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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Städter See u. s. w. bargen hundert Jahre lang ihr protestantisches Bekennt¬
niß, bis eine bessere Zeit dann wieder gestattete, dasselbe offen zu zeigen.
Solche Menschen lassen sich fanatisiren, aber auch aufklären, wenn man nur
zu ihnen gelangt und ihre Sprache zu reden weiß. Vorderhand ist die Ge¬
fahr noch groß, denn sie hören nur den Pfarrer, zu welchem sie allsonntäglich
aus ihren Thälern und' von ihren unzugänglichen Höhen herabsteigen; Zei¬
tungen kommen nicht zu ihnen, überhaupt nichts Gedrucktes als der Kalender
und der Steuerbogen. Würde ihnen begreiflich gemacht, daß die Gesetze,
welche die Pfaffen ihnen so fürchterlich malen, gar nichts Anderes bezwecken,
als ihnen wie jedem Andern völlige Glaubens - und Cultusfreiheit zusichern,
so würden sie sich nicht weiter um dieselben scheeren; so lange es nicht ge¬
schieht, ist von ihnen gelegentlich erbitterter Widerstand zu gewärtigen, vor¬
züglich da, wo noch der von Geistlichen so fleißig geschürte Nationalitäten¬
streit mit ins Spiel kommt. In diesem Punkte läßt die liberale Partei sich
unverantwortliche Versäumnis) zu Schulden kommen. Es gibt wohl einzelne
Missionäre, welche unermüdlich in den Bergen umherklettern und sich be¬
mühen, den Bewohnern derselben ein Licht aufzustecken, aber im Großen ge¬
schieht nichts. Die Regierung ihrerseits fühlte das Bedürfniß, dem Einfluß
der Geistlichkeit entgegenzuwirken, aber wie stellte sie es an! Auf den ge¬
wöhnlichen amtlichen Wegen wurden zu Tausenden Brochüren über die Ver¬
fassung, die konfessionellen Gesetze, die Wehrpflicht verbreitet, und wenn sie,
wie sich vermuthen läßt, gar nicht in die Hände gelangten, für die sie be¬
stimmt waren, so ist das vielleicht noch ein Glück zu nennen. Es mag ein
Witz gewesen sein, daß irgendwo zu lesen stand, das Ministerium lasse alle
diese Schriften von einem Beamten des Preßbureaus fabriciren, welcher sich
durch ähnliche Arbeiten das besondere Vertrauen des Grafen Belcredi er¬
worben habe, vorzüglich durch eine gegen die jetzigen Minister und das con-
stitutionelle System gerichtetete Brochüre. Das wird, wie gesagt, ein Witz
gewesen sein; aber schlecht war er nicht, denn die Hefte schauten in der That
aus. als ob sie auf Commando von Einem zusammengeschrieben seien, der in
einem Athem für und gegen dieselbe Sache schreibt. Da verstehen die Geist¬
lichen das Geschäft besser. Freilich kennen sie auch deiv Jdeenkreis. die Be¬
dürfnisse, Stärken und Schwächen und die Sprache des Volks, mit welchem
sie zu thun haben. Vom Bureautisch aus läßt sich ihrer Agitation kein Halt
gebieten. Ein Preßverein mit zahlreichen Filialen, welche nach gemeinsamen
Grundsätzen, aber frei je nach den provinziellen und localen Verhältnissen
vorgingen, hätte noch am ersten Aussicht, zu reussiren. Doch da gälte es zu
handeln, nicht bloß Geld, sondern auch Zeit für die Sache zu opfern. Und
wie wenig unsern Liberalen bis jetzt einleuchten will, daß die Freiheit Opfer
an Zeit und Bequemlichkeit fordert, das beweist die große Scheu vor offene-


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Städter See u. s. w. bargen hundert Jahre lang ihr protestantisches Bekennt¬
niß, bis eine bessere Zeit dann wieder gestattete, dasselbe offen zu zeigen.
Solche Menschen lassen sich fanatisiren, aber auch aufklären, wenn man nur
zu ihnen gelangt und ihre Sprache zu reden weiß. Vorderhand ist die Ge¬
fahr noch groß, denn sie hören nur den Pfarrer, zu welchem sie allsonntäglich
aus ihren Thälern und' von ihren unzugänglichen Höhen herabsteigen; Zei¬
tungen kommen nicht zu ihnen, überhaupt nichts Gedrucktes als der Kalender
und der Steuerbogen. Würde ihnen begreiflich gemacht, daß die Gesetze,
welche die Pfaffen ihnen so fürchterlich malen, gar nichts Anderes bezwecken,
als ihnen wie jedem Andern völlige Glaubens - und Cultusfreiheit zusichern,
so würden sie sich nicht weiter um dieselben scheeren; so lange es nicht ge¬
schieht, ist von ihnen gelegentlich erbitterter Widerstand zu gewärtigen, vor¬
züglich da, wo noch der von Geistlichen so fleißig geschürte Nationalitäten¬
streit mit ins Spiel kommt. In diesem Punkte läßt die liberale Partei sich
unverantwortliche Versäumnis) zu Schulden kommen. Es gibt wohl einzelne
Missionäre, welche unermüdlich in den Bergen umherklettern und sich be¬
mühen, den Bewohnern derselben ein Licht aufzustecken, aber im Großen ge¬
schieht nichts. Die Regierung ihrerseits fühlte das Bedürfniß, dem Einfluß
der Geistlichkeit entgegenzuwirken, aber wie stellte sie es an! Auf den ge¬
wöhnlichen amtlichen Wegen wurden zu Tausenden Brochüren über die Ver¬
fassung, die konfessionellen Gesetze, die Wehrpflicht verbreitet, und wenn sie,
wie sich vermuthen läßt, gar nicht in die Hände gelangten, für die sie be¬
stimmt waren, so ist das vielleicht noch ein Glück zu nennen. Es mag ein
Witz gewesen sein, daß irgendwo zu lesen stand, das Ministerium lasse alle
diese Schriften von einem Beamten des Preßbureaus fabriciren, welcher sich
durch ähnliche Arbeiten das besondere Vertrauen des Grafen Belcredi er¬
worben habe, vorzüglich durch eine gegen die jetzigen Minister und das con-
stitutionelle System gerichtetete Brochüre. Das wird, wie gesagt, ein Witz
gewesen sein; aber schlecht war er nicht, denn die Hefte schauten in der That
aus. als ob sie auf Commando von Einem zusammengeschrieben seien, der in
einem Athem für und gegen dieselbe Sache schreibt. Da verstehen die Geist¬
lichen das Geschäft besser. Freilich kennen sie auch deiv Jdeenkreis. die Be¬
dürfnisse, Stärken und Schwächen und die Sprache des Volks, mit welchem
sie zu thun haben. Vom Bureautisch aus läßt sich ihrer Agitation kein Halt
gebieten. Ein Preßverein mit zahlreichen Filialen, welche nach gemeinsamen
Grundsätzen, aber frei je nach den provinziellen und localen Verhältnissen
vorgingen, hätte noch am ersten Aussicht, zu reussiren. Doch da gälte es zu
handeln, nicht bloß Geld, sondern auch Zeit für die Sache zu opfern. Und
wie wenig unsern Liberalen bis jetzt einleuchten will, daß die Freiheit Opfer
an Zeit und Bequemlichkeit fordert, das beweist die große Scheu vor offene-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/347>, abgerufen am 22.07.2024.