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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Gefühl der Entrüstung Ausdruck geben über den ungewöhnlich insolenten,
wegwerfenden, persönlich mißachtenden Ton, den man in der partikularisti-
schen Presse über einen Mann von der Vergangenheit, den Verdiensten und
Eigenschaften Thomsen's anzuschlagen für gut fand. Dessen erdreisteten sich
Leute, denen Schleswig-Holstein im Grunde soviel ist, wie Hekuba, die über
die Zeiten der Dänenherrschaft in Schleswig vom Hörensagen reden, und
gegen Preußen agitiren aus allen denkbaren Motiven, nur nicht aus wirklich
verletztem Schleswig-holstein'sehen Gefühl. Wenn man sich die politische In¬
telligenz dem Namen nach ansieht, die in der "Kieler Zeitung", den "Jtze-
hoer" oder "Altonaer Nachrichten" sich breit macht, trifft man auf Leute
allerlei Art und Herkunft, nur nicht auf Schleswig-Holsteiner. Ist es nicht
bezeichnend für den faulen Untergrund, auf dem der ganze preußenfeindliche
Partikularismus bei uns ruht, daß er fast ausschließlich auf entliehene geistige
Kräfte -- sit venia verbo -- angewiesen ist? Neben den Herren Hänel und
Hinsching, Hell und Endrulat und wie unsere Publicisten sonst noch heißen
Muß dann- in der Regel noch eine Correspondenz aus Berlin die erforder¬
lichen Raisonnements und das mangelhafte Denkvermögen in unserer oppo¬
sitionellen Tagesliteratur ersetzen. Irgend eine der Federn aus den Kreisen
der Berliner Fortschrittspartei, die zwischen der "Volkszeitung" und "Zu¬
kunft" mitten inne steht, ihre Sympathien zwischen Herrn von Beust, König
Georg von Hannover, dem Kurfürsten von Hessen, der Frankfurter und der
süddeutschen Demokratie brüderlich theilt, heute die "Neue Freie Presse"
Morgen die hannoversche welfisch-demokratische "Volkszeitung", übermorgen
eine "Frankfurter Zeitung" mit Correspondenzen versorgt, findet sich immer
gern bereit, auch die Schleswig-Holsteiner über die preußische Mißregie-
rung aufzuklären/) Das klingt, das thut Wirkung! -- Vielleicht, vielleicht
aber auch nicht, möchte ich mich mit Lessing trösten. Denn auch der geringste
Pöbel, -- so ungefähr heißt es ja wohl im Amel-Götze, -- wird mit der Zeit
erleuchteter, gesitteter, besser; anstatt daß es bei gewissen Literaten ein Grund¬
satz ist, auf dem nämlichen Punkte der Moral und Politik immer und ewig
stehen zu bleiben. Sie reißen sich nicht von dem Pöbel -- der Pöbel reißt
sich endlich von ihnen los.

Fürs Erste leistet zwar selbst diese gesinnungstüchtige Presse in ihrer
immer noch etwas verschämten Preußenfeindschaft nicht allen Elementen un-



"> In diese Kategorie gehören auch gewisse Correspondenzen der "Altonaer Nachrichten",
°le sich jüngst sehr ohne Noth auch mit den Grenzboten, meinen und anderen Mittheilungen
aus Schleswig.Holstein beschäftigt haben. Der aufgeblasene Marktschreierto", in dem dieser
Berliner^Correspondent über Dinge, von denen er schlechterdings Nichts weiß, Möglichkeiten
und Unmöglichkeiten, die absolut außerhalb seines Horizonts liegen, abspricht, enthebt mich
der Versuchung zu einer Entgegnung. Selbst für die Hundstage wird eine derartige Polemik
nicht mehr als discutabel gelten.

Gefühl der Entrüstung Ausdruck geben über den ungewöhnlich insolenten,
wegwerfenden, persönlich mißachtenden Ton, den man in der partikularisti-
schen Presse über einen Mann von der Vergangenheit, den Verdiensten und
Eigenschaften Thomsen's anzuschlagen für gut fand. Dessen erdreisteten sich
Leute, denen Schleswig-Holstein im Grunde soviel ist, wie Hekuba, die über
die Zeiten der Dänenherrschaft in Schleswig vom Hörensagen reden, und
gegen Preußen agitiren aus allen denkbaren Motiven, nur nicht aus wirklich
verletztem Schleswig-holstein'sehen Gefühl. Wenn man sich die politische In¬
telligenz dem Namen nach ansieht, die in der „Kieler Zeitung", den „Jtze-
hoer" oder „Altonaer Nachrichten" sich breit macht, trifft man auf Leute
allerlei Art und Herkunft, nur nicht auf Schleswig-Holsteiner. Ist es nicht
bezeichnend für den faulen Untergrund, auf dem der ganze preußenfeindliche
Partikularismus bei uns ruht, daß er fast ausschließlich auf entliehene geistige
Kräfte — sit venia verbo — angewiesen ist? Neben den Herren Hänel und
Hinsching, Hell und Endrulat und wie unsere Publicisten sonst noch heißen
Muß dann- in der Regel noch eine Correspondenz aus Berlin die erforder¬
lichen Raisonnements und das mangelhafte Denkvermögen in unserer oppo¬
sitionellen Tagesliteratur ersetzen. Irgend eine der Federn aus den Kreisen
der Berliner Fortschrittspartei, die zwischen der „Volkszeitung" und „Zu¬
kunft" mitten inne steht, ihre Sympathien zwischen Herrn von Beust, König
Georg von Hannover, dem Kurfürsten von Hessen, der Frankfurter und der
süddeutschen Demokratie brüderlich theilt, heute die „Neue Freie Presse"
Morgen die hannoversche welfisch-demokratische „Volkszeitung", übermorgen
eine „Frankfurter Zeitung" mit Correspondenzen versorgt, findet sich immer
gern bereit, auch die Schleswig-Holsteiner über die preußische Mißregie-
rung aufzuklären/) Das klingt, das thut Wirkung! — Vielleicht, vielleicht
aber auch nicht, möchte ich mich mit Lessing trösten. Denn auch der geringste
Pöbel, — so ungefähr heißt es ja wohl im Amel-Götze, — wird mit der Zeit
erleuchteter, gesitteter, besser; anstatt daß es bei gewissen Literaten ein Grund¬
satz ist, auf dem nämlichen Punkte der Moral und Politik immer und ewig
stehen zu bleiben. Sie reißen sich nicht von dem Pöbel — der Pöbel reißt
sich endlich von ihnen los.

Fürs Erste leistet zwar selbst diese gesinnungstüchtige Presse in ihrer
immer noch etwas verschämten Preußenfeindschaft nicht allen Elementen un-



"> In diese Kategorie gehören auch gewisse Correspondenzen der „Altonaer Nachrichten",
°le sich jüngst sehr ohne Noth auch mit den Grenzboten, meinen und anderen Mittheilungen
aus Schleswig.Holstein beschäftigt haben. Der aufgeblasene Marktschreierto», in dem dieser
Berliner^Correspondent über Dinge, von denen er schlechterdings Nichts weiß, Möglichkeiten
und Unmöglichkeiten, die absolut außerhalb seines Horizonts liegen, abspricht, enthebt mich
der Versuchung zu einer Entgegnung. Selbst für die Hundstage wird eine derartige Polemik
nicht mehr als discutabel gelten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/279>, abgerufen am 02.07.2024.