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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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führen möge, zu welchen die Kleinheit und territoriale Zersplitterung ein¬
zelner Bundesstaaten, manchmal wohl auch, wie im Oberharz, die ungünstige
Gestalt der Grenzen gewiß in Hülle und Fülle Anlaß gibt.

Dabei möge man aber nicht übersehen, daß diese Frage zugleich noch
andere Seiten hat, als die hier zunächst besprochene und am unmittelbarsten
sich der Betrachtung aufdrängende finanzielle Seite. Mit einer rationellen
Organisation, und hierunter verstehen wir größere Sprengel auch für
die ordentlichen Gerichte erster Instanz (also abgesehen von denSpe-
cialgerichten oder Deputationen sür Bagatellsachen, sür das Vormundschafts¬
oder Hypothekenwesen und dergleichen mehr), welche eine wirkliche Colle-
gial verfassung auch dieser Instanz gestatten und, soweit irgend
möglich -- Verlegung der Gerichtssitze in Städte von wenigstens
einiger Bedeutung -- mit einer solchen rationellen Organisation also
hängt, um nur Eines hier anzuführen, auch der innere Werth der Ju¬
stizpflege gar eng zusammen, viel enger als man Wohl gemeiniglich anzu¬
nehmen geneigt ist; einfach aus Gründen, die tief in der menschlichen Natur
liegen. Die beschränkte Zahl und -- in Folge der gleichartigen wirthschaft¬
lichen Verhältnisse -- Gleichartigkeit der Fälle, welche in einem kleinen Sprengel
zur Cognition kommen, wirken an und für sich schon leicht ermüdend und
abstumpfend auf das Richterpersonal ein. Aber auch hiervon ganz abgesehen,
so sind kleine schwachbesetzte Gerichte, zumal in kleinen auch sonst wenig An¬
regung und Hilfsmittel darbietenden Landstädtchen, gewiß nicht geeignet, den
Geist wissenschaftlichen Strebens und Wetteifers anzufachen oder auch nur
zu erhalten -- gewiß eine Betrachtung wichtig genug, um das Gewicht jener
früher besprochenen Gründe für eine Organisation der Gerichte im Sinne des
staatlichen Großbetriebs, falls es dessen noch bedürfte, noch erheblich zu ver¬
stärken.

In gar mannigfacher Weise, aber allerdings in den durch seine Natur
gegebenen Grenzen wird der Bund auf die Herstellung einer solchen Gerichts¬
organisation im Stil des staatlichen Großbetriebs durch das ganze Bun¬
desgebiet hinwirken können. Er wird allerdings eine solche nicht un¬
mittelbar selbst einrichten, nicht selbst direct und aus eigener Machtvollkom¬
menheit organisatorisch eingreifen können. Er wird vielmehr wie seine ver¬
fassungsmäßig begründete Aufgabe, die Herstellung eines einheitlichen
Civil- und Strasproceßverfahrens auf der einen Seite feine Thätigkeit für
die Feststellung der Principien der Organisation, oder sür dieselbe ma߬
gebenden allgemeinen Grundsätze, sowie für eine Controle der in den
einzelnen Staaten zu treffenden Einrichtungen in Betreff der practischen
Durchführung dieser Grundsätze in Anspruch nimmt, auf der anderen Seite
(abgesehen von der Errichtung eines allgemeinen obersten Bundesgerichts-


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führen möge, zu welchen die Kleinheit und territoriale Zersplitterung ein¬
zelner Bundesstaaten, manchmal wohl auch, wie im Oberharz, die ungünstige
Gestalt der Grenzen gewiß in Hülle und Fülle Anlaß gibt.

Dabei möge man aber nicht übersehen, daß diese Frage zugleich noch
andere Seiten hat, als die hier zunächst besprochene und am unmittelbarsten
sich der Betrachtung aufdrängende finanzielle Seite. Mit einer rationellen
Organisation, und hierunter verstehen wir größere Sprengel auch für
die ordentlichen Gerichte erster Instanz (also abgesehen von denSpe-
cialgerichten oder Deputationen sür Bagatellsachen, sür das Vormundschafts¬
oder Hypothekenwesen und dergleichen mehr), welche eine wirkliche Colle-
gial verfassung auch dieser Instanz gestatten und, soweit irgend
möglich — Verlegung der Gerichtssitze in Städte von wenigstens
einiger Bedeutung — mit einer solchen rationellen Organisation also
hängt, um nur Eines hier anzuführen, auch der innere Werth der Ju¬
stizpflege gar eng zusammen, viel enger als man Wohl gemeiniglich anzu¬
nehmen geneigt ist; einfach aus Gründen, die tief in der menschlichen Natur
liegen. Die beschränkte Zahl und — in Folge der gleichartigen wirthschaft¬
lichen Verhältnisse — Gleichartigkeit der Fälle, welche in einem kleinen Sprengel
zur Cognition kommen, wirken an und für sich schon leicht ermüdend und
abstumpfend auf das Richterpersonal ein. Aber auch hiervon ganz abgesehen,
so sind kleine schwachbesetzte Gerichte, zumal in kleinen auch sonst wenig An¬
regung und Hilfsmittel darbietenden Landstädtchen, gewiß nicht geeignet, den
Geist wissenschaftlichen Strebens und Wetteifers anzufachen oder auch nur
zu erhalten — gewiß eine Betrachtung wichtig genug, um das Gewicht jener
früher besprochenen Gründe für eine Organisation der Gerichte im Sinne des
staatlichen Großbetriebs, falls es dessen noch bedürfte, noch erheblich zu ver¬
stärken.

In gar mannigfacher Weise, aber allerdings in den durch seine Natur
gegebenen Grenzen wird der Bund auf die Herstellung einer solchen Gerichts¬
organisation im Stil des staatlichen Großbetriebs durch das ganze Bun¬
desgebiet hinwirken können. Er wird allerdings eine solche nicht un¬
mittelbar selbst einrichten, nicht selbst direct und aus eigener Machtvollkom¬
menheit organisatorisch eingreifen können. Er wird vielmehr wie seine ver¬
fassungsmäßig begründete Aufgabe, die Herstellung eines einheitlichen
Civil- und Strasproceßverfahrens auf der einen Seite feine Thätigkeit für
die Feststellung der Principien der Organisation, oder sür dieselbe ma߬
gebenden allgemeinen Grundsätze, sowie für eine Controle der in den
einzelnen Staaten zu treffenden Einrichtungen in Betreff der practischen
Durchführung dieser Grundsätze in Anspruch nimmt, auf der anderen Seite
(abgesehen von der Errichtung eines allgemeinen obersten Bundesgerichts-


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[0313] führen möge, zu welchen die Kleinheit und territoriale Zersplitterung ein¬ zelner Bundesstaaten, manchmal wohl auch, wie im Oberharz, die ungünstige Gestalt der Grenzen gewiß in Hülle und Fülle Anlaß gibt. Dabei möge man aber nicht übersehen, daß diese Frage zugleich noch andere Seiten hat, als die hier zunächst besprochene und am unmittelbarsten sich der Betrachtung aufdrängende finanzielle Seite. Mit einer rationellen Organisation, und hierunter verstehen wir größere Sprengel auch für die ordentlichen Gerichte erster Instanz (also abgesehen von denSpe- cialgerichten oder Deputationen sür Bagatellsachen, sür das Vormundschafts¬ oder Hypothekenwesen und dergleichen mehr), welche eine wirkliche Colle- gial verfassung auch dieser Instanz gestatten und, soweit irgend möglich — Verlegung der Gerichtssitze in Städte von wenigstens einiger Bedeutung — mit einer solchen rationellen Organisation also hängt, um nur Eines hier anzuführen, auch der innere Werth der Ju¬ stizpflege gar eng zusammen, viel enger als man Wohl gemeiniglich anzu¬ nehmen geneigt ist; einfach aus Gründen, die tief in der menschlichen Natur liegen. Die beschränkte Zahl und — in Folge der gleichartigen wirthschaft¬ lichen Verhältnisse — Gleichartigkeit der Fälle, welche in einem kleinen Sprengel zur Cognition kommen, wirken an und für sich schon leicht ermüdend und abstumpfend auf das Richterpersonal ein. Aber auch hiervon ganz abgesehen, so sind kleine schwachbesetzte Gerichte, zumal in kleinen auch sonst wenig An¬ regung und Hilfsmittel darbietenden Landstädtchen, gewiß nicht geeignet, den Geist wissenschaftlichen Strebens und Wetteifers anzufachen oder auch nur zu erhalten — gewiß eine Betrachtung wichtig genug, um das Gewicht jener früher besprochenen Gründe für eine Organisation der Gerichte im Sinne des staatlichen Großbetriebs, falls es dessen noch bedürfte, noch erheblich zu ver¬ stärken. In gar mannigfacher Weise, aber allerdings in den durch seine Natur gegebenen Grenzen wird der Bund auf die Herstellung einer solchen Gerichts¬ organisation im Stil des staatlichen Großbetriebs durch das ganze Bun¬ desgebiet hinwirken können. Er wird allerdings eine solche nicht un¬ mittelbar selbst einrichten, nicht selbst direct und aus eigener Machtvollkom¬ menheit organisatorisch eingreifen können. Er wird vielmehr wie seine ver¬ fassungsmäßig begründete Aufgabe, die Herstellung eines einheitlichen Civil- und Strasproceßverfahrens auf der einen Seite feine Thätigkeit für die Feststellung der Principien der Organisation, oder sür dieselbe ma߬ gebenden allgemeinen Grundsätze, sowie für eine Controle der in den einzelnen Staaten zu treffenden Einrichtungen in Betreff der practischen Durchführung dieser Grundsätze in Anspruch nimmt, auf der anderen Seite (abgesehen von der Errichtung eines allgemeinen obersten Bundesgerichts- Grenzboten III. 186Ü. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/313>, abgerufen am 02.07.2024.