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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Nur durch unablässigen Trieb zum Handeln konnte der Staat seine Existenz
behaupten. Durch seine von dem Stammlande getrennten Ostflügel aufs
engste mit dem Schicksal Polens verflochten, schwebte er in beständiger Ge-
sahr, mit seinen rheinischen Besitzungen bei den unaufhörlichen Conflicten
zwischen Spanien und Frankreich in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Diese Gefahr war um so dringender, als die rheinischen Besitzungen dem
Kurfürsten keineswegs unbestritten waren, vielmehr sein Miterbe, der Pfalz-
grnf von Pfalz-Neuburg nur auf die Gelegenheit lauerte, die gesammte
Jülichsche Erbschaftsmasse an sich zu bringen, während andererseits der Kur¬
sierst sich als der allein berechtigte Gesammterbe betrachtete und nicht minder
wie der Pfalzgraf entschlossen war, seine Ansprüche bis aufs Aeußerste zu
verfolgen. Und diese an sich schon höchst wichtigen Händel verschärften sich
durch den Einfluß, den grade die rheinischen Besitzungen des Kurfürsten auf
die deutsche wie auf die allgemeine Politik Brandenburgs ausübten. Der
bis in die letzten Details eingehende Nachweis dieses Einflusses ist nun eines
der wesentlichsten Verdienste des obengenannten Buches. Es treten hier mit
aller Bestimmtheit die weitgreifenden Bestrebungen zu Tage, durch deren Ver¬
folgung sich Brandenburg-Preußen über den Rang eines Reichsstandes zu
der Höhe des deutschen Staates par exee1l6n.ce erhoben hat, die Bestre¬
bungen, die, nach längerer Unterbrechung von dem großen Friedrich wieder
aufgenommen, in der Gegenwart einen vorläufigen Abschluß gefunden haben.
Damals scheiterte ihre Verwirklichung. Preußen mußte, bevor es seine deutsche
Aufgabe mit entscheidenden Erfolge losen konnte, sich erst die Macht und den
Einfluß einer europäischen Position erringen: es mußte durch die Größe sei¬
ner Weltstellung alle Nebenbuhler im Reiche in Schatten stellen, ehe es den
Kampf um den höchsten Preis beginnen konnte. Daß aber gleichzeitig mit dem.
Ringen um diese europäische Stellung der eben erst aus der Noth des dreißig¬
jährigen Kriegs gerettete Staat die deutschen Tendenzen zur Geltung zu
bringen auch nur versuchen konnte, zeigte, wie tief dieselben in seiner Natur
begründet lagen.

Indem uns Erdmannsdörffer die Geschichte dieser Bestrebungen, auf die
preußischen Archive und besonders auf das Archiv von Arolsen gestützt"), in
ihren verschlungenen Fäden darlegt, knüpft er die Gegenwart an eine fern¬
liegende Vergangenheit an und füllt nicht nur eine wesentliche Lücke in un¬
serer Kenntniß der deutschen Politik Preußens aus, sondern stellt auch die
energische Thätigkeit und die Verdienste des Staatsmannes, den wir als den vor¬
züglichsten Träger dieser Ideen im siebenzehnten Jahrhunderte anzusehen



Als besonders interessant sri>er wir Wcildcck's Cvncspondenz mit seinem niederländi¬
schen Freunde Sommelsdyck herveir,
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Nur durch unablässigen Trieb zum Handeln konnte der Staat seine Existenz
behaupten. Durch seine von dem Stammlande getrennten Ostflügel aufs
engste mit dem Schicksal Polens verflochten, schwebte er in beständiger Ge-
sahr, mit seinen rheinischen Besitzungen bei den unaufhörlichen Conflicten
zwischen Spanien und Frankreich in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Diese Gefahr war um so dringender, als die rheinischen Besitzungen dem
Kurfürsten keineswegs unbestritten waren, vielmehr sein Miterbe, der Pfalz-
grnf von Pfalz-Neuburg nur auf die Gelegenheit lauerte, die gesammte
Jülichsche Erbschaftsmasse an sich zu bringen, während andererseits der Kur¬
sierst sich als der allein berechtigte Gesammterbe betrachtete und nicht minder
wie der Pfalzgraf entschlossen war, seine Ansprüche bis aufs Aeußerste zu
verfolgen. Und diese an sich schon höchst wichtigen Händel verschärften sich
durch den Einfluß, den grade die rheinischen Besitzungen des Kurfürsten auf
die deutsche wie auf die allgemeine Politik Brandenburgs ausübten. Der
bis in die letzten Details eingehende Nachweis dieses Einflusses ist nun eines
der wesentlichsten Verdienste des obengenannten Buches. Es treten hier mit
aller Bestimmtheit die weitgreifenden Bestrebungen zu Tage, durch deren Ver¬
folgung sich Brandenburg-Preußen über den Rang eines Reichsstandes zu
der Höhe des deutschen Staates par exee1l6n.ce erhoben hat, die Bestre¬
bungen, die, nach längerer Unterbrechung von dem großen Friedrich wieder
aufgenommen, in der Gegenwart einen vorläufigen Abschluß gefunden haben.
Damals scheiterte ihre Verwirklichung. Preußen mußte, bevor es seine deutsche
Aufgabe mit entscheidenden Erfolge losen konnte, sich erst die Macht und den
Einfluß einer europäischen Position erringen: es mußte durch die Größe sei¬
ner Weltstellung alle Nebenbuhler im Reiche in Schatten stellen, ehe es den
Kampf um den höchsten Preis beginnen konnte. Daß aber gleichzeitig mit dem.
Ringen um diese europäische Stellung der eben erst aus der Noth des dreißig¬
jährigen Kriegs gerettete Staat die deutschen Tendenzen zur Geltung zu
bringen auch nur versuchen konnte, zeigte, wie tief dieselben in seiner Natur
begründet lagen.

Indem uns Erdmannsdörffer die Geschichte dieser Bestrebungen, auf die
preußischen Archive und besonders auf das Archiv von Arolsen gestützt"), in
ihren verschlungenen Fäden darlegt, knüpft er die Gegenwart an eine fern¬
liegende Vergangenheit an und füllt nicht nur eine wesentliche Lücke in un¬
serer Kenntniß der deutschen Politik Preußens aus, sondern stellt auch die
energische Thätigkeit und die Verdienste des Staatsmannes, den wir als den vor¬
züglichsten Träger dieser Ideen im siebenzehnten Jahrhunderte anzusehen



Als besonders interessant sri>er wir Wcildcck's Cvncspondenz mit seinem niederländi¬
schen Freunde Sommelsdyck herveir,
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[0331] Nur durch unablässigen Trieb zum Handeln konnte der Staat seine Existenz behaupten. Durch seine von dem Stammlande getrennten Ostflügel aufs engste mit dem Schicksal Polens verflochten, schwebte er in beständiger Ge- sahr, mit seinen rheinischen Besitzungen bei den unaufhörlichen Conflicten zwischen Spanien und Frankreich in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Diese Gefahr war um so dringender, als die rheinischen Besitzungen dem Kurfürsten keineswegs unbestritten waren, vielmehr sein Miterbe, der Pfalz- grnf von Pfalz-Neuburg nur auf die Gelegenheit lauerte, die gesammte Jülichsche Erbschaftsmasse an sich zu bringen, während andererseits der Kur¬ sierst sich als der allein berechtigte Gesammterbe betrachtete und nicht minder wie der Pfalzgraf entschlossen war, seine Ansprüche bis aufs Aeußerste zu verfolgen. Und diese an sich schon höchst wichtigen Händel verschärften sich durch den Einfluß, den grade die rheinischen Besitzungen des Kurfürsten auf die deutsche wie auf die allgemeine Politik Brandenburgs ausübten. Der bis in die letzten Details eingehende Nachweis dieses Einflusses ist nun eines der wesentlichsten Verdienste des obengenannten Buches. Es treten hier mit aller Bestimmtheit die weitgreifenden Bestrebungen zu Tage, durch deren Ver¬ folgung sich Brandenburg-Preußen über den Rang eines Reichsstandes zu der Höhe des deutschen Staates par exee1l6n.ce erhoben hat, die Bestre¬ bungen, die, nach längerer Unterbrechung von dem großen Friedrich wieder aufgenommen, in der Gegenwart einen vorläufigen Abschluß gefunden haben. Damals scheiterte ihre Verwirklichung. Preußen mußte, bevor es seine deutsche Aufgabe mit entscheidenden Erfolge losen konnte, sich erst die Macht und den Einfluß einer europäischen Position erringen: es mußte durch die Größe sei¬ ner Weltstellung alle Nebenbuhler im Reiche in Schatten stellen, ehe es den Kampf um den höchsten Preis beginnen konnte. Daß aber gleichzeitig mit dem. Ringen um diese europäische Stellung der eben erst aus der Noth des dreißig¬ jährigen Kriegs gerettete Staat die deutschen Tendenzen zur Geltung zu bringen auch nur versuchen konnte, zeigte, wie tief dieselben in seiner Natur begründet lagen. Indem uns Erdmannsdörffer die Geschichte dieser Bestrebungen, auf die preußischen Archive und besonders auf das Archiv von Arolsen gestützt"), in ihren verschlungenen Fäden darlegt, knüpft er die Gegenwart an eine fern¬ liegende Vergangenheit an und füllt nicht nur eine wesentliche Lücke in un¬ serer Kenntniß der deutschen Politik Preußens aus, sondern stellt auch die energische Thätigkeit und die Verdienste des Staatsmannes, den wir als den vor¬ züglichsten Träger dieser Ideen im siebenzehnten Jahrhunderte anzusehen Als besonders interessant sri>er wir Wcildcck's Cvncspondenz mit seinem niederländi¬ schen Freunde Sommelsdyck herveir, 41*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/331>, abgerufen am 22.07.2024.