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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Wozu also die Heuchelei? El nun, man kann doch nicht wissen, für alle
Fälle, es ist leidige Gewohnheitssache. Wir wollen auch damit nicht zu
streng ins Gericht gehen, es ist ja noch nicht gar lange her, daß ein Pro-
fessor der Naturwissenschaften, ein Mann von europäischem Rufe, öffentlich er¬
klären mußte, die Ergebnisse feiner Forschungen stünden nicht im Widerspruch
mit den Lehren der katholischen Kirche -- er hätte sonst seine amtliche Stel¬
lung riskirt! Vor dreihundert Jahren dachten die Deutschen in Oestreich
freilich anders, sie sagten sich einfach los vom Papstthum, wanderten schaaren-
weise aus, als dieses wieder die Oberhand gewann, oder fügten sich doch erst
dem härtesten Zwange. Heute nun könnte das östreichische Volk den damali¬
gen verhängnißvollen, vielbeklagten Irrthum der Habsburger wieder gut¬
machen. Der fromme Wahn der Kaiser, sie dürften die reformatorische Be¬
wegung nicht aufkommen lassen, verschuldete die religiöse und politische Zer¬
klüftung Deutschlands; der Starrsinn des Papstthums könnte jetzt wenigstens
zur religiösen Wiedervereinigung führen. Der Gedanke, daß eine natürlich
von Rom unabhängige deutsche Nationalkirche der Spaltung ein Ende machen
könnte, ist ja hüben und drüben nie ganz ausgestorben, und würde in Oestreich
in großartigem Maßstabe das Beispiel der Lossagung von Nom gegeben,
die Bewegung müßte unwiderstehlich sein, Priester vor Allem würden massen¬
haft und freudig sich derselben anschließen, und wäre jener wichtigste, ent¬
scheidende Schritt einmal geschehen, wäre mit dem unfehlbaren Bischof
von Rom erst gebrochen, so sollte die Verständigung wohl nicht unmög¬
lich sein.

Ohne ernste Kämpfe im Innern wäre das gewiß nicht durchführbar;
aber als ob uns die jetzt erspart bleiben würden! Der Mittelstand ist überall
der Reform zugethan, doch auf den hohen und höchsten Adel und auf die
Gebirgsbevölknung hat die zu Rom haltende Geistlichkeit noch immer großen
Einfluß und benützt ihn im Stillen kräftigst. Der Adel will nicht auf¬
geklärt sein, mag er sich daher immerhin schmollend zurückziehen oder ohn¬
mächtige Proteste erheben. Dem Bauern hingegen muß der Aberglaube
genommen werden, daß es darauf abgesehen sei, ihn zu entchristlichen, ihm
seinen Glauben zu verkümmern. Den harten Naturen, welche sich den dürf¬
tigen Lebensunterhalt durch schwerste, ost lebensgefährliche Arbeit täglich er¬
ringen müssen, ist der Cultus noch eine Sache, für welche sie zu handeln und
zu dulden bereit sind. Aber nichts ist verkehrter, als deshalb, wie es so oft ge¬
schieht, über diese Leute als verdummte Pfaffenknechte den Stab zu brechen.
Zu anderer Zeit schlugen sich die Tiroler, Salzburger, Jnneröstreicher ebenso
tapfer für "das reine Evangelium" gegen die Pfaffen, wie sie sich gegen¬
wärtig schlagen würden, wenn man sie mit Gewalt evangelisch machen wollte,
und die blutarmen Holzknechte und Salzarbeiter in der Gosau, am Hall-


Wozu also die Heuchelei? El nun, man kann doch nicht wissen, für alle
Fälle, es ist leidige Gewohnheitssache. Wir wollen auch damit nicht zu
streng ins Gericht gehen, es ist ja noch nicht gar lange her, daß ein Pro-
fessor der Naturwissenschaften, ein Mann von europäischem Rufe, öffentlich er¬
klären mußte, die Ergebnisse feiner Forschungen stünden nicht im Widerspruch
mit den Lehren der katholischen Kirche — er hätte sonst seine amtliche Stel¬
lung riskirt! Vor dreihundert Jahren dachten die Deutschen in Oestreich
freilich anders, sie sagten sich einfach los vom Papstthum, wanderten schaaren-
weise aus, als dieses wieder die Oberhand gewann, oder fügten sich doch erst
dem härtesten Zwange. Heute nun könnte das östreichische Volk den damali¬
gen verhängnißvollen, vielbeklagten Irrthum der Habsburger wieder gut¬
machen. Der fromme Wahn der Kaiser, sie dürften die reformatorische Be¬
wegung nicht aufkommen lassen, verschuldete die religiöse und politische Zer¬
klüftung Deutschlands; der Starrsinn des Papstthums könnte jetzt wenigstens
zur religiösen Wiedervereinigung führen. Der Gedanke, daß eine natürlich
von Rom unabhängige deutsche Nationalkirche der Spaltung ein Ende machen
könnte, ist ja hüben und drüben nie ganz ausgestorben, und würde in Oestreich
in großartigem Maßstabe das Beispiel der Lossagung von Nom gegeben,
die Bewegung müßte unwiderstehlich sein, Priester vor Allem würden massen¬
haft und freudig sich derselben anschließen, und wäre jener wichtigste, ent¬
scheidende Schritt einmal geschehen, wäre mit dem unfehlbaren Bischof
von Rom erst gebrochen, so sollte die Verständigung wohl nicht unmög¬
lich sein.

Ohne ernste Kämpfe im Innern wäre das gewiß nicht durchführbar;
aber als ob uns die jetzt erspart bleiben würden! Der Mittelstand ist überall
der Reform zugethan, doch auf den hohen und höchsten Adel und auf die
Gebirgsbevölknung hat die zu Rom haltende Geistlichkeit noch immer großen
Einfluß und benützt ihn im Stillen kräftigst. Der Adel will nicht auf¬
geklärt sein, mag er sich daher immerhin schmollend zurückziehen oder ohn¬
mächtige Proteste erheben. Dem Bauern hingegen muß der Aberglaube
genommen werden, daß es darauf abgesehen sei, ihn zu entchristlichen, ihm
seinen Glauben zu verkümmern. Den harten Naturen, welche sich den dürf¬
tigen Lebensunterhalt durch schwerste, ost lebensgefährliche Arbeit täglich er¬
ringen müssen, ist der Cultus noch eine Sache, für welche sie zu handeln und
zu dulden bereit sind. Aber nichts ist verkehrter, als deshalb, wie es so oft ge¬
schieht, über diese Leute als verdummte Pfaffenknechte den Stab zu brechen.
Zu anderer Zeit schlugen sich die Tiroler, Salzburger, Jnneröstreicher ebenso
tapfer für „das reine Evangelium" gegen die Pfaffen, wie sie sich gegen¬
wärtig schlagen würden, wenn man sie mit Gewalt evangelisch machen wollte,
und die blutarmen Holzknechte und Salzarbeiter in der Gosau, am Hall-


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[0346] Wozu also die Heuchelei? El nun, man kann doch nicht wissen, für alle Fälle, es ist leidige Gewohnheitssache. Wir wollen auch damit nicht zu streng ins Gericht gehen, es ist ja noch nicht gar lange her, daß ein Pro- fessor der Naturwissenschaften, ein Mann von europäischem Rufe, öffentlich er¬ klären mußte, die Ergebnisse feiner Forschungen stünden nicht im Widerspruch mit den Lehren der katholischen Kirche — er hätte sonst seine amtliche Stel¬ lung riskirt! Vor dreihundert Jahren dachten die Deutschen in Oestreich freilich anders, sie sagten sich einfach los vom Papstthum, wanderten schaaren- weise aus, als dieses wieder die Oberhand gewann, oder fügten sich doch erst dem härtesten Zwange. Heute nun könnte das östreichische Volk den damali¬ gen verhängnißvollen, vielbeklagten Irrthum der Habsburger wieder gut¬ machen. Der fromme Wahn der Kaiser, sie dürften die reformatorische Be¬ wegung nicht aufkommen lassen, verschuldete die religiöse und politische Zer¬ klüftung Deutschlands; der Starrsinn des Papstthums könnte jetzt wenigstens zur religiösen Wiedervereinigung führen. Der Gedanke, daß eine natürlich von Rom unabhängige deutsche Nationalkirche der Spaltung ein Ende machen könnte, ist ja hüben und drüben nie ganz ausgestorben, und würde in Oestreich in großartigem Maßstabe das Beispiel der Lossagung von Nom gegeben, die Bewegung müßte unwiderstehlich sein, Priester vor Allem würden massen¬ haft und freudig sich derselben anschließen, und wäre jener wichtigste, ent¬ scheidende Schritt einmal geschehen, wäre mit dem unfehlbaren Bischof von Rom erst gebrochen, so sollte die Verständigung wohl nicht unmög¬ lich sein. Ohne ernste Kämpfe im Innern wäre das gewiß nicht durchführbar; aber als ob uns die jetzt erspart bleiben würden! Der Mittelstand ist überall der Reform zugethan, doch auf den hohen und höchsten Adel und auf die Gebirgsbevölknung hat die zu Rom haltende Geistlichkeit noch immer großen Einfluß und benützt ihn im Stillen kräftigst. Der Adel will nicht auf¬ geklärt sein, mag er sich daher immerhin schmollend zurückziehen oder ohn¬ mächtige Proteste erheben. Dem Bauern hingegen muß der Aberglaube genommen werden, daß es darauf abgesehen sei, ihn zu entchristlichen, ihm seinen Glauben zu verkümmern. Den harten Naturen, welche sich den dürf¬ tigen Lebensunterhalt durch schwerste, ost lebensgefährliche Arbeit täglich er¬ ringen müssen, ist der Cultus noch eine Sache, für welche sie zu handeln und zu dulden bereit sind. Aber nichts ist verkehrter, als deshalb, wie es so oft ge¬ schieht, über diese Leute als verdummte Pfaffenknechte den Stab zu brechen. Zu anderer Zeit schlugen sich die Tiroler, Salzburger, Jnneröstreicher ebenso tapfer für „das reine Evangelium" gegen die Pfaffen, wie sie sich gegen¬ wärtig schlagen würden, wenn man sie mit Gewalt evangelisch machen wollte, und die blutarmen Holzknechte und Salzarbeiter in der Gosau, am Hall-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/346>, abgerufen am 24.08.2024.