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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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dessen Minister Ridolfi, eifersüchtig auf die Waffenerfolge Piemonts und
ganz von der neuguelfischen Theorie Gioberti's beherrscht, nur im Oberhaupt
der Kirche die große moralische Macht erblickte, welche im Stande sei, ihr
Brennusschwert in die Wagschale zu werfen und Italien von der Fremd¬
herrschaft zu befreien. Mamiani war es ernstlich um die Liga zu thun. Er
drang in Pareto, den Vorschlag eines Desensivbundes anzunehmen, da ein
solcher die einzige Möglichkeit gewähre, den Papst zum Bettritt zu bewegen.
An die Bezeichnung defensiv brauche sich Piemont nicht zu stoßen, denn sein
jetziger Krieg mit Oestreich sei ja wesentlich ein defensiver. Pareto ant¬
wortete kurz, Piemont brauche Thaten und keine Worte. Er erinnerte an
die Pflicht der italienischen Fürsten, zum Unabhängigkeitskriege, den Karl
Albert führte, auch etwas beizutragen, und verlangte vom Papst vor Allem
eine feierliche Kundgebung, welche die Wirkung der früheren Zweideutig¬
keiten wieder beseitige. Doch spann sich der Depeschenwechsel noch weiter
hin. Ende Juni, als Vicenza bereits verloren war, stellte Pareto seiner¬
seits die Bedingungen für einen Bund auf, der wiederum vor Allem aus die
militärische Action berechnet war, weswegen auch Commissäre für die Be¬
stimmung der Contingente jedes Staats und tgi. nach Turin eingeladen
wurden. Das Ministerium Mamiani setzte nun einen förmlichen Entwurf
auf, der sogar das Zugeständniß enthielt, daß an die Stelle Defensivbund
die Bezeichnung politischer Bund gesetzt wurde, dafür aber auf Rom als Ort
der Konferenzen bestand, was der Papst als eouäitio sine <Ms> von betrachte.
Mit Toscana zankte Piemont besonders über die Frage, ob auch Neapel
zu dem Bunde herbeigezogen werden solle. Die toscanischen Staatsmänner
verlangten dies und betonten dabei, daß dies der einzige Weg sei, Neapel
wieder aus der Reaction herauszureißen; in Turin dagegen wollte man
nichts gemein haben mit einer Macht, die sich in so demonstrativer Weise
von der Sache Italiens getrennt hatte.

Weiter gediehen die Verhandlungen in diesem Augenblick nicht. Die piemon-
tesische Politik hatte eben Wichtigeres zu thun, als die Fortsetzung eines so gänz¬
lich aussichtslosen Schriftwechsels. Sie hatte den Anschluß der Lombardei und
Venetiens erreicht, aber kurz darauf war durch die Wendung des Krieges alles
bisher Gewonnene wieder in Frage gestellt worden. Jetzt begannen unter
Vermittelung Englands und Frankreichs die diplomatischen Verhandlungen,
welche über das Schicksal der beiden italienischen Provinzen Oestreichs ent¬
scheiden sollten. Und auch hier wieder schien sich ein verhängnißvoller Con¬
flict zwischen dem piemontesischen und dem italienischen Interesse zu erheben.
Die Früge war, ob Piemont sich mit einem mäßigen Erfolge auf der Bahn
seiner traditionellen Politik begnügen könne, oder ob es Alles an die Ge¬
winnung des höchsten Preises setzen müsse. Das Letztere verlangte ungestüm


Grenzboten III. 1869. , 37

dessen Minister Ridolfi, eifersüchtig auf die Waffenerfolge Piemonts und
ganz von der neuguelfischen Theorie Gioberti's beherrscht, nur im Oberhaupt
der Kirche die große moralische Macht erblickte, welche im Stande sei, ihr
Brennusschwert in die Wagschale zu werfen und Italien von der Fremd¬
herrschaft zu befreien. Mamiani war es ernstlich um die Liga zu thun. Er
drang in Pareto, den Vorschlag eines Desensivbundes anzunehmen, da ein
solcher die einzige Möglichkeit gewähre, den Papst zum Bettritt zu bewegen.
An die Bezeichnung defensiv brauche sich Piemont nicht zu stoßen, denn sein
jetziger Krieg mit Oestreich sei ja wesentlich ein defensiver. Pareto ant¬
wortete kurz, Piemont brauche Thaten und keine Worte. Er erinnerte an
die Pflicht der italienischen Fürsten, zum Unabhängigkeitskriege, den Karl
Albert führte, auch etwas beizutragen, und verlangte vom Papst vor Allem
eine feierliche Kundgebung, welche die Wirkung der früheren Zweideutig¬
keiten wieder beseitige. Doch spann sich der Depeschenwechsel noch weiter
hin. Ende Juni, als Vicenza bereits verloren war, stellte Pareto seiner¬
seits die Bedingungen für einen Bund auf, der wiederum vor Allem aus die
militärische Action berechnet war, weswegen auch Commissäre für die Be¬
stimmung der Contingente jedes Staats und tgi. nach Turin eingeladen
wurden. Das Ministerium Mamiani setzte nun einen förmlichen Entwurf
auf, der sogar das Zugeständniß enthielt, daß an die Stelle Defensivbund
die Bezeichnung politischer Bund gesetzt wurde, dafür aber auf Rom als Ort
der Konferenzen bestand, was der Papst als eouäitio sine <Ms> von betrachte.
Mit Toscana zankte Piemont besonders über die Frage, ob auch Neapel
zu dem Bunde herbeigezogen werden solle. Die toscanischen Staatsmänner
verlangten dies und betonten dabei, daß dies der einzige Weg sei, Neapel
wieder aus der Reaction herauszureißen; in Turin dagegen wollte man
nichts gemein haben mit einer Macht, die sich in so demonstrativer Weise
von der Sache Italiens getrennt hatte.

Weiter gediehen die Verhandlungen in diesem Augenblick nicht. Die piemon-
tesische Politik hatte eben Wichtigeres zu thun, als die Fortsetzung eines so gänz¬
lich aussichtslosen Schriftwechsels. Sie hatte den Anschluß der Lombardei und
Venetiens erreicht, aber kurz darauf war durch die Wendung des Krieges alles
bisher Gewonnene wieder in Frage gestellt worden. Jetzt begannen unter
Vermittelung Englands und Frankreichs die diplomatischen Verhandlungen,
welche über das Schicksal der beiden italienischen Provinzen Oestreichs ent¬
scheiden sollten. Und auch hier wieder schien sich ein verhängnißvoller Con¬
flict zwischen dem piemontesischen und dem italienischen Interesse zu erheben.
Die Früge war, ob Piemont sich mit einem mäßigen Erfolge auf der Bahn
seiner traditionellen Politik begnügen könne, oder ob es Alles an die Ge¬
winnung des höchsten Preises setzen müsse. Das Letztere verlangte ungestüm


Grenzboten III. 1869. , 37
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/297>, abgerufen am 23.07.2024.