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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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zuraunen gedenkt. Man beruft sich zwar auf die im Juli dieses Jahres
herausgegebene ländliche Gemeindeordnung für die Domainen, von welcher
man vernimmt, daß sie zugleich bestimmt sei, die Erbpächter durch Betheili¬
gung an den Gemeindeangelegenheiten für die ihnen demnächst zugedachte
Mitwirkung bei der Berathung von Landesangelegenheiten heranzubilden.
Hiebei wird jedoch übersehen, daß die Gemeindeordnung ebenso wie die gleich¬
zeitigen Verordnungen in Betreff des Armen- und des Schulwesens gleich¬
falls hauptsächlich einen finanziellen Zweck hat, die Entlastung der groß,
herzoglichen Cassen von den bisher ihr obliegenden Ausgaben für Gemeinde¬
angelegenheiten, und daß diese Gemeindeordnung keineswegs auf die Be¬
gründung eines freien Gemeindewesens gerichtet ist, sondern die büreaukrati¬
sche Bevormundung nur in eine etwas veränderte Gestalt bringt, wie sich
aus nachstehenden Grundzügen derselben ergibt: Auf den Höfen, mit welchen
keine Dorfschaft verbunden ist, ist der Pächter das ausschließliche Organ der
Gemeindeverwaltung. In den Dörfern werden als solche ein Gemeinde¬
vorstand und eine Dorsverscimmlung geschaffen. Der Gemeindevorstand be¬
steht aus dem landesherrlich ernannten Dorfschulzen, welcher zugleich
als Ortspolizeibehörde fungirt, und einigen Schöffen, welche das erste Mal
vom Domanialamt bestellt, später aber, bei eintretender Vacanz, aus zwei
vom Gemeindevorstand präsentirten Personen vom Amte gewählt werden.
Doch steht dem Amte das Recht zu, beide Vorgeschlagene zu verwerfen,
diese Verwerfung auch bei einer abermaligen Präsentation von zwei Kan¬
didaten zu wiederholen, und alsdann den Schöffen unabhängig von
dem Vorschlage des Gemeindevorstandes zu bestellen. Die Mit¬
glieder des Gemeindevorstandes haben zugleich Sitz und Stimme in der Dorf¬
versammlung. Diese besteht außerdem aus den Grundbesitzern der Ortschaft,
den in derselben wohnhaften Kirchendienern, großherzoglichen Forstbedien¬
ten u. f. w. und einem Lehrer. Von den Grundbesitzern führen nur die Be¬
sitzer eines Bauergehöfts in der Dorfversammlung eine Virilstimme; die
Büdner erscheinen in derselben nur in zeitweise wechselnden Abtheilungen
oder durch Deputirte; dasselbe gilt von der untersten Classe der ländlichen
Grundbesitzer, den Häuslern und Brinksitzern. Tagelöhner sind von der Dorf¬
versammlung ausgeschlossen. In allen einigermaßen erheblichen Angelegen¬
heiten werden die den Gemeinden durch diese neue Ordnung verliehenen Rechte
durch Beaufsichtigung und Mitwirkung der höheren Behörden nach her¬
kömmlicher bureaukratischer Art beschränkt.

Sollte es aber auch wirklich die Absicht sein, einen Stand der Erbpächter
in die Landesvertretung einzuschalten und diese durch den schwachen Schimmer
von Selbstverwaltung im Gemeindewesen, welchen die neue, vorläufig auch
erst auf dem Papiere stehende und erst zu allmäliger Einführung bestimmte


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zuraunen gedenkt. Man beruft sich zwar auf die im Juli dieses Jahres
herausgegebene ländliche Gemeindeordnung für die Domainen, von welcher
man vernimmt, daß sie zugleich bestimmt sei, die Erbpächter durch Betheili¬
gung an den Gemeindeangelegenheiten für die ihnen demnächst zugedachte
Mitwirkung bei der Berathung von Landesangelegenheiten heranzubilden.
Hiebei wird jedoch übersehen, daß die Gemeindeordnung ebenso wie die gleich¬
zeitigen Verordnungen in Betreff des Armen- und des Schulwesens gleich¬
falls hauptsächlich einen finanziellen Zweck hat, die Entlastung der groß,
herzoglichen Cassen von den bisher ihr obliegenden Ausgaben für Gemeinde¬
angelegenheiten, und daß diese Gemeindeordnung keineswegs auf die Be¬
gründung eines freien Gemeindewesens gerichtet ist, sondern die büreaukrati¬
sche Bevormundung nur in eine etwas veränderte Gestalt bringt, wie sich
aus nachstehenden Grundzügen derselben ergibt: Auf den Höfen, mit welchen
keine Dorfschaft verbunden ist, ist der Pächter das ausschließliche Organ der
Gemeindeverwaltung. In den Dörfern werden als solche ein Gemeinde¬
vorstand und eine Dorsverscimmlung geschaffen. Der Gemeindevorstand be¬
steht aus dem landesherrlich ernannten Dorfschulzen, welcher zugleich
als Ortspolizeibehörde fungirt, und einigen Schöffen, welche das erste Mal
vom Domanialamt bestellt, später aber, bei eintretender Vacanz, aus zwei
vom Gemeindevorstand präsentirten Personen vom Amte gewählt werden.
Doch steht dem Amte das Recht zu, beide Vorgeschlagene zu verwerfen,
diese Verwerfung auch bei einer abermaligen Präsentation von zwei Kan¬
didaten zu wiederholen, und alsdann den Schöffen unabhängig von
dem Vorschlage des Gemeindevorstandes zu bestellen. Die Mit¬
glieder des Gemeindevorstandes haben zugleich Sitz und Stimme in der Dorf¬
versammlung. Diese besteht außerdem aus den Grundbesitzern der Ortschaft,
den in derselben wohnhaften Kirchendienern, großherzoglichen Forstbedien¬
ten u. f. w. und einem Lehrer. Von den Grundbesitzern führen nur die Be¬
sitzer eines Bauergehöfts in der Dorfversammlung eine Virilstimme; die
Büdner erscheinen in derselben nur in zeitweise wechselnden Abtheilungen
oder durch Deputirte; dasselbe gilt von der untersten Classe der ländlichen
Grundbesitzer, den Häuslern und Brinksitzern. Tagelöhner sind von der Dorf¬
versammlung ausgeschlossen. In allen einigermaßen erheblichen Angelegen¬
heiten werden die den Gemeinden durch diese neue Ordnung verliehenen Rechte
durch Beaufsichtigung und Mitwirkung der höheren Behörden nach her¬
kömmlicher bureaukratischer Art beschränkt.

Sollte es aber auch wirklich die Absicht sein, einen Stand der Erbpächter
in die Landesvertretung einzuschalten und diese durch den schwachen Schimmer
von Selbstverwaltung im Gemeindewesen, welchen die neue, vorläufig auch
erst auf dem Papiere stehende und erst zu allmäliger Einführung bestimmte


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[0275] zuraunen gedenkt. Man beruft sich zwar auf die im Juli dieses Jahres herausgegebene ländliche Gemeindeordnung für die Domainen, von welcher man vernimmt, daß sie zugleich bestimmt sei, die Erbpächter durch Betheili¬ gung an den Gemeindeangelegenheiten für die ihnen demnächst zugedachte Mitwirkung bei der Berathung von Landesangelegenheiten heranzubilden. Hiebei wird jedoch übersehen, daß die Gemeindeordnung ebenso wie die gleich¬ zeitigen Verordnungen in Betreff des Armen- und des Schulwesens gleich¬ falls hauptsächlich einen finanziellen Zweck hat, die Entlastung der groß, herzoglichen Cassen von den bisher ihr obliegenden Ausgaben für Gemeinde¬ angelegenheiten, und daß diese Gemeindeordnung keineswegs auf die Be¬ gründung eines freien Gemeindewesens gerichtet ist, sondern die büreaukrati¬ sche Bevormundung nur in eine etwas veränderte Gestalt bringt, wie sich aus nachstehenden Grundzügen derselben ergibt: Auf den Höfen, mit welchen keine Dorfschaft verbunden ist, ist der Pächter das ausschließliche Organ der Gemeindeverwaltung. In den Dörfern werden als solche ein Gemeinde¬ vorstand und eine Dorsverscimmlung geschaffen. Der Gemeindevorstand be¬ steht aus dem landesherrlich ernannten Dorfschulzen, welcher zugleich als Ortspolizeibehörde fungirt, und einigen Schöffen, welche das erste Mal vom Domanialamt bestellt, später aber, bei eintretender Vacanz, aus zwei vom Gemeindevorstand präsentirten Personen vom Amte gewählt werden. Doch steht dem Amte das Recht zu, beide Vorgeschlagene zu verwerfen, diese Verwerfung auch bei einer abermaligen Präsentation von zwei Kan¬ didaten zu wiederholen, und alsdann den Schöffen unabhängig von dem Vorschlage des Gemeindevorstandes zu bestellen. Die Mit¬ glieder des Gemeindevorstandes haben zugleich Sitz und Stimme in der Dorf¬ versammlung. Diese besteht außerdem aus den Grundbesitzern der Ortschaft, den in derselben wohnhaften Kirchendienern, großherzoglichen Forstbedien¬ ten u. f. w. und einem Lehrer. Von den Grundbesitzern führen nur die Be¬ sitzer eines Bauergehöfts in der Dorfversammlung eine Virilstimme; die Büdner erscheinen in derselben nur in zeitweise wechselnden Abtheilungen oder durch Deputirte; dasselbe gilt von der untersten Classe der ländlichen Grundbesitzer, den Häuslern und Brinksitzern. Tagelöhner sind von der Dorf¬ versammlung ausgeschlossen. In allen einigermaßen erheblichen Angelegen¬ heiten werden die den Gemeinden durch diese neue Ordnung verliehenen Rechte durch Beaufsichtigung und Mitwirkung der höheren Behörden nach her¬ kömmlicher bureaukratischer Art beschränkt. Sollte es aber auch wirklich die Absicht sein, einen Stand der Erbpächter in die Landesvertretung einzuschalten und diese durch den schwachen Schimmer von Selbstverwaltung im Gemeindewesen, welchen die neue, vorläufig auch erst auf dem Papiere stehende und erst zu allmäliger Einführung bestimmte 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/275>, abgerufen am 02.07.2024.