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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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ertheilten. Eine Partei, welche im Laufe von achtzehn Jahren sich zweimal
bis zur Verleugnung ihres innersten Lebensprincips vor dem Zeitgeist und
dessen Forderungen gebeugt hat, kann schwerlich zu sich selbst noch großes
Vertrauen hegen, und noch viel weniger erwarten, daß Andere von ihrer
Festigkeit eine hohe Meinung haben. Es wird nur einer veränderten Strö¬
mung in der höchsten Region bedürfen, und die Partei gibt zum dritten
. Male Alles auf, was sie zusammenhält, und liegt entwurzelt am Boden.

Endlich übt die norddeutsche Bundesverfassung eine auflösende Einwir¬
kung auf die ständische Verfassung in Mecklenburg, theils durch die innere
Ungleichartigkeit und Unverträglichkeit beider Verfassungen, theils durch das
anziehende Vorbild der Gewährung des Wahlrechts für den Reichstag, wel¬
ches der mecklenburgische Staatsangehörige für den Landtag entbehrt, theils
durch die Eröffnung einer freien Tribüne auf dem Reichstage zur Kund¬
gebung auch der partikularen Beschwerden und durch die Bestellung einer
Aufsichtsbehörde für die richtige Handhabung der Bundesgesetze, theils durch
den Inhalt und die Richtung dieser Gesetze selbst. Jedes Bundesgesetz ent¬
zieht der mecklenburgischen Verfassung irgend eine ihrer Stützen. Auch noch
der letzte Reichstag hat wieder sehr bedeutende Einschnitte in den Stamm
dieser Verfassung gemacht. Das Wahlgesetz gibt den mecklenburgischen Wäh¬
lern das Vereins- und Versammlungsrecht, welches sie bis dahin nicht hatten,
die Gewerbeordnung schützt durch eine ihrer Bestimmungen die Presse gegen
Unterdrückung im Verwaltungswege, das Gesetz betreffend die Gleichberech¬
tigung der Confessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung,
schafft die politischen Privilegien der Angehörigen der Landeskirche ab. die
bevorstehende Proceßordnung wird die Patrimonialgerichtsbarkeit und die
eximirten Gerichtsstände beseitigen.

Bei so ermuthigenden Aussichten werden^ die Freunde des Rechtsstaats
es leicht verschmerzen, wenn ihre bisherigen Bestrebungen in dieser Richtung
noch nicht mit Erfolg gekrönt worden sind. Der Großherzog hat die im
Februar 1868 an ihn gerichtete Petition der S800 einer Antwort nicht ge¬
würdigt, auch ist es den Bemühungen der mecklenburgischen Regierung ge¬
lungen, den Bundesrath zur Ertheilung eines ablehnenden Bescheides auf
die demselben vom Reichstage überwiesen" Petition der 6300 Mecklenburger
zu bestimmen. Aber damit ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch
nicht gesprochen. Der Bundesrath stützt seinen ablehnenden Bescheid auf die
von ihm behauptete anerkannte Wirksamkeit, in welcher die altständische
mecklenburgische Verfassung zur Zeit der Begründung des norddeutschen
Bundes bestanden haben soll. Er versäumt es aber, diese Behauptung zu
beweisen, und wird auch nicht den Anspruch erheben wollen, daß durch seine


Grenzboten III. 18ö9, 34

ertheilten. Eine Partei, welche im Laufe von achtzehn Jahren sich zweimal
bis zur Verleugnung ihres innersten Lebensprincips vor dem Zeitgeist und
dessen Forderungen gebeugt hat, kann schwerlich zu sich selbst noch großes
Vertrauen hegen, und noch viel weniger erwarten, daß Andere von ihrer
Festigkeit eine hohe Meinung haben. Es wird nur einer veränderten Strö¬
mung in der höchsten Region bedürfen, und die Partei gibt zum dritten
. Male Alles auf, was sie zusammenhält, und liegt entwurzelt am Boden.

Endlich übt die norddeutsche Bundesverfassung eine auflösende Einwir¬
kung auf die ständische Verfassung in Mecklenburg, theils durch die innere
Ungleichartigkeit und Unverträglichkeit beider Verfassungen, theils durch das
anziehende Vorbild der Gewährung des Wahlrechts für den Reichstag, wel¬
ches der mecklenburgische Staatsangehörige für den Landtag entbehrt, theils
durch die Eröffnung einer freien Tribüne auf dem Reichstage zur Kund¬
gebung auch der partikularen Beschwerden und durch die Bestellung einer
Aufsichtsbehörde für die richtige Handhabung der Bundesgesetze, theils durch
den Inhalt und die Richtung dieser Gesetze selbst. Jedes Bundesgesetz ent¬
zieht der mecklenburgischen Verfassung irgend eine ihrer Stützen. Auch noch
der letzte Reichstag hat wieder sehr bedeutende Einschnitte in den Stamm
dieser Verfassung gemacht. Das Wahlgesetz gibt den mecklenburgischen Wäh¬
lern das Vereins- und Versammlungsrecht, welches sie bis dahin nicht hatten,
die Gewerbeordnung schützt durch eine ihrer Bestimmungen die Presse gegen
Unterdrückung im Verwaltungswege, das Gesetz betreffend die Gleichberech¬
tigung der Confessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung,
schafft die politischen Privilegien der Angehörigen der Landeskirche ab. die
bevorstehende Proceßordnung wird die Patrimonialgerichtsbarkeit und die
eximirten Gerichtsstände beseitigen.

Bei so ermuthigenden Aussichten werden^ die Freunde des Rechtsstaats
es leicht verschmerzen, wenn ihre bisherigen Bestrebungen in dieser Richtung
noch nicht mit Erfolg gekrönt worden sind. Der Großherzog hat die im
Februar 1868 an ihn gerichtete Petition der S800 einer Antwort nicht ge¬
würdigt, auch ist es den Bemühungen der mecklenburgischen Regierung ge¬
lungen, den Bundesrath zur Ertheilung eines ablehnenden Bescheides auf
die demselben vom Reichstage überwiesen« Petition der 6300 Mecklenburger
zu bestimmen. Aber damit ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch
nicht gesprochen. Der Bundesrath stützt seinen ablehnenden Bescheid auf die
von ihm behauptete anerkannte Wirksamkeit, in welcher die altständische
mecklenburgische Verfassung zur Zeit der Begründung des norddeutschen
Bundes bestanden haben soll. Er versäumt es aber, diese Behauptung zu
beweisen, und wird auch nicht den Anspruch erheben wollen, daß durch seine


Grenzboten III. 18ö9, 34
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/273>, abgerufen am 05.02.2025.