Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.guten Grund, Zweifel an der Wahrheit der entsetzlichen Krakauer Kloster¬ Die Presse, die Vereine und Volksversammlungen drängen denn auch guten Grund, Zweifel an der Wahrheit der entsetzlichen Krakauer Kloster¬ Die Presse, die Vereine und Volksversammlungen drängen denn auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121565"/> <p xml:id="ID_1080" prev="#ID_1079"> guten Grund, Zweifel an der Wahrheit der entsetzlichen Krakauer Kloster¬<lb/> geschichte zu äußern, denn nie ist auf dem Theater ein 6sus «x maelrins,<lb/> pünktlicher erschienen, wenn das Latein der Helden und Liebenden zu Ende<lb/> war, als die unglückliche Barbara Ubryk dem Reichs- und dem cisleithani-<lb/> scheu Ministerium zu Hilfe kam. Die Actien der mit Hochdruck arbeitenden<lb/> clerical-feudalen Partei standen wieder einmal günstig, das kann als sicher<lb/> angenommen werden. Gerüchte will ich nicht wiederholen; seit dem so merk¬<lb/> würdigen Staatsstreiche von 1865 ist man hier sehr geneigt zur Gespenster-<lb/> seherei und überdies haben wir ja die Gefahr vorläufig hinter uns. Aber<lb/> daß sie vorhanden war, das stellen die öffentliche und private Agitation in<lb/> Sachen des angeklagten Bischofs von Linz und die überraschend schnelle Be¬<lb/> gnadigung desselben wohl außer Zweifel. Doch nicht genug, daß den An¬<lb/> wälten der geknechteten Kirche und des verleumdeten Concordats plötzlich so<lb/> derb auf den Mund geschlagen wird und sie aus Klugheit gerathen finden<lb/> werden, ihn nicht zu bald wieder zu öffnen. Die Regierung wird förmlich<lb/> gezwungen, den Fall in Krakau zum Ausgangspunkte energischer und gründ¬<lb/> licher Maßregeln zu nehmen, sie könnte nicht ausweichen, auch wenn sie wollte.<lb/> Das Interessante ist nämlich, daß die Gerichte den Vorsteherinnen des Car-<lb/> meliterinnenklosters, welche die unglückliche Nonne in Schmutz, Kälte und<lb/> Hunger verkommen ließen, sehr wenig werden anhaben können, denn diese haben<lb/> in gutem Glauben, haben ihren Ordensvorschriften gemäß gehandelt, sie<lb/> schädigten die Schwester nicht „aus bösem Vorsatz", nicht „in feindseliger<lb/> Absicht", sie übten eine ihnen zustehende Gewalt aus, und damit ist nach<lb/> der Ansicht tüchtiger Juristen das Verfahren gegen Barbara Ubryk aus der<lb/> Kategorie der Verbrechen und Vergehen in die der „Uebertretungen" ver¬<lb/> wiesen. Wenn dem so ist und der Gerichtshof demgemäß zu Recht erkennt,<lb/> so muß ein solches Factum mit viel mehr überzeugender Gewalt und un-<lb/> widerleglicherer Logik als alle staatsrechtlichen Deductionen vermöchten, dar¬<lb/> thun, daß der Rechtsstaat eine Fiction ist, so lange Exemptionen irgend einer<lb/> Art bestehen, oder so lange — um ein früher aller Welt geläufiges Schlag'<lb/> wort zu gebrauchen — so lange der Staat im Staate geduldet wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1081" next="#ID_1082"> Die Presse, die Vereine und Volksversammlungen drängen denn auch<lb/> die Negierung zu energischen Schritten, mit Heftigkett und oft mit viel Un¬<lb/> vernunft. Volksversammlungen muß man wohl in dem Punkt etwas zugut-<lb/> halten. Aber es macht nicht bloß einen niederschlagenden Eindruck, wenn die<lb/> sogenannte Volkspartei sich dermaßen blamirr, wie neulich in Wien. Bei uns<lb/> ist dergleichen nie ungefährlich. An sich würde es wenig bedeuten, wenn eine<lb/> Schaar unschädlicher Schwätzer einige Hundert Menschen um sich versammel¬<lb/> ten und ihnen theils unreifes, theils abgestandenes Zeug über die „Kloster¬<lb/> frage" -vortrügen; man könnte höchstens die beispiellose Tactlosigkeit dieser</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0344]
guten Grund, Zweifel an der Wahrheit der entsetzlichen Krakauer Kloster¬
geschichte zu äußern, denn nie ist auf dem Theater ein 6sus «x maelrins,
pünktlicher erschienen, wenn das Latein der Helden und Liebenden zu Ende
war, als die unglückliche Barbara Ubryk dem Reichs- und dem cisleithani-
scheu Ministerium zu Hilfe kam. Die Actien der mit Hochdruck arbeitenden
clerical-feudalen Partei standen wieder einmal günstig, das kann als sicher
angenommen werden. Gerüchte will ich nicht wiederholen; seit dem so merk¬
würdigen Staatsstreiche von 1865 ist man hier sehr geneigt zur Gespenster-
seherei und überdies haben wir ja die Gefahr vorläufig hinter uns. Aber
daß sie vorhanden war, das stellen die öffentliche und private Agitation in
Sachen des angeklagten Bischofs von Linz und die überraschend schnelle Be¬
gnadigung desselben wohl außer Zweifel. Doch nicht genug, daß den An¬
wälten der geknechteten Kirche und des verleumdeten Concordats plötzlich so
derb auf den Mund geschlagen wird und sie aus Klugheit gerathen finden
werden, ihn nicht zu bald wieder zu öffnen. Die Regierung wird förmlich
gezwungen, den Fall in Krakau zum Ausgangspunkte energischer und gründ¬
licher Maßregeln zu nehmen, sie könnte nicht ausweichen, auch wenn sie wollte.
Das Interessante ist nämlich, daß die Gerichte den Vorsteherinnen des Car-
meliterinnenklosters, welche die unglückliche Nonne in Schmutz, Kälte und
Hunger verkommen ließen, sehr wenig werden anhaben können, denn diese haben
in gutem Glauben, haben ihren Ordensvorschriften gemäß gehandelt, sie
schädigten die Schwester nicht „aus bösem Vorsatz", nicht „in feindseliger
Absicht", sie übten eine ihnen zustehende Gewalt aus, und damit ist nach
der Ansicht tüchtiger Juristen das Verfahren gegen Barbara Ubryk aus der
Kategorie der Verbrechen und Vergehen in die der „Uebertretungen" ver¬
wiesen. Wenn dem so ist und der Gerichtshof demgemäß zu Recht erkennt,
so muß ein solches Factum mit viel mehr überzeugender Gewalt und un-
widerleglicherer Logik als alle staatsrechtlichen Deductionen vermöchten, dar¬
thun, daß der Rechtsstaat eine Fiction ist, so lange Exemptionen irgend einer
Art bestehen, oder so lange — um ein früher aller Welt geläufiges Schlag'
wort zu gebrauchen — so lange der Staat im Staate geduldet wird.
Die Presse, die Vereine und Volksversammlungen drängen denn auch
die Negierung zu energischen Schritten, mit Heftigkett und oft mit viel Un¬
vernunft. Volksversammlungen muß man wohl in dem Punkt etwas zugut-
halten. Aber es macht nicht bloß einen niederschlagenden Eindruck, wenn die
sogenannte Volkspartei sich dermaßen blamirr, wie neulich in Wien. Bei uns
ist dergleichen nie ungefährlich. An sich würde es wenig bedeuten, wenn eine
Schaar unschädlicher Schwätzer einige Hundert Menschen um sich versammel¬
ten und ihnen theils unreifes, theils abgestandenes Zeug über die „Kloster¬
frage" -vortrügen; man könnte höchstens die beispiellose Tactlosigkeit dieser
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