Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gemeindeordnung gewährt, für den Beruf der Landesvertretung zu erziehen,
so würde die Bevölkerung aus solcher Aussicht doch wenig Befriedigung
schöpfen. Die ständische Verfassung ist einer Reparatur nicht sähig, und ge¬
wiß ist die Erwartung begründet, daß ihre letzten Pfeiler schon zusammen¬
gebrochen sein werden, bevor die Vererbpachtungsmaßregel und die ihr zur Seite
gehende Gemeindeordnung für die Domainen allgemein zur Ausführung ge¬
langt sind.

Innerhalb der Pause zwischen zwei Landtagen pflegt in Mecklenburg
nicht viel regiert zu werden. Wenn eine wichtigere Landtagsprocession uner¬
ledigt geblieben ist, welche in der Zwischenzeit im Wege der Verhandlung
mit ständischen Deputirten für den nächsten Landtag weiter vorbereitet wird,
wie es augenblicklich mit der Steuerreform der Fall ist, so ist es herrschende
Sitte, den Gang dieser "commissarisch-deputatischen" Verhandlungen -- so
nennt sie die feudale Terminologie -- sorgfältig geheim zu halten, bis die Er¬
gebnisse derselben auf dem Landtage auftauchen. Daher fällt der Amtsan¬
tritt des Grafen Bassewitz in eine stille Zeit und er hat bisher noch nicht
Gelegenheit gehabt, seinen Namen unter ein öffentliches Schriftstück zu setzen.
Ueber seine bisherige Thätigkeit erfährt man nur, daß auf seinen Betrieb
eine vom Finanzministerium eingeleitete Verhandlung wegen Erwerbung der
mecklenburgischen Eisenbahn für Großherzogliche Rechnung, der Ansicht des
Finanzministeriums entgegen, abgebrochen worden ist, weil er die Seitens
der Gesellschaft gestellte Forderung einer vierprocentigen Rente vom Nominal¬
betrage der Actien sür zu hoch hielt und bei dem zuerst auf 2Vz normirten,
einige Monate später aber schon auf Procent gesteigerten Angebot des
Finanzministeriums stehen bleiben wollte. Ob der Rath des Ministerpräsi¬
denten oder der des Finanzministers der richtige war, wird die Zeit lehren.
Die mecklenburgische Eisenbahn trennt die beiden landesherrlichen Bahnen
Güstrow'Straßburg und Kleinen-Lübeck. Ihre Erwerbung würde die Ver¬
waltung und den Betrieb auf diesen beiden Bahnen des Großherzogs sicher¬
lich viel einfacher und wohlfeiler gestalten, während es zweifelhaft erscheint,
ob die beiden getrennten Stücke dem Großherzoge jemals einen auch nur
einigermaßen angemessenen Zins des Baucapitals abwerfen werden. Die
Strecke Kleinen-Lübeck ist noch im Bau begriffen; die Strecke Güstrow-Stras-
burg, welche am 1. Jan. 1867 in ihrer ganzen Ausdehnung, als Verlänge¬
rung der Bahn Stettin-Pasewalk-Strasburg, eröffnet wurde, soll bis jetzt,
ohne Absetzung eines Reserve- und Erneuerungsfonds nur IV" Procent ab¬
werfen. Bestimmtes erfährt man über den Ertrag der Bahn nicht, da über
diesen Zweig des Großherzoglichen Einnahmen- und Ausgabenetats ein eben
so tiefes Geheimniß beobachtet wird, wie über alle übrigen Zweige desselben.
Es gehört nun einmal zu den Eigenthümlichkeiten des Feudalstaats, daß er


Gemeindeordnung gewährt, für den Beruf der Landesvertretung zu erziehen,
so würde die Bevölkerung aus solcher Aussicht doch wenig Befriedigung
schöpfen. Die ständische Verfassung ist einer Reparatur nicht sähig, und ge¬
wiß ist die Erwartung begründet, daß ihre letzten Pfeiler schon zusammen¬
gebrochen sein werden, bevor die Vererbpachtungsmaßregel und die ihr zur Seite
gehende Gemeindeordnung für die Domainen allgemein zur Ausführung ge¬
langt sind.

Innerhalb der Pause zwischen zwei Landtagen pflegt in Mecklenburg
nicht viel regiert zu werden. Wenn eine wichtigere Landtagsprocession uner¬
ledigt geblieben ist, welche in der Zwischenzeit im Wege der Verhandlung
mit ständischen Deputirten für den nächsten Landtag weiter vorbereitet wird,
wie es augenblicklich mit der Steuerreform der Fall ist, so ist es herrschende
Sitte, den Gang dieser „commissarisch-deputatischen" Verhandlungen — so
nennt sie die feudale Terminologie — sorgfältig geheim zu halten, bis die Er¬
gebnisse derselben auf dem Landtage auftauchen. Daher fällt der Amtsan¬
tritt des Grafen Bassewitz in eine stille Zeit und er hat bisher noch nicht
Gelegenheit gehabt, seinen Namen unter ein öffentliches Schriftstück zu setzen.
Ueber seine bisherige Thätigkeit erfährt man nur, daß auf seinen Betrieb
eine vom Finanzministerium eingeleitete Verhandlung wegen Erwerbung der
mecklenburgischen Eisenbahn für Großherzogliche Rechnung, der Ansicht des
Finanzministeriums entgegen, abgebrochen worden ist, weil er die Seitens
der Gesellschaft gestellte Forderung einer vierprocentigen Rente vom Nominal¬
betrage der Actien sür zu hoch hielt und bei dem zuerst auf 2Vz normirten,
einige Monate später aber schon auf Procent gesteigerten Angebot des
Finanzministeriums stehen bleiben wollte. Ob der Rath des Ministerpräsi¬
denten oder der des Finanzministers der richtige war, wird die Zeit lehren.
Die mecklenburgische Eisenbahn trennt die beiden landesherrlichen Bahnen
Güstrow'Straßburg und Kleinen-Lübeck. Ihre Erwerbung würde die Ver¬
waltung und den Betrieb auf diesen beiden Bahnen des Großherzogs sicher¬
lich viel einfacher und wohlfeiler gestalten, während es zweifelhaft erscheint,
ob die beiden getrennten Stücke dem Großherzoge jemals einen auch nur
einigermaßen angemessenen Zins des Baucapitals abwerfen werden. Die
Strecke Kleinen-Lübeck ist noch im Bau begriffen; die Strecke Güstrow-Stras-
burg, welche am 1. Jan. 1867 in ihrer ganzen Ausdehnung, als Verlänge¬
rung der Bahn Stettin-Pasewalk-Strasburg, eröffnet wurde, soll bis jetzt,
ohne Absetzung eines Reserve- und Erneuerungsfonds nur IV» Procent ab¬
werfen. Bestimmtes erfährt man über den Ertrag der Bahn nicht, da über
diesen Zweig des Großherzoglichen Einnahmen- und Ausgabenetats ein eben
so tiefes Geheimniß beobachtet wird, wie über alle übrigen Zweige desselben.
Es gehört nun einmal zu den Eigenthümlichkeiten des Feudalstaats, daß er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121497"/>
          <p xml:id="ID_904" prev="#ID_903"> Gemeindeordnung gewährt, für den Beruf der Landesvertretung zu erziehen,<lb/>
so würde die Bevölkerung aus solcher Aussicht doch wenig Befriedigung<lb/>
schöpfen. Die ständische Verfassung ist einer Reparatur nicht sähig, und ge¬<lb/>
wiß ist die Erwartung begründet, daß ihre letzten Pfeiler schon zusammen¬<lb/>
gebrochen sein werden, bevor die Vererbpachtungsmaßregel und die ihr zur Seite<lb/>
gehende Gemeindeordnung für die Domainen allgemein zur Ausführung ge¬<lb/>
langt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_905" next="#ID_906"> Innerhalb der Pause zwischen zwei Landtagen pflegt in Mecklenburg<lb/>
nicht viel regiert zu werden. Wenn eine wichtigere Landtagsprocession uner¬<lb/>
ledigt geblieben ist, welche in der Zwischenzeit im Wege der Verhandlung<lb/>
mit ständischen Deputirten für den nächsten Landtag weiter vorbereitet wird,<lb/>
wie es augenblicklich mit der Steuerreform der Fall ist, so ist es herrschende<lb/>
Sitte, den Gang dieser &#x201E;commissarisch-deputatischen" Verhandlungen &#x2014; so<lb/>
nennt sie die feudale Terminologie &#x2014; sorgfältig geheim zu halten, bis die Er¬<lb/>
gebnisse derselben auf dem Landtage auftauchen. Daher fällt der Amtsan¬<lb/>
tritt des Grafen Bassewitz in eine stille Zeit und er hat bisher noch nicht<lb/>
Gelegenheit gehabt, seinen Namen unter ein öffentliches Schriftstück zu setzen.<lb/>
Ueber seine bisherige Thätigkeit erfährt man nur, daß auf seinen Betrieb<lb/>
eine vom Finanzministerium eingeleitete Verhandlung wegen Erwerbung der<lb/>
mecklenburgischen Eisenbahn für Großherzogliche Rechnung, der Ansicht des<lb/>
Finanzministeriums entgegen, abgebrochen worden ist, weil er die Seitens<lb/>
der Gesellschaft gestellte Forderung einer vierprocentigen Rente vom Nominal¬<lb/>
betrage der Actien sür zu hoch hielt und bei dem zuerst auf 2Vz normirten,<lb/>
einige Monate später aber schon auf Procent gesteigerten Angebot des<lb/>
Finanzministeriums stehen bleiben wollte. Ob der Rath des Ministerpräsi¬<lb/>
denten oder der des Finanzministers der richtige war, wird die Zeit lehren.<lb/>
Die mecklenburgische Eisenbahn trennt die beiden landesherrlichen Bahnen<lb/>
Güstrow'Straßburg und Kleinen-Lübeck. Ihre Erwerbung würde die Ver¬<lb/>
waltung und den Betrieb auf diesen beiden Bahnen des Großherzogs sicher¬<lb/>
lich viel einfacher und wohlfeiler gestalten, während es zweifelhaft erscheint,<lb/>
ob die beiden getrennten Stücke dem Großherzoge jemals einen auch nur<lb/>
einigermaßen angemessenen Zins des Baucapitals abwerfen werden. Die<lb/>
Strecke Kleinen-Lübeck ist noch im Bau begriffen; die Strecke Güstrow-Stras-<lb/>
burg, welche am 1. Jan. 1867 in ihrer ganzen Ausdehnung, als Verlänge¬<lb/>
rung der Bahn Stettin-Pasewalk-Strasburg, eröffnet wurde, soll bis jetzt,<lb/>
ohne Absetzung eines Reserve- und Erneuerungsfonds nur IV» Procent ab¬<lb/>
werfen. Bestimmtes erfährt man über den Ertrag der Bahn nicht, da über<lb/>
diesen Zweig des Großherzoglichen Einnahmen- und Ausgabenetats ein eben<lb/>
so tiefes Geheimniß beobachtet wird, wie über alle übrigen Zweige desselben.<lb/>
Es gehört nun einmal zu den Eigenthümlichkeiten des Feudalstaats, daß er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Gemeindeordnung gewährt, für den Beruf der Landesvertretung zu erziehen, so würde die Bevölkerung aus solcher Aussicht doch wenig Befriedigung schöpfen. Die ständische Verfassung ist einer Reparatur nicht sähig, und ge¬ wiß ist die Erwartung begründet, daß ihre letzten Pfeiler schon zusammen¬ gebrochen sein werden, bevor die Vererbpachtungsmaßregel und die ihr zur Seite gehende Gemeindeordnung für die Domainen allgemein zur Ausführung ge¬ langt sind. Innerhalb der Pause zwischen zwei Landtagen pflegt in Mecklenburg nicht viel regiert zu werden. Wenn eine wichtigere Landtagsprocession uner¬ ledigt geblieben ist, welche in der Zwischenzeit im Wege der Verhandlung mit ständischen Deputirten für den nächsten Landtag weiter vorbereitet wird, wie es augenblicklich mit der Steuerreform der Fall ist, so ist es herrschende Sitte, den Gang dieser „commissarisch-deputatischen" Verhandlungen — so nennt sie die feudale Terminologie — sorgfältig geheim zu halten, bis die Er¬ gebnisse derselben auf dem Landtage auftauchen. Daher fällt der Amtsan¬ tritt des Grafen Bassewitz in eine stille Zeit und er hat bisher noch nicht Gelegenheit gehabt, seinen Namen unter ein öffentliches Schriftstück zu setzen. Ueber seine bisherige Thätigkeit erfährt man nur, daß auf seinen Betrieb eine vom Finanzministerium eingeleitete Verhandlung wegen Erwerbung der mecklenburgischen Eisenbahn für Großherzogliche Rechnung, der Ansicht des Finanzministeriums entgegen, abgebrochen worden ist, weil er die Seitens der Gesellschaft gestellte Forderung einer vierprocentigen Rente vom Nominal¬ betrage der Actien sür zu hoch hielt und bei dem zuerst auf 2Vz normirten, einige Monate später aber schon auf Procent gesteigerten Angebot des Finanzministeriums stehen bleiben wollte. Ob der Rath des Ministerpräsi¬ denten oder der des Finanzministers der richtige war, wird die Zeit lehren. Die mecklenburgische Eisenbahn trennt die beiden landesherrlichen Bahnen Güstrow'Straßburg und Kleinen-Lübeck. Ihre Erwerbung würde die Ver¬ waltung und den Betrieb auf diesen beiden Bahnen des Großherzogs sicher¬ lich viel einfacher und wohlfeiler gestalten, während es zweifelhaft erscheint, ob die beiden getrennten Stücke dem Großherzoge jemals einen auch nur einigermaßen angemessenen Zins des Baucapitals abwerfen werden. Die Strecke Kleinen-Lübeck ist noch im Bau begriffen; die Strecke Güstrow-Stras- burg, welche am 1. Jan. 1867 in ihrer ganzen Ausdehnung, als Verlänge¬ rung der Bahn Stettin-Pasewalk-Strasburg, eröffnet wurde, soll bis jetzt, ohne Absetzung eines Reserve- und Erneuerungsfonds nur IV» Procent ab¬ werfen. Bestimmtes erfährt man über den Ertrag der Bahn nicht, da über diesen Zweig des Großherzoglichen Einnahmen- und Ausgabenetats ein eben so tiefes Geheimniß beobachtet wird, wie über alle übrigen Zweige desselben. Es gehört nun einmal zu den Eigenthümlichkeiten des Feudalstaats, daß er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/276>, abgerufen am 01.07.2024.