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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Papst, selbst der König von Neapel entzog sich den Verhandlungen nicht.
Sobald jedoch über das allgemeine Princip hinausgegangen. Zweck oder gar
Einrichtung des Bundes erörtert werden sollte, zerschlugen sich jedesmal die
Verhandlungen, Es stellte sich heraus, daß jeder Staat unter dem Bunde
etwas Anderes verstand und andere Hintergedanken damit verknüpfte.

Es ist keine Frage, daß die Versuche einer Conföderation in erster Linie
an dem Widerstand Piemonts gescheitert sind, und es ist häufig der üble
Wille Karl Albert's getadelt worden, der ein so hoffnungsreiches Project zu¬
nichte machte. Auch N. Bianchi schließt sich diesem Tadel an. Er kommt
immer wieder darauf zurück, daß diese Politik fehlerhaft und unklug gewesen
sei und der italienischen Sache die wesentlichsten Vortheile entzogen habe.
Insbesondere hätte der Abschluß eines Bundes, in welchen der Papst hinein¬
gezogen worden wäre, dessen Abfall von der italienischen Sache verhindert
und ihm einen Ausweg aus dem Labyrinth bereitet, in das er sich durch seine
Doppeleigenschaft als Papst und Fürst verwickelt sah. Die Politik Karl
Albert's, darin gipfelt diese Kritik, habe eigensinnig und kurzsichtig nur das
piemontesische Interesse zu Rathe gezogen, die italienischen Gesichtspunkte ver¬
leugnet und damit die eigene Sache verloren.

Lernt man jedoch die Einzelheiten dieser Verhandlungen kennen, wie sie
eben durch Bianchi jetzt veröffentlicht sind, so wird man schwerlich in dieses
Urtheil einstimmen können. Wahr ist, daß der Geruche Pareto sich wenig
entgegenkommend zeigte, weit weniger als man von einem College" Balbo's
hätte erwarten sollen. Auch ist nicht zu leugnen, daß man, zumal nach den
ersten kriegerischen Erfolgen, in Piemont die eigenen Kräfte überschätzte, und
daß dieses Selbstvertrauen dazu beitrug, daß man sich zu den Ligaverhandlungen
sehr kühl verhielt. Allein andererseits wird man sich doch überzeugen, daß,
auch wenn die Conföderation zu Stande gekommen wäre, dies auf den Gang
der Dinge von gar keinem erheblichen Einfluß gewesen wäre. Der Papst
mußte sich auf alle Fälle früher oder später durch den Bruch mit der Sache
Italiens aus seiner Doppelstellung befreien; die militärischen Verhältnisse in
Mittel- und Süditalien aber waren der Art, daß die materielle Hilfe, welche
Karl Albert durch den Bund erhalten hätte, kaum ausgiebiger ausgefallen
wäre, als ohne dieselbe der Fall war, und die Reaction hätte einen
italienischen Staatenbund ebenso sicher beseitigt, wie die piemontesischen An¬
nexionen in Oberitalien. Allein was die Hauptsache ist, von Anfang an
zeigte sich eine so gründliche Interessenverschiedenheit, daß man sich viel we¬
niger über-das Scheitern des Projects wundern muß, als darüber, daß dasselbe
doch immer wieder ausgenommen wurde und sich so lange hoffnungslos fort¬
schleppte, bis die allgemeine Reaction es mit allen anderen Entwürfen und
Schöpfungen der Revolution begrub.


Papst, selbst der König von Neapel entzog sich den Verhandlungen nicht.
Sobald jedoch über das allgemeine Princip hinausgegangen. Zweck oder gar
Einrichtung des Bundes erörtert werden sollte, zerschlugen sich jedesmal die
Verhandlungen, Es stellte sich heraus, daß jeder Staat unter dem Bunde
etwas Anderes verstand und andere Hintergedanken damit verknüpfte.

Es ist keine Frage, daß die Versuche einer Conföderation in erster Linie
an dem Widerstand Piemonts gescheitert sind, und es ist häufig der üble
Wille Karl Albert's getadelt worden, der ein so hoffnungsreiches Project zu¬
nichte machte. Auch N. Bianchi schließt sich diesem Tadel an. Er kommt
immer wieder darauf zurück, daß diese Politik fehlerhaft und unklug gewesen
sei und der italienischen Sache die wesentlichsten Vortheile entzogen habe.
Insbesondere hätte der Abschluß eines Bundes, in welchen der Papst hinein¬
gezogen worden wäre, dessen Abfall von der italienischen Sache verhindert
und ihm einen Ausweg aus dem Labyrinth bereitet, in das er sich durch seine
Doppeleigenschaft als Papst und Fürst verwickelt sah. Die Politik Karl
Albert's, darin gipfelt diese Kritik, habe eigensinnig und kurzsichtig nur das
piemontesische Interesse zu Rathe gezogen, die italienischen Gesichtspunkte ver¬
leugnet und damit die eigene Sache verloren.

Lernt man jedoch die Einzelheiten dieser Verhandlungen kennen, wie sie
eben durch Bianchi jetzt veröffentlicht sind, so wird man schwerlich in dieses
Urtheil einstimmen können. Wahr ist, daß der Geruche Pareto sich wenig
entgegenkommend zeigte, weit weniger als man von einem College» Balbo's
hätte erwarten sollen. Auch ist nicht zu leugnen, daß man, zumal nach den
ersten kriegerischen Erfolgen, in Piemont die eigenen Kräfte überschätzte, und
daß dieses Selbstvertrauen dazu beitrug, daß man sich zu den Ligaverhandlungen
sehr kühl verhielt. Allein andererseits wird man sich doch überzeugen, daß,
auch wenn die Conföderation zu Stande gekommen wäre, dies auf den Gang
der Dinge von gar keinem erheblichen Einfluß gewesen wäre. Der Papst
mußte sich auf alle Fälle früher oder später durch den Bruch mit der Sache
Italiens aus seiner Doppelstellung befreien; die militärischen Verhältnisse in
Mittel- und Süditalien aber waren der Art, daß die materielle Hilfe, welche
Karl Albert durch den Bund erhalten hätte, kaum ausgiebiger ausgefallen
wäre, als ohne dieselbe der Fall war, und die Reaction hätte einen
italienischen Staatenbund ebenso sicher beseitigt, wie die piemontesischen An¬
nexionen in Oberitalien. Allein was die Hauptsache ist, von Anfang an
zeigte sich eine so gründliche Interessenverschiedenheit, daß man sich viel we¬
niger über-das Scheitern des Projects wundern muß, als darüber, daß dasselbe
doch immer wieder ausgenommen wurde und sich so lange hoffnungslos fort¬
schleppte, bis die allgemeine Reaction es mit allen anderen Entwürfen und
Schöpfungen der Revolution begrub.


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[0295] Papst, selbst der König von Neapel entzog sich den Verhandlungen nicht. Sobald jedoch über das allgemeine Princip hinausgegangen. Zweck oder gar Einrichtung des Bundes erörtert werden sollte, zerschlugen sich jedesmal die Verhandlungen, Es stellte sich heraus, daß jeder Staat unter dem Bunde etwas Anderes verstand und andere Hintergedanken damit verknüpfte. Es ist keine Frage, daß die Versuche einer Conföderation in erster Linie an dem Widerstand Piemonts gescheitert sind, und es ist häufig der üble Wille Karl Albert's getadelt worden, der ein so hoffnungsreiches Project zu¬ nichte machte. Auch N. Bianchi schließt sich diesem Tadel an. Er kommt immer wieder darauf zurück, daß diese Politik fehlerhaft und unklug gewesen sei und der italienischen Sache die wesentlichsten Vortheile entzogen habe. Insbesondere hätte der Abschluß eines Bundes, in welchen der Papst hinein¬ gezogen worden wäre, dessen Abfall von der italienischen Sache verhindert und ihm einen Ausweg aus dem Labyrinth bereitet, in das er sich durch seine Doppeleigenschaft als Papst und Fürst verwickelt sah. Die Politik Karl Albert's, darin gipfelt diese Kritik, habe eigensinnig und kurzsichtig nur das piemontesische Interesse zu Rathe gezogen, die italienischen Gesichtspunkte ver¬ leugnet und damit die eigene Sache verloren. Lernt man jedoch die Einzelheiten dieser Verhandlungen kennen, wie sie eben durch Bianchi jetzt veröffentlicht sind, so wird man schwerlich in dieses Urtheil einstimmen können. Wahr ist, daß der Geruche Pareto sich wenig entgegenkommend zeigte, weit weniger als man von einem College» Balbo's hätte erwarten sollen. Auch ist nicht zu leugnen, daß man, zumal nach den ersten kriegerischen Erfolgen, in Piemont die eigenen Kräfte überschätzte, und daß dieses Selbstvertrauen dazu beitrug, daß man sich zu den Ligaverhandlungen sehr kühl verhielt. Allein andererseits wird man sich doch überzeugen, daß, auch wenn die Conföderation zu Stande gekommen wäre, dies auf den Gang der Dinge von gar keinem erheblichen Einfluß gewesen wäre. Der Papst mußte sich auf alle Fälle früher oder später durch den Bruch mit der Sache Italiens aus seiner Doppelstellung befreien; die militärischen Verhältnisse in Mittel- und Süditalien aber waren der Art, daß die materielle Hilfe, welche Karl Albert durch den Bund erhalten hätte, kaum ausgiebiger ausgefallen wäre, als ohne dieselbe der Fall war, und die Reaction hätte einen italienischen Staatenbund ebenso sicher beseitigt, wie die piemontesischen An¬ nexionen in Oberitalien. Allein was die Hauptsache ist, von Anfang an zeigte sich eine so gründliche Interessenverschiedenheit, daß man sich viel we¬ niger über-das Scheitern des Projects wundern muß, als darüber, daß dasselbe doch immer wieder ausgenommen wurde und sich so lange hoffnungslos fort¬ schleppte, bis die allgemeine Reaction es mit allen anderen Entwürfen und Schöpfungen der Revolution begrub.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/295>, abgerufen am 22.07.2024.