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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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"Führer" bedauern, welche bei einer solchen Gelegenheit in einem überwiegend
katholischen Staate einen Protestanten zum Vorsitzenden und einen Juden
zum Hauptredner machen. Leider steht aber bei uns die liberale Sache noch
auf sehr schwachen Füßen und das stolze Pochen der Zeitungen auf die be-
schworene Verfassung hat gar zu viel von dem Singen der Kinder im Finstern
an sich. Und in der That lauern ja die Gegner, welche weder versöhnt sind
noch an Einfluß eingebüßt haben, nur auf den rechten Moment, um "dem
ganzen Schwindel" ein Ende zu machen. Was kann ihnen willkommner
sein als solch' Volksversammlungsgewäsch, gegen welches sich an Ort und
Stelle keine, in der Publicistii' kaum eine Stimme erhob! Da muß die gute
Sache immer büßen für die Streiche ihrer ungeschickten Anhänger. Und auch
die liberalen Blätter behandeln die Angelegenheit nur selten verständiger.
Aushebung der Klöster, Einziehung der Kirchengüter -- die Forderung ist so
einfach und imponirt dem großen Haufen. Und werden überdies die Minister
mit harten oder spöttischen Worten angelassen, weil sie nicht augenblicklich
den Botschafter von Rom abberufen und das gesammte Eigenthum der
todten Hand confisciren wollen, so ist die öffentliche Meinung entzückt über
den Muth und die Weisheit ihrer Vertreter. Ich habe keinen Oeruf, un¬
sere Minister weiß zu waschen, daß man sie aber in dieser Frage höchst un¬
billig behandelt, ist mit Händen zu greisen. Dem Grafen Beust ist aller¬
dings vor Kurzem etwas Unangenehmes begegnet; Einer von der ultramon¬
tanen polnischen Clique bezeugte ihm in der Delegation, er und seine Freunde
seien mit des Reichskanzlers Haltung gegen Rom vollkommen zufrieden.
Das war ein verdächtiges Lob. Allein man darf nicht vergessen, daß Beust
Protestant ist und daher doppelt vorsichtig sein muß, um nicht Alles zu ver¬
derben. Und wenn die demokratischen Organe andere Minister an die Glau¬
bensbekenntnisse erinnern, welche diese einst als Oppositionscandidaten vor
ihren Wählern abgelegt haben, so ist das auch ein sehr wohlfeiler Spaß.
Ein Fußgänger vermißt sich Wohl, den Hügel dort in einem Laufe zu er¬
steigen; kommt er am Fuße derselben an, so erkennt er überrascht in dem ver¬
meintlichen Hügel einen steilen Felsen, dreimal so hoch, als er ihn aus der
Ferne schätzte. Nun kann man ihm wohl die frühere Uebereilung zum Vor¬
wurfe machen, nicht aber ein bedächtiges Ersteigen der Höhe.

Zudem handeln all' die mit dem Munde überaus Kühnen für sich noch
viel vorsichtiger als die verantwortlichen Lenker des Staatsschiffs. Wir lesen
nicht leicht eine Ftlosterstürmerredc, in welcher nicht die feierliche Versicherung
vorkommt, Redner sei ein guter Katholik, ein treuer Sohn der Kirche. Und
wenn man den guten Katholiken aufs Gewissen fragte, würde sich ergeben,
daß ihm alle Dogmen gleichgiltig, daß er sich um die Kirche gar nicht kümmert.


Grenzbote" III. 1869. 43

„Führer" bedauern, welche bei einer solchen Gelegenheit in einem überwiegend
katholischen Staate einen Protestanten zum Vorsitzenden und einen Juden
zum Hauptredner machen. Leider steht aber bei uns die liberale Sache noch
auf sehr schwachen Füßen und das stolze Pochen der Zeitungen auf die be-
schworene Verfassung hat gar zu viel von dem Singen der Kinder im Finstern
an sich. Und in der That lauern ja die Gegner, welche weder versöhnt sind
noch an Einfluß eingebüßt haben, nur auf den rechten Moment, um „dem
ganzen Schwindel" ein Ende zu machen. Was kann ihnen willkommner
sein als solch' Volksversammlungsgewäsch, gegen welches sich an Ort und
Stelle keine, in der Publicistii' kaum eine Stimme erhob! Da muß die gute
Sache immer büßen für die Streiche ihrer ungeschickten Anhänger. Und auch
die liberalen Blätter behandeln die Angelegenheit nur selten verständiger.
Aushebung der Klöster, Einziehung der Kirchengüter — die Forderung ist so
einfach und imponirt dem großen Haufen. Und werden überdies die Minister
mit harten oder spöttischen Worten angelassen, weil sie nicht augenblicklich
den Botschafter von Rom abberufen und das gesammte Eigenthum der
todten Hand confisciren wollen, so ist die öffentliche Meinung entzückt über
den Muth und die Weisheit ihrer Vertreter. Ich habe keinen Oeruf, un¬
sere Minister weiß zu waschen, daß man sie aber in dieser Frage höchst un¬
billig behandelt, ist mit Händen zu greisen. Dem Grafen Beust ist aller¬
dings vor Kurzem etwas Unangenehmes begegnet; Einer von der ultramon¬
tanen polnischen Clique bezeugte ihm in der Delegation, er und seine Freunde
seien mit des Reichskanzlers Haltung gegen Rom vollkommen zufrieden.
Das war ein verdächtiges Lob. Allein man darf nicht vergessen, daß Beust
Protestant ist und daher doppelt vorsichtig sein muß, um nicht Alles zu ver¬
derben. Und wenn die demokratischen Organe andere Minister an die Glau¬
bensbekenntnisse erinnern, welche diese einst als Oppositionscandidaten vor
ihren Wählern abgelegt haben, so ist das auch ein sehr wohlfeiler Spaß.
Ein Fußgänger vermißt sich Wohl, den Hügel dort in einem Laufe zu er¬
steigen; kommt er am Fuße derselben an, so erkennt er überrascht in dem ver¬
meintlichen Hügel einen steilen Felsen, dreimal so hoch, als er ihn aus der
Ferne schätzte. Nun kann man ihm wohl die frühere Uebereilung zum Vor¬
wurfe machen, nicht aber ein bedächtiges Ersteigen der Höhe.

Zudem handeln all' die mit dem Munde überaus Kühnen für sich noch
viel vorsichtiger als die verantwortlichen Lenker des Staatsschiffs. Wir lesen
nicht leicht eine Ftlosterstürmerredc, in welcher nicht die feierliche Versicherung
vorkommt, Redner sei ein guter Katholik, ein treuer Sohn der Kirche. Und
wenn man den guten Katholiken aufs Gewissen fragte, würde sich ergeben,
daß ihm alle Dogmen gleichgiltig, daß er sich um die Kirche gar nicht kümmert.


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[0345] „Führer" bedauern, welche bei einer solchen Gelegenheit in einem überwiegend katholischen Staate einen Protestanten zum Vorsitzenden und einen Juden zum Hauptredner machen. Leider steht aber bei uns die liberale Sache noch auf sehr schwachen Füßen und das stolze Pochen der Zeitungen auf die be- schworene Verfassung hat gar zu viel von dem Singen der Kinder im Finstern an sich. Und in der That lauern ja die Gegner, welche weder versöhnt sind noch an Einfluß eingebüßt haben, nur auf den rechten Moment, um „dem ganzen Schwindel" ein Ende zu machen. Was kann ihnen willkommner sein als solch' Volksversammlungsgewäsch, gegen welches sich an Ort und Stelle keine, in der Publicistii' kaum eine Stimme erhob! Da muß die gute Sache immer büßen für die Streiche ihrer ungeschickten Anhänger. Und auch die liberalen Blätter behandeln die Angelegenheit nur selten verständiger. Aushebung der Klöster, Einziehung der Kirchengüter — die Forderung ist so einfach und imponirt dem großen Haufen. Und werden überdies die Minister mit harten oder spöttischen Worten angelassen, weil sie nicht augenblicklich den Botschafter von Rom abberufen und das gesammte Eigenthum der todten Hand confisciren wollen, so ist die öffentliche Meinung entzückt über den Muth und die Weisheit ihrer Vertreter. Ich habe keinen Oeruf, un¬ sere Minister weiß zu waschen, daß man sie aber in dieser Frage höchst un¬ billig behandelt, ist mit Händen zu greisen. Dem Grafen Beust ist aller¬ dings vor Kurzem etwas Unangenehmes begegnet; Einer von der ultramon¬ tanen polnischen Clique bezeugte ihm in der Delegation, er und seine Freunde seien mit des Reichskanzlers Haltung gegen Rom vollkommen zufrieden. Das war ein verdächtiges Lob. Allein man darf nicht vergessen, daß Beust Protestant ist und daher doppelt vorsichtig sein muß, um nicht Alles zu ver¬ derben. Und wenn die demokratischen Organe andere Minister an die Glau¬ bensbekenntnisse erinnern, welche diese einst als Oppositionscandidaten vor ihren Wählern abgelegt haben, so ist das auch ein sehr wohlfeiler Spaß. Ein Fußgänger vermißt sich Wohl, den Hügel dort in einem Laufe zu er¬ steigen; kommt er am Fuße derselben an, so erkennt er überrascht in dem ver¬ meintlichen Hügel einen steilen Felsen, dreimal so hoch, als er ihn aus der Ferne schätzte. Nun kann man ihm wohl die frühere Uebereilung zum Vor¬ wurfe machen, nicht aber ein bedächtiges Ersteigen der Höhe. Zudem handeln all' die mit dem Munde überaus Kühnen für sich noch viel vorsichtiger als die verantwortlichen Lenker des Staatsschiffs. Wir lesen nicht leicht eine Ftlosterstürmerredc, in welcher nicht die feierliche Versicherung vorkommt, Redner sei ein guter Katholik, ein treuer Sohn der Kirche. Und wenn man den guten Katholiken aufs Gewissen fragte, würde sich ergeben, daß ihm alle Dogmen gleichgiltig, daß er sich um die Kirche gar nicht kümmert. Grenzbote» III. 1869. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/345>, abgerufen am 22.07.2024.