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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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haben, in das gebührende Licht. Unsere Kenntniß der an dem Werke des
großen Kurfürsten mitwirkenden Persönlichkeiten, der "vermittelnden und so
zu sagen erläuternden Nebenfiguren" ist, wie der Verfasser mit Recht hervor¬
hebt, bisher sehr dürftig, so daß der Fürst selbst in Folge dieses Man¬
gels "in eine für lebendiges Ergreifen und Verstehen ungünstige Ferne, in
die Ferne einer halbmythischer Figur gerückt wird."

Es ist ersichtlich, daß durch die richtige Schätzung dessen, was die ein¬
zelnen mitwirkenden Staatsmänner erstrebt und geleistet haben, die Bedeu¬
tung des großen Kurfürsten nicht gemindert wird. Seine Politik wird,
je mehr es gelingt, den Antheil abzuschätzen, den die einzelnen Individuen
seiner Umgebung an der Leitung der Angelegenheiten genommen haben,
nur um so schärfer motivirt. In der brandenburgisch-preußischen Politik
treten während der langen und thatenreichen Negierung des großen Fürsten
sehr verschiedene Richtungen hervor. Wenige Fürsten haben so oft wie er
die Stellung, oder wie wir lieber sagen wollen, die Front gewechselt, keines¬
wegs aus Laune, oder etwa gar aus Neigung zu einer zweideutigen,
mysteriösen Politik, sondern weil der Drang der Umstände ihm Schnelligkeit
und Entschlossenheit im Wechseln seiner Haltung zur Existenzbedingung machte,
weil der Herrscher eines Mittelstaats, der seiner Lage nach mit allen Gro߬
mächten in den unmittelbarsten Beziehungen stand und unausgesetzt bald von
ihrer Feindschaft, bald von ihrer stets sehr eigennützigen Freundschaft bedroht
ward, aufs sorgfältigste nach der Windrichtung und der gerade herrschenden
Strömung ausschauen mußte, um sein Fahrzeug über Wasser zu halten.
Aber andererseits waren diese mannichfaltigen Parteistellungen doch auch
nicht bloß Resultat eines äußeren Zwanges oder bloß Auskunftmittel,
um dringenden Verlegenheiten zu entgehen; vielmehr lag jedem Parteiwechsel
eine positive Idee zu Grunde, die ihre eifrigen und consequenten Vertreter
im Cabinete des Fürsten hatte, und während sie dem Einen als ein vielleicht
unvermeidliches Abweichen von der richtigen Linie erschien, dem Andern als
das wahre Ideal der brandenburgischen Politik galt. Ohne Zweifel hatte
jede dieser Richtungen ihre relative Berechtigung. Das politische Genie des
Kurfürsten zeigte sich nun aber eben gerade darin, daß er von den Richtungen,
die unaufhörlich in seinem Cabinet gegen einander rangen, in der Regel der¬
jenigen den Vorzug gab, die in einem gegebenen Augenblicke am meisten den
Anforderungen der Sicherheit entsprach, und unter den in Rechnung zu
ziehenden Verhältnissen wenigstens nach einer Richtung hin mit größter
Wahrscheinlichkeit gesteigerte Machtentwickelung in Aussicht stellte. Den An¬
forderungen der Sicherheit und Macht mußten sich alle anderen Rücksichten
unterordnen, denn sie bildeten die Grundlagen, von denen aus die höheren,


haben, in das gebührende Licht. Unsere Kenntniß der an dem Werke des
großen Kurfürsten mitwirkenden Persönlichkeiten, der „vermittelnden und so
zu sagen erläuternden Nebenfiguren" ist, wie der Verfasser mit Recht hervor¬
hebt, bisher sehr dürftig, so daß der Fürst selbst in Folge dieses Man¬
gels „in eine für lebendiges Ergreifen und Verstehen ungünstige Ferne, in
die Ferne einer halbmythischer Figur gerückt wird."

Es ist ersichtlich, daß durch die richtige Schätzung dessen, was die ein¬
zelnen mitwirkenden Staatsmänner erstrebt und geleistet haben, die Bedeu¬
tung des großen Kurfürsten nicht gemindert wird. Seine Politik wird,
je mehr es gelingt, den Antheil abzuschätzen, den die einzelnen Individuen
seiner Umgebung an der Leitung der Angelegenheiten genommen haben,
nur um so schärfer motivirt. In der brandenburgisch-preußischen Politik
treten während der langen und thatenreichen Negierung des großen Fürsten
sehr verschiedene Richtungen hervor. Wenige Fürsten haben so oft wie er
die Stellung, oder wie wir lieber sagen wollen, die Front gewechselt, keines¬
wegs aus Laune, oder etwa gar aus Neigung zu einer zweideutigen,
mysteriösen Politik, sondern weil der Drang der Umstände ihm Schnelligkeit
und Entschlossenheit im Wechseln seiner Haltung zur Existenzbedingung machte,
weil der Herrscher eines Mittelstaats, der seiner Lage nach mit allen Gro߬
mächten in den unmittelbarsten Beziehungen stand und unausgesetzt bald von
ihrer Feindschaft, bald von ihrer stets sehr eigennützigen Freundschaft bedroht
ward, aufs sorgfältigste nach der Windrichtung und der gerade herrschenden
Strömung ausschauen mußte, um sein Fahrzeug über Wasser zu halten.
Aber andererseits waren diese mannichfaltigen Parteistellungen doch auch
nicht bloß Resultat eines äußeren Zwanges oder bloß Auskunftmittel,
um dringenden Verlegenheiten zu entgehen; vielmehr lag jedem Parteiwechsel
eine positive Idee zu Grunde, die ihre eifrigen und consequenten Vertreter
im Cabinete des Fürsten hatte, und während sie dem Einen als ein vielleicht
unvermeidliches Abweichen von der richtigen Linie erschien, dem Andern als
das wahre Ideal der brandenburgischen Politik galt. Ohne Zweifel hatte
jede dieser Richtungen ihre relative Berechtigung. Das politische Genie des
Kurfürsten zeigte sich nun aber eben gerade darin, daß er von den Richtungen,
die unaufhörlich in seinem Cabinet gegen einander rangen, in der Regel der¬
jenigen den Vorzug gab, die in einem gegebenen Augenblicke am meisten den
Anforderungen der Sicherheit entsprach, und unter den in Rechnung zu
ziehenden Verhältnissen wenigstens nach einer Richtung hin mit größter
Wahrscheinlichkeit gesteigerte Machtentwickelung in Aussicht stellte. Den An¬
forderungen der Sicherheit und Macht mußten sich alle anderen Rücksichten
unterordnen, denn sie bildeten die Grundlagen, von denen aus die höheren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/332>, abgerufen am 24.08.2024.