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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Serer ^Bevölkerung genüge. Aus den schönen Tagen der Jahre 1865 und
1866, als Martin May und der Advocat v. Neergard noch das große Wort
führten und in den Volksversammlungen zu Frankfurt a. M. die Entschei¬
dung über Schleswig Holstein herbeiführen wollten, sind einige Reste Schles-
wig-holsteinscher "Volkspartei" zurückgeblieben. Eigentlich ist es eine ziemlich
harmlose Gesellschaft weniger Männer, zum überwiegend größten Theil in
Kiel seßhaft, die aus ihrem persönlichen Anhang hier und da einen Verein
zu Stande bringen und sich sonst mit lebhafter Correspondenz an die süd¬
deutschen Freunde beschäftigen. Nach einem vertraulichen Ctrcular, das sie
kürzlich an die Parteigenossen verbreitet, haben nur vier deutsche Blätter
Gnade vor ihren Augen gesunden: 1) das "Demokratische Wochenblatt" von
Liebknecht und Bebel, 2) die Berliner "Zukunft", 3) die "Hannöversche
Volkszeitung" von Eichhvlz, 4) -- last not lest -- die "Demokratische Cor¬
respondenz" von Jul. Freese in Stuttgart. "Durch diese Blätter", wird wört¬
lich hinzugefügt, "dürfte das durch inländische Und hamburgische Zeitungen
ausgestreute Gift unschädlich gemacht werden!"

Nun der Schaden, den das Gift und Gegengift jener Scribenten hier
zu Lande noch anrichten kann, wird unter allen Umständen nicht groß sein.
Unser Jahrhundert ist schnelllebig genug und weiß mit den der Auflösung
anheimgefallenen Elementen ziemlich aufzuräumen. Die Berliner "Provinzial-
Correspondenz" hat in ihrer Art die Wirkung der Thomsen'schen Erklärungen
auf die Stimmung der Provinz allzuhastig escomptiren wollen. Aber ausbleiben
wird die Wirkung sicherlich nicht, so gewiß die Wahrheit uno Vernunft mäch¬
tiger ist, als die Lüge und sinnlose Leidcnjchast. Derartige naturgemäße
Umstimmungen, wie sie hier in Frage stehen, vollziehen sich nirgend in der
Welt plötzlich aus eine singulaire Veranlassung hin. Wer aufmerksam ist,
wird an vereinzelten Symptomen die unter der Oberfläche stetig fortwirken-
den Wandlungen durchfühlen. Da ist beispielsweise neulich, am 25. Juli,
bei Schleswig eine Jdstedlfeier in äußerlich sehr massenhaften Dimensionen
arrangirt worden, Im Sinne der fortgeschrittensten Kampfgenossenvereine
war es unverkennbar auf eine großartige particularistifche Demonstration ab¬
gesehen. Schließlich indessen verging den Faiseurs derartiger Angelegenheiten
der Muth und die Lust für alle rednerischen Heldenthaten, und so verlief das
Ganze unter endlosen Ertrazügen, unter Staub und Hitze und einem Men¬
schengewühl von angeblich 20,000 Köpfen in selbstverständlich sehr erheben¬
der, aber absolut inhaltsloser Weise. Einige telegraphische Festgrüße, die
zwischen Herzog Friedrich und dem Festcomite! gewechselt wurden, mußten
dem Feste die eigentlich politische Würze geben.




Serer ^Bevölkerung genüge. Aus den schönen Tagen der Jahre 1865 und
1866, als Martin May und der Advocat v. Neergard noch das große Wort
führten und in den Volksversammlungen zu Frankfurt a. M. die Entschei¬
dung über Schleswig Holstein herbeiführen wollten, sind einige Reste Schles-
wig-holsteinscher „Volkspartei" zurückgeblieben. Eigentlich ist es eine ziemlich
harmlose Gesellschaft weniger Männer, zum überwiegend größten Theil in
Kiel seßhaft, die aus ihrem persönlichen Anhang hier und da einen Verein
zu Stande bringen und sich sonst mit lebhafter Correspondenz an die süd¬
deutschen Freunde beschäftigen. Nach einem vertraulichen Ctrcular, das sie
kürzlich an die Parteigenossen verbreitet, haben nur vier deutsche Blätter
Gnade vor ihren Augen gesunden: 1) das „Demokratische Wochenblatt" von
Liebknecht und Bebel, 2) die Berliner „Zukunft", 3) die „Hannöversche
Volkszeitung" von Eichhvlz, 4) — last not lest — die „Demokratische Cor¬
respondenz" von Jul. Freese in Stuttgart. „Durch diese Blätter", wird wört¬
lich hinzugefügt, „dürfte das durch inländische Und hamburgische Zeitungen
ausgestreute Gift unschädlich gemacht werden!"

Nun der Schaden, den das Gift und Gegengift jener Scribenten hier
zu Lande noch anrichten kann, wird unter allen Umständen nicht groß sein.
Unser Jahrhundert ist schnelllebig genug und weiß mit den der Auflösung
anheimgefallenen Elementen ziemlich aufzuräumen. Die Berliner „Provinzial-
Correspondenz" hat in ihrer Art die Wirkung der Thomsen'schen Erklärungen
auf die Stimmung der Provinz allzuhastig escomptiren wollen. Aber ausbleiben
wird die Wirkung sicherlich nicht, so gewiß die Wahrheit uno Vernunft mäch¬
tiger ist, als die Lüge und sinnlose Leidcnjchast. Derartige naturgemäße
Umstimmungen, wie sie hier in Frage stehen, vollziehen sich nirgend in der
Welt plötzlich aus eine singulaire Veranlassung hin. Wer aufmerksam ist,
wird an vereinzelten Symptomen die unter der Oberfläche stetig fortwirken-
den Wandlungen durchfühlen. Da ist beispielsweise neulich, am 25. Juli,
bei Schleswig eine Jdstedlfeier in äußerlich sehr massenhaften Dimensionen
arrangirt worden, Im Sinne der fortgeschrittensten Kampfgenossenvereine
war es unverkennbar auf eine großartige particularistifche Demonstration ab¬
gesehen. Schließlich indessen verging den Faiseurs derartiger Angelegenheiten
der Muth und die Lust für alle rednerischen Heldenthaten, und so verlief das
Ganze unter endlosen Ertrazügen, unter Staub und Hitze und einem Men¬
schengewühl von angeblich 20,000 Köpfen in selbstverständlich sehr erheben¬
der, aber absolut inhaltsloser Weise. Einige telegraphische Festgrüße, die
zwischen Herzog Friedrich und dem Festcomite! gewechselt wurden, mußten
dem Feste die eigentlich politische Würze geben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/280>, abgerufen am 03.07.2024.