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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Vogel oder eine Nachtigall. Brüllen kann er, daß man ihm eine Quadrat¬
meile aus dem Wege geht. Leider brüllt er oft zur Unzeit, nur um zu
brüllen, und seine mitbrüllenden Freunde machen den Lärm noch größer.
(O! -- Ach!) Ja, er predigt gern über die Schlechtigkeiten der Thierwelt,
über seine eigene Großmuth und sein übertriebenes Zartgefühl. Wenn man
ihn hört, ist er nur dazu da, die Schwachen zu beschützen, und könnte keine
Fliege beleidigen. Und doch kann er nicht von Buttermilch und' Erdbeeren
leben. Er ist großmüthig gegen Mäuse und Mücken, weniger gegen Kühe
und Kälber. (Zur Sache!) Ich bin bei der Sache. Daher trifft man den
Philanthropen oft am hellen, lichten Tage mit einem großen Kalbsknochen
im Maule." -- "Nun, nun," unterbrach M'Murrough, "wir haben Alle
unsere kleinen Unvollkommenheiten." -- "Gewiß. Dann geräth er in eine
schiefe Stellung und brüllt ein Weilchen Adagio. Aber wahr ist, daß er den
Pfad der Tugend nur verläßt, wenn ihn hungert, und daß er noblere Ma¬
nieren hat als mancher Andere, der nicht genannt zu werden braucht. Da
er überdies ein trefflicher Alliirter gegen die gemeinen Bestien ist, so werden
die Deutschen klug sein und seine kleinen UnVollkommenheiten nicht zu streng
den> theilen. Sie selber find ja auch nicht makellos. (Ach!) Gedenken wir
lieber seiner wundersamen Stärke. Diese beruht großenteils auf feiner engen
Verbindung mit dem Einhorn. Der Schädel dieses fabelhaften Wappen¬
thiers zeigt, wie mein werther Freund Bumping bestätigen wird, un-
widerleglich an, daß es nur für eine einzige Idee lebt. Während die Deut¬
schen darin Professoren sind, daß sie einen Ueberfluß von Ideen in ihrem
Kopf beherbergen und selten wissen, mit welcher sie gerade stoßen sollen, sitzt
dem Einhorn seine einzige Idee um so fester und ragt aus seiner Stirne
großartig in die Welt. Diese britische Tugend nennen unsere teutonischen
Vettern die Monocerie. Sie sind der Meinung, daß jeder Brite in seinem
Kopf nur Raum für eine Idee habe und daß darin das Geheimniß unserer
Kraft liege."

"Die armen unwissenden Gelehrten," sagte Mr. Bumping, "sie sollen
sich erst den Kopf des britischen Löwen ansehen. Alle echt englischen Organe,
den Common Sense, die Anhänglichkeit an Thron und Kirche, die Borer¬
beule, die Großmuth, die Liebe zum Soliden."

Die laute Stimme des Thunder O'Brien unterbrach diese Unterhaltung:
"Will Jemand so gut sein und nachsehn, ob unser Vorsitzer noch am Leben
ist. Ich fürchte, Mr. Grumley ist versteinert, und wir sind verdammt hier
stumm zu sitzen, bis der Neuseeländer auf der Brücke steht und von einer
Deputation wohlgekleideter Gentlemen aus Tipperary begrüßt wird". Dabei
stürzte O'Vrien seinen Whisky auf einen Zug hinunter.

Geräuschvoll rücken jetzt die Mitglieder ihre Stühle zurecht. Grumley


Vogel oder eine Nachtigall. Brüllen kann er, daß man ihm eine Quadrat¬
meile aus dem Wege geht. Leider brüllt er oft zur Unzeit, nur um zu
brüllen, und seine mitbrüllenden Freunde machen den Lärm noch größer.
(O! — Ach!) Ja, er predigt gern über die Schlechtigkeiten der Thierwelt,
über seine eigene Großmuth und sein übertriebenes Zartgefühl. Wenn man
ihn hört, ist er nur dazu da, die Schwachen zu beschützen, und könnte keine
Fliege beleidigen. Und doch kann er nicht von Buttermilch und' Erdbeeren
leben. Er ist großmüthig gegen Mäuse und Mücken, weniger gegen Kühe
und Kälber. (Zur Sache!) Ich bin bei der Sache. Daher trifft man den
Philanthropen oft am hellen, lichten Tage mit einem großen Kalbsknochen
im Maule." — „Nun, nun," unterbrach M'Murrough, „wir haben Alle
unsere kleinen Unvollkommenheiten." — „Gewiß. Dann geräth er in eine
schiefe Stellung und brüllt ein Weilchen Adagio. Aber wahr ist, daß er den
Pfad der Tugend nur verläßt, wenn ihn hungert, und daß er noblere Ma¬
nieren hat als mancher Andere, der nicht genannt zu werden braucht. Da
er überdies ein trefflicher Alliirter gegen die gemeinen Bestien ist, so werden
die Deutschen klug sein und seine kleinen UnVollkommenheiten nicht zu streng
den> theilen. Sie selber find ja auch nicht makellos. (Ach!) Gedenken wir
lieber seiner wundersamen Stärke. Diese beruht großenteils auf feiner engen
Verbindung mit dem Einhorn. Der Schädel dieses fabelhaften Wappen¬
thiers zeigt, wie mein werther Freund Bumping bestätigen wird, un-
widerleglich an, daß es nur für eine einzige Idee lebt. Während die Deut¬
schen darin Professoren sind, daß sie einen Ueberfluß von Ideen in ihrem
Kopf beherbergen und selten wissen, mit welcher sie gerade stoßen sollen, sitzt
dem Einhorn seine einzige Idee um so fester und ragt aus seiner Stirne
großartig in die Welt. Diese britische Tugend nennen unsere teutonischen
Vettern die Monocerie. Sie sind der Meinung, daß jeder Brite in seinem
Kopf nur Raum für eine Idee habe und daß darin das Geheimniß unserer
Kraft liege."

„Die armen unwissenden Gelehrten," sagte Mr. Bumping, „sie sollen
sich erst den Kopf des britischen Löwen ansehen. Alle echt englischen Organe,
den Common Sense, die Anhänglichkeit an Thron und Kirche, die Borer¬
beule, die Großmuth, die Liebe zum Soliden."

Die laute Stimme des Thunder O'Brien unterbrach diese Unterhaltung:
„Will Jemand so gut sein und nachsehn, ob unser Vorsitzer noch am Leben
ist. Ich fürchte, Mr. Grumley ist versteinert, und wir sind verdammt hier
stumm zu sitzen, bis der Neuseeländer auf der Brücke steht und von einer
Deputation wohlgekleideter Gentlemen aus Tipperary begrüßt wird". Dabei
stürzte O'Vrien seinen Whisky auf einen Zug hinunter.

Geräuschvoll rücken jetzt die Mitglieder ihre Stühle zurecht. Grumley


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[0318] Vogel oder eine Nachtigall. Brüllen kann er, daß man ihm eine Quadrat¬ meile aus dem Wege geht. Leider brüllt er oft zur Unzeit, nur um zu brüllen, und seine mitbrüllenden Freunde machen den Lärm noch größer. (O! — Ach!) Ja, er predigt gern über die Schlechtigkeiten der Thierwelt, über seine eigene Großmuth und sein übertriebenes Zartgefühl. Wenn man ihn hört, ist er nur dazu da, die Schwachen zu beschützen, und könnte keine Fliege beleidigen. Und doch kann er nicht von Buttermilch und' Erdbeeren leben. Er ist großmüthig gegen Mäuse und Mücken, weniger gegen Kühe und Kälber. (Zur Sache!) Ich bin bei der Sache. Daher trifft man den Philanthropen oft am hellen, lichten Tage mit einem großen Kalbsknochen im Maule." — „Nun, nun," unterbrach M'Murrough, „wir haben Alle unsere kleinen Unvollkommenheiten." — „Gewiß. Dann geräth er in eine schiefe Stellung und brüllt ein Weilchen Adagio. Aber wahr ist, daß er den Pfad der Tugend nur verläßt, wenn ihn hungert, und daß er noblere Ma¬ nieren hat als mancher Andere, der nicht genannt zu werden braucht. Da er überdies ein trefflicher Alliirter gegen die gemeinen Bestien ist, so werden die Deutschen klug sein und seine kleinen UnVollkommenheiten nicht zu streng den> theilen. Sie selber find ja auch nicht makellos. (Ach!) Gedenken wir lieber seiner wundersamen Stärke. Diese beruht großenteils auf feiner engen Verbindung mit dem Einhorn. Der Schädel dieses fabelhaften Wappen¬ thiers zeigt, wie mein werther Freund Bumping bestätigen wird, un- widerleglich an, daß es nur für eine einzige Idee lebt. Während die Deut¬ schen darin Professoren sind, daß sie einen Ueberfluß von Ideen in ihrem Kopf beherbergen und selten wissen, mit welcher sie gerade stoßen sollen, sitzt dem Einhorn seine einzige Idee um so fester und ragt aus seiner Stirne großartig in die Welt. Diese britische Tugend nennen unsere teutonischen Vettern die Monocerie. Sie sind der Meinung, daß jeder Brite in seinem Kopf nur Raum für eine Idee habe und daß darin das Geheimniß unserer Kraft liege." „Die armen unwissenden Gelehrten," sagte Mr. Bumping, „sie sollen sich erst den Kopf des britischen Löwen ansehen. Alle echt englischen Organe, den Common Sense, die Anhänglichkeit an Thron und Kirche, die Borer¬ beule, die Großmuth, die Liebe zum Soliden." Die laute Stimme des Thunder O'Brien unterbrach diese Unterhaltung: „Will Jemand so gut sein und nachsehn, ob unser Vorsitzer noch am Leben ist. Ich fürchte, Mr. Grumley ist versteinert, und wir sind verdammt hier stumm zu sitzen, bis der Neuseeländer auf der Brücke steht und von einer Deputation wohlgekleideter Gentlemen aus Tipperary begrüßt wird". Dabei stürzte O'Vrien seinen Whisky auf einen Zug hinunter. Geräuschvoll rücken jetzt die Mitglieder ihre Stühle zurecht. Grumley

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/318>, abgerufen am 22.07.2024.