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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Karl Albert war mehr durch den Zwang der Umstände als durch seinen
freien Entschluß zum Kriege gedrängt worden. Man kann sagen, die Nation
selbst hatte ihm das Schwert in die Hand gedrückt. Und wenn er dabei die
traditionelle Politik seines Hauses wieder ausnahm und den Preis des Kampfes
sich sehr bestimmt gesetzt hatte, so war doch die Befreiung Oberitaliens zu¬
gleich ein allgemeines Anliegen der ganzen Halbinsel; sie bedeutete die natio¬
nale Unabhängigkeit auch für alle anderen Staaten. Dieser Nationalkrieg
nun war jetzt Piemonts oberstes Interesses Es wünschte die Mitwirkung
der anderen Staaten, ein Bündnis) zu dem practischen Zweck des gemein¬
samen Krieges, Es ließ sich auf eine Liga ein, sofern sie die Action unter¬
stützte, aber nicht, sofern sie geeignet war, diese Action zu hemmen. Darum
sollte nur das Princip festgestellt, alles Weitere aber, die Organisation des
Bundes, bis nach Beendigung des Unabhängigkeitskrieges verschoben werden.
Dies war der Standpunkt, den Piemont consequent während der ersten Phase
dieser Verhandlungen einnahm.

Gerade aber vom Krieg wollten die anderen nichtmilitärischen Staaten
nichts wissen. Der Bund sollte lediglich ein Defensivbund sein, ein morali¬
sches Gegengewicht gegen den politischen Einfluß Oestreichs, und eher ein
Präservativ gegen den Krieg als ein Mittel zum Siege. Am nachdrücklich¬
sten betonte der Papst den blos defensiven Charakter des künftigen Bundes,
weil es sich für ihn als den Statthalter Christi nicht anders gezieme. Dabei
machte er Ansprüche in Betreff des Vorsitzes, welche zeigten, daß Gioberti's
Ideen vom Primat des Papstthums und von dessen Wiederherstellung zu
mittelalterlichen Glänze nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben waren. Tos-
canas Politik war durchaus vom Mißtrauen in die Albertinischen Tendenzen
beherrscht, während sie selbst eifrig nach Gelegenheit zu Gebietserweiterungen
spähte. Der König von Neapel endlich, der seinerseits den Oberbefehl im
Kriege verlangte, wollte den Bund von Anfang an nur als ein Mittel benutzen,
das abgefallene Sicilien wiederzugewinnen, während umgekehrt die Si-
cilianer als eigene Macht dem Bund beizutreten wünschten. So war von
der ersten Stunde an die Idee des Bundes ein Element der Zwietracht, und
früh zeigte sich das Mißtrauen Aller gegen Piemont, so daß schon am
19. März der Großherzog Leopold dem Papst den Vorschlag machen konnte,
bei der Bildung des Bundes Piemont vorläufig ganz aus dem Spiel
zu lassen.

Im April wurden die Verhandlungen abgebrochen, zu einer Zeit, da das
piemontesische Heer den Mincio überschritten hatte, und am günstigen Aus¬
gang des Kriegs nicht mehr gezweifelt wurde. Doch wurden sie schon An¬
fangs Juni, noch vor der unglücklichen Wendung, von dem Ministerium
Mamiani in Rom wieder aufgenommen, abermals auf Anregung Toseanas,


Karl Albert war mehr durch den Zwang der Umstände als durch seinen
freien Entschluß zum Kriege gedrängt worden. Man kann sagen, die Nation
selbst hatte ihm das Schwert in die Hand gedrückt. Und wenn er dabei die
traditionelle Politik seines Hauses wieder ausnahm und den Preis des Kampfes
sich sehr bestimmt gesetzt hatte, so war doch die Befreiung Oberitaliens zu¬
gleich ein allgemeines Anliegen der ganzen Halbinsel; sie bedeutete die natio¬
nale Unabhängigkeit auch für alle anderen Staaten. Dieser Nationalkrieg
nun war jetzt Piemonts oberstes Interesses Es wünschte die Mitwirkung
der anderen Staaten, ein Bündnis) zu dem practischen Zweck des gemein¬
samen Krieges, Es ließ sich auf eine Liga ein, sofern sie die Action unter¬
stützte, aber nicht, sofern sie geeignet war, diese Action zu hemmen. Darum
sollte nur das Princip festgestellt, alles Weitere aber, die Organisation des
Bundes, bis nach Beendigung des Unabhängigkeitskrieges verschoben werden.
Dies war der Standpunkt, den Piemont consequent während der ersten Phase
dieser Verhandlungen einnahm.

Gerade aber vom Krieg wollten die anderen nichtmilitärischen Staaten
nichts wissen. Der Bund sollte lediglich ein Defensivbund sein, ein morali¬
sches Gegengewicht gegen den politischen Einfluß Oestreichs, und eher ein
Präservativ gegen den Krieg als ein Mittel zum Siege. Am nachdrücklich¬
sten betonte der Papst den blos defensiven Charakter des künftigen Bundes,
weil es sich für ihn als den Statthalter Christi nicht anders gezieme. Dabei
machte er Ansprüche in Betreff des Vorsitzes, welche zeigten, daß Gioberti's
Ideen vom Primat des Papstthums und von dessen Wiederherstellung zu
mittelalterlichen Glänze nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben waren. Tos-
canas Politik war durchaus vom Mißtrauen in die Albertinischen Tendenzen
beherrscht, während sie selbst eifrig nach Gelegenheit zu Gebietserweiterungen
spähte. Der König von Neapel endlich, der seinerseits den Oberbefehl im
Kriege verlangte, wollte den Bund von Anfang an nur als ein Mittel benutzen,
das abgefallene Sicilien wiederzugewinnen, während umgekehrt die Si-
cilianer als eigene Macht dem Bund beizutreten wünschten. So war von
der ersten Stunde an die Idee des Bundes ein Element der Zwietracht, und
früh zeigte sich das Mißtrauen Aller gegen Piemont, so daß schon am
19. März der Großherzog Leopold dem Papst den Vorschlag machen konnte,
bei der Bildung des Bundes Piemont vorläufig ganz aus dem Spiel
zu lassen.

Im April wurden die Verhandlungen abgebrochen, zu einer Zeit, da das
piemontesische Heer den Mincio überschritten hatte, und am günstigen Aus¬
gang des Kriegs nicht mehr gezweifelt wurde. Doch wurden sie schon An¬
fangs Juni, noch vor der unglücklichen Wendung, von dem Ministerium
Mamiani in Rom wieder aufgenommen, abermals auf Anregung Toseanas,


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[0296] Karl Albert war mehr durch den Zwang der Umstände als durch seinen freien Entschluß zum Kriege gedrängt worden. Man kann sagen, die Nation selbst hatte ihm das Schwert in die Hand gedrückt. Und wenn er dabei die traditionelle Politik seines Hauses wieder ausnahm und den Preis des Kampfes sich sehr bestimmt gesetzt hatte, so war doch die Befreiung Oberitaliens zu¬ gleich ein allgemeines Anliegen der ganzen Halbinsel; sie bedeutete die natio¬ nale Unabhängigkeit auch für alle anderen Staaten. Dieser Nationalkrieg nun war jetzt Piemonts oberstes Interesses Es wünschte die Mitwirkung der anderen Staaten, ein Bündnis) zu dem practischen Zweck des gemein¬ samen Krieges, Es ließ sich auf eine Liga ein, sofern sie die Action unter¬ stützte, aber nicht, sofern sie geeignet war, diese Action zu hemmen. Darum sollte nur das Princip festgestellt, alles Weitere aber, die Organisation des Bundes, bis nach Beendigung des Unabhängigkeitskrieges verschoben werden. Dies war der Standpunkt, den Piemont consequent während der ersten Phase dieser Verhandlungen einnahm. Gerade aber vom Krieg wollten die anderen nichtmilitärischen Staaten nichts wissen. Der Bund sollte lediglich ein Defensivbund sein, ein morali¬ sches Gegengewicht gegen den politischen Einfluß Oestreichs, und eher ein Präservativ gegen den Krieg als ein Mittel zum Siege. Am nachdrücklich¬ sten betonte der Papst den blos defensiven Charakter des künftigen Bundes, weil es sich für ihn als den Statthalter Christi nicht anders gezieme. Dabei machte er Ansprüche in Betreff des Vorsitzes, welche zeigten, daß Gioberti's Ideen vom Primat des Papstthums und von dessen Wiederherstellung zu mittelalterlichen Glänze nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben waren. Tos- canas Politik war durchaus vom Mißtrauen in die Albertinischen Tendenzen beherrscht, während sie selbst eifrig nach Gelegenheit zu Gebietserweiterungen spähte. Der König von Neapel endlich, der seinerseits den Oberbefehl im Kriege verlangte, wollte den Bund von Anfang an nur als ein Mittel benutzen, das abgefallene Sicilien wiederzugewinnen, während umgekehrt die Si- cilianer als eigene Macht dem Bund beizutreten wünschten. So war von der ersten Stunde an die Idee des Bundes ein Element der Zwietracht, und früh zeigte sich das Mißtrauen Aller gegen Piemont, so daß schon am 19. März der Großherzog Leopold dem Papst den Vorschlag machen konnte, bei der Bildung des Bundes Piemont vorläufig ganz aus dem Spiel zu lassen. Im April wurden die Verhandlungen abgebrochen, zu einer Zeit, da das piemontesische Heer den Mincio überschritten hatte, und am günstigen Aus¬ gang des Kriegs nicht mehr gezweifelt wurde. Doch wurden sie schon An¬ fangs Juni, noch vor der unglücklichen Wendung, von dem Ministerium Mamiani in Rom wieder aufgenommen, abermals auf Anregung Toseanas,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/296>, abgerufen am 22.07.2024.