse einzugehen. Was das Verhältniß zwischen Ruthenen und
Weißen anlangt, so ist dieses tradionell ein höchst feindliches; gerade die polnische
Aristokratie ist es gewesen, welche gemeinsam mit der katholischen Kirche alle
nationalen Bestrebungen des Bauernvolks niederhielt, dasselbe in wirthschaft¬
licher Abhängigkeit zu erhalten und um die Religion seiner Väter zu bringen
suchte. Der Bauernhaß der Ruthenen gegen die polnischen Gutsbesitzer ist
die Wurzel aller nationalen Bestrebungen dieses Volks gewesen. — Aus
diesen Gründen ist dem bevorstehenden Lemberger Landtage mit besonderem
Interesse entgegenzusehen.

Es wird noch übrig bleiben, einige Worte über die Bedeutung des
galizischen Nationalitätenstreits für Ungarn und die gesammte transleithanische
Reichshälfte zu sagen. — Es hat seinen guten Grund, wenn Magyaren und
galizische Polen von -Alters her auf freundlichem Fuße stehen und wenn
namentlich zwischen den Weißen und den Deakisten vielfach verhandelt wird.
Abgesehen davon, daß Magyaren und Polen in Rußland einen gemeinsamen
Feind haben, sind sie durch ein gleiches Interesse darauf hingewiesen, die
Agitation unter den Ruthenen und deren russische Sympathien zu bekämpfen.
In den nordöstlichen, an Galizien grenzenden Comitaten Ungarns leben
382,000 Ruthenen, welche an dem geistigen und politischen Leben ihrer in
Galizien wohnenden Stammesgenossen den lebhaftesten Antheil zu nehmen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/351>, abgerufen am 02.07.2024.