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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Auswuchs abgesehen, grade so dumm oder gescheidt wie andere Menschen¬
kinder. Und so lange sie ihr festes Princip haben, bleiben sie in anderen
Dingen unbefangen und ungebunden, können über Alles jeden Augenblick die
Meinung ändern und behalten das Bewußtsein ihrer Consequenz. Insofern
ist das Horn eine schöne Gabe. M'Murrough's Haß gegen die Einseitigkeit
der Friedensfreunde ist im Grunde nicht so einfältig, wenigstens ist er nicht
so verrückt, seine Religion den Heiden zu predigen. Nur den Franzosen,
Amerikanern, Russen und Anderen möchte er verbieten, einen Säbel im Hause
zu haben. -- Halt, nicht ungeduldig! Wir müssen noch eine kleine Feierlich¬
keit durchmachen. Ich stelle Sie dem Chairmann (Präsidenten) vor. Er
führte mich in die Nähe des Präsidentenstuhls. "Mein Freund, Mr. Gilden,
ein Deutscher, ein weitgereister Gentleman, der einer Sitzung beizuwohnen
wünscht, er will für die deutschen Professoren einige Notizen über den Löwen
und das Einhorn sammeln. Denn die Deutschen sind, wie ich höre, grade
jetzt in eifriger Untersuchung, welches unserer Wappenthiere den Wigh und
welches den Tory vorstelle."

Ungefragt warf der Jrländer, welcher bei einem Glase Whisky am
Kamin saß und heftig aus seiner kleinen Thonpfeife rauchte, dazwischen:
"Man kann nicht gerade behaupten, daß der Wigh und der Tory Zwillinge
sind, aber ich sage von ihnen, wie der Neger vom Cäsar und vom Pompey,
der Wigh und der Tory sind einander sehr ähnlich, besonders der Tory. Der
Unterschied ist aber gering." -- "Mr. Thunder O'Brien", stellte mein Freund
vor "Die Professoren drüben haben schlaflose Nächte," antwortete Grumley
der Chairmann, "sie wären brave Leutchen, wenn sie nur ihre sogenannte
Philosophie über Bord werfen wollten." Ich versetzte: "Die deutschen Pro¬
fessoren hatten stets die größte Achtung vor dem britischen Löwen, sie stellen
hin sogar über die Wappenthiere ihres eigenen Landes." -- "Ja," sagte
Grumley, "die Fremden glauben uns besser zu kennen, als der liebe Gott,
der uns geschaffen hat. Vielleicht erzählt uns Mr. Gilden, wie man sich
drüben den stolzen Brüten ausmalt." -- "Ja, ja. thun Sie das," drängten
die Nachbarn.

Mein Freund Mink sah meinen hilfefleheuden Blick und begann: "Gent-
lemen, gestatten Sie mir, der ich den Continent auch ein wenig kenne, an¬
statt meines deutschen Freundes, Ihnen zu antworten. Die ungeschminkte
Meinung der Deutschen ist etwa folgende: "Der britische Löwe ist der größte
in Europa (hört! hört!), der belgische ist ein Hund gegen ihn; den bairischen
und böhmischen nebst einem Dutzend anderer Wappenlöwlein hält der Schatten
seines Schmeifes in Respect. (Beifall) Ein recht braves Thier, ein gemüth¬
licher Kerl für einen Löwen. Aber Löwe bleibt Löwe, wissen Sie. Man
macht in seinem Leben kein Lamm aus ihm, so wenig wie einen Kanarien-


Auswuchs abgesehen, grade so dumm oder gescheidt wie andere Menschen¬
kinder. Und so lange sie ihr festes Princip haben, bleiben sie in anderen
Dingen unbefangen und ungebunden, können über Alles jeden Augenblick die
Meinung ändern und behalten das Bewußtsein ihrer Consequenz. Insofern
ist das Horn eine schöne Gabe. M'Murrough's Haß gegen die Einseitigkeit
der Friedensfreunde ist im Grunde nicht so einfältig, wenigstens ist er nicht
so verrückt, seine Religion den Heiden zu predigen. Nur den Franzosen,
Amerikanern, Russen und Anderen möchte er verbieten, einen Säbel im Hause
zu haben. — Halt, nicht ungeduldig! Wir müssen noch eine kleine Feierlich¬
keit durchmachen. Ich stelle Sie dem Chairmann (Präsidenten) vor. Er
führte mich in die Nähe des Präsidentenstuhls. „Mein Freund, Mr. Gilden,
ein Deutscher, ein weitgereister Gentleman, der einer Sitzung beizuwohnen
wünscht, er will für die deutschen Professoren einige Notizen über den Löwen
und das Einhorn sammeln. Denn die Deutschen sind, wie ich höre, grade
jetzt in eifriger Untersuchung, welches unserer Wappenthiere den Wigh und
welches den Tory vorstelle."

Ungefragt warf der Jrländer, welcher bei einem Glase Whisky am
Kamin saß und heftig aus seiner kleinen Thonpfeife rauchte, dazwischen:
„Man kann nicht gerade behaupten, daß der Wigh und der Tory Zwillinge
sind, aber ich sage von ihnen, wie der Neger vom Cäsar und vom Pompey,
der Wigh und der Tory sind einander sehr ähnlich, besonders der Tory. Der
Unterschied ist aber gering." — „Mr. Thunder O'Brien", stellte mein Freund
vor „Die Professoren drüben haben schlaflose Nächte," antwortete Grumley
der Chairmann, „sie wären brave Leutchen, wenn sie nur ihre sogenannte
Philosophie über Bord werfen wollten." Ich versetzte: „Die deutschen Pro¬
fessoren hatten stets die größte Achtung vor dem britischen Löwen, sie stellen
hin sogar über die Wappenthiere ihres eigenen Landes." — „Ja," sagte
Grumley, „die Fremden glauben uns besser zu kennen, als der liebe Gott,
der uns geschaffen hat. Vielleicht erzählt uns Mr. Gilden, wie man sich
drüben den stolzen Brüten ausmalt." — „Ja, ja. thun Sie das," drängten
die Nachbarn.

Mein Freund Mink sah meinen hilfefleheuden Blick und begann: „Gent-
lemen, gestatten Sie mir, der ich den Continent auch ein wenig kenne, an¬
statt meines deutschen Freundes, Ihnen zu antworten. Die ungeschminkte
Meinung der Deutschen ist etwa folgende: „Der britische Löwe ist der größte
in Europa (hört! hört!), der belgische ist ein Hund gegen ihn; den bairischen
und böhmischen nebst einem Dutzend anderer Wappenlöwlein hält der Schatten
seines Schmeifes in Respect. (Beifall) Ein recht braves Thier, ein gemüth¬
licher Kerl für einen Löwen. Aber Löwe bleibt Löwe, wissen Sie. Man
macht in seinem Leben kein Lamm aus ihm, so wenig wie einen Kanarien-


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[0317] Auswuchs abgesehen, grade so dumm oder gescheidt wie andere Menschen¬ kinder. Und so lange sie ihr festes Princip haben, bleiben sie in anderen Dingen unbefangen und ungebunden, können über Alles jeden Augenblick die Meinung ändern und behalten das Bewußtsein ihrer Consequenz. Insofern ist das Horn eine schöne Gabe. M'Murrough's Haß gegen die Einseitigkeit der Friedensfreunde ist im Grunde nicht so einfältig, wenigstens ist er nicht so verrückt, seine Religion den Heiden zu predigen. Nur den Franzosen, Amerikanern, Russen und Anderen möchte er verbieten, einen Säbel im Hause zu haben. — Halt, nicht ungeduldig! Wir müssen noch eine kleine Feierlich¬ keit durchmachen. Ich stelle Sie dem Chairmann (Präsidenten) vor. Er führte mich in die Nähe des Präsidentenstuhls. „Mein Freund, Mr. Gilden, ein Deutscher, ein weitgereister Gentleman, der einer Sitzung beizuwohnen wünscht, er will für die deutschen Professoren einige Notizen über den Löwen und das Einhorn sammeln. Denn die Deutschen sind, wie ich höre, grade jetzt in eifriger Untersuchung, welches unserer Wappenthiere den Wigh und welches den Tory vorstelle." Ungefragt warf der Jrländer, welcher bei einem Glase Whisky am Kamin saß und heftig aus seiner kleinen Thonpfeife rauchte, dazwischen: „Man kann nicht gerade behaupten, daß der Wigh und der Tory Zwillinge sind, aber ich sage von ihnen, wie der Neger vom Cäsar und vom Pompey, der Wigh und der Tory sind einander sehr ähnlich, besonders der Tory. Der Unterschied ist aber gering." — „Mr. Thunder O'Brien", stellte mein Freund vor „Die Professoren drüben haben schlaflose Nächte," antwortete Grumley der Chairmann, „sie wären brave Leutchen, wenn sie nur ihre sogenannte Philosophie über Bord werfen wollten." Ich versetzte: „Die deutschen Pro¬ fessoren hatten stets die größte Achtung vor dem britischen Löwen, sie stellen hin sogar über die Wappenthiere ihres eigenen Landes." — „Ja," sagte Grumley, „die Fremden glauben uns besser zu kennen, als der liebe Gott, der uns geschaffen hat. Vielleicht erzählt uns Mr. Gilden, wie man sich drüben den stolzen Brüten ausmalt." — „Ja, ja. thun Sie das," drängten die Nachbarn. Mein Freund Mink sah meinen hilfefleheuden Blick und begann: „Gent- lemen, gestatten Sie mir, der ich den Continent auch ein wenig kenne, an¬ statt meines deutschen Freundes, Ihnen zu antworten. Die ungeschminkte Meinung der Deutschen ist etwa folgende: „Der britische Löwe ist der größte in Europa (hört! hört!), der belgische ist ein Hund gegen ihn; den bairischen und böhmischen nebst einem Dutzend anderer Wappenlöwlein hält der Schatten seines Schmeifes in Respect. (Beifall) Ein recht braves Thier, ein gemüth¬ licher Kerl für einen Löwen. Aber Löwe bleibt Löwe, wissen Sie. Man macht in seinem Leben kein Lamm aus ihm, so wenig wie einen Kanarien-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/317>, abgerufen am 02.07.2024.