Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.so daß dieselbe nicht blos durch ihren Inhalt den allgemeinsten Anstoß er¬ Mit der Stadt Rostock verwickelte Herr v. Oertzen den Großherzog 33*
so daß dieselbe nicht blos durch ihren Inhalt den allgemeinsten Anstoß er¬ Mit der Stadt Rostock verwickelte Herr v. Oertzen den Großherzog 33*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121488"/> <p xml:id="ID_879" prev="#ID_878"> so daß dieselbe nicht blos durch ihren Inhalt den allgemeinsten Anstoß er¬<lb/> regte, sondern auch formell illegal war. Die Landschaft hatte ihre Zustim¬<lb/> mung verweigert, theils weil sie das Bedürfniß nicht anerkannte, theils weil<lb/> sie es für unzulässig hielt, dem Gutsherrn das Recht einzuräumen, auch in<lb/> Fällen, wo sein eigenes Interesse in Betracht kam, die Sache selbst zu<lb/> untersuchen und zu entscheiden. Dem Sturm des Unwillens, welcher sich<lb/> wegen dieser Verordnung durch die ganze deutsche Presse erhob, suchte Herr<lb/> v. Oertzen dadurch zu begegnen, daß er als Minister des Auswärtigen ein<lb/> Cireular an die mecklenburgischen Gesandtschaften zu Wien und Berlin er¬<lb/> ließ, in welchem er den Beistand der Mächte zum Schutze gegen die Angriffe<lb/> der Presse anrief und eine Verschärfung der deutschen Preßgesetzgebung für<lb/> ein dringendes Erforderniß erklärte. Trotz dieser ungewöhnlichen Anstrengungen<lb/> mußte schließlich doch der Rückzug angetreten werden. Durch Verordnung<lb/> vom 20. Decbr. wurde die körperliche Züchtigung als Strafmittel in gericht¬<lb/> lichen sowohl als in polizeilichen Untersuchungen aufgehoben. Doch ließ man,<lb/> abgesehen von der Fortdauer dieser Strafe zur Aufrechthaltung der Disciplin<lb/> in Straf- und Correctionsanstalten, dieselbe noch zur Bestrafung des ge¬<lb/> werbsmäßigen Bettels und der mit Unfug oder öffentlichem Aergerniß ver¬<lb/> bundenen Trunkenheit, Rohheit oder Liederlichkeit bei solchen Individuen fort¬<lb/> bestehen, welche wegen der genannten Vergehen bereits wiederholt bestraft<lb/> worden sind, wenn zugleich deren herabgesunkene Persönlichkeit die Annahme<lb/> begründet, daß andere Strafmittel ihre Wirkung verfehlen würden. Ebenso<lb/> können auch Individuen, „deren Persönlichkeit so qualificirt ist", wegen klei¬<lb/> ner, polizeilich zu rügender Diebstähle, mit körperlicher Züchtigung belegt<lb/> werden. Bis auf diesen Punkt wenigstens hatte man sich bei der Anwen¬<lb/> dung der körperlichen Züchtigung vor dem öffentlichen Unwillen zurück¬<lb/> ziehen müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_880" next="#ID_881"> Mit der Stadt Rostock verwickelte Herr v. Oertzen den Großherzog<lb/> im Jahre 1863 in einen auch jetzt noch nicht beendigten Streit, indem er<lb/> das in einer Untersuchung gegen die Mitglieder des Nationalvereins zu<lb/> Rostock ergangene freisprechende Erkenntniß des Raths cassirte, ein verurthei-<lb/> lendes Erkenntniß an die Stelle setzte und den Rath im Wege militairischer<lb/> Execution zwang, das letztere an den von ihm Freigesprochenen selbst zur<lb/> Ausführung zu bringen. Dieser Eingriff in die Rechtspflege vollzog sich in<lb/> Formen, welche lebhaft an den rauhen Stil des Herzogs Carl Leopold von<lb/> Mecklenburg erinnern. „Ihr erdreistet Euch", so wurde der Rath in einem<lb/> der in dieser Sache ergangenen landesherrlichen Nescripte angelassen. Eine<lb/> Beschwerde des Rostocker Raths wegen dieser Hemmung der Rechtspflege<lb/> wird in nächster Zeit wieder an den Bundesrath abgehen, nachdem ein<lb/> Bescheid des letzteren, welcher die Beschwerde abwies, weil ihr Gegenstand in</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 33*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0267]
so daß dieselbe nicht blos durch ihren Inhalt den allgemeinsten Anstoß er¬
regte, sondern auch formell illegal war. Die Landschaft hatte ihre Zustim¬
mung verweigert, theils weil sie das Bedürfniß nicht anerkannte, theils weil
sie es für unzulässig hielt, dem Gutsherrn das Recht einzuräumen, auch in
Fällen, wo sein eigenes Interesse in Betracht kam, die Sache selbst zu
untersuchen und zu entscheiden. Dem Sturm des Unwillens, welcher sich
wegen dieser Verordnung durch die ganze deutsche Presse erhob, suchte Herr
v. Oertzen dadurch zu begegnen, daß er als Minister des Auswärtigen ein
Cireular an die mecklenburgischen Gesandtschaften zu Wien und Berlin er¬
ließ, in welchem er den Beistand der Mächte zum Schutze gegen die Angriffe
der Presse anrief und eine Verschärfung der deutschen Preßgesetzgebung für
ein dringendes Erforderniß erklärte. Trotz dieser ungewöhnlichen Anstrengungen
mußte schließlich doch der Rückzug angetreten werden. Durch Verordnung
vom 20. Decbr. wurde die körperliche Züchtigung als Strafmittel in gericht¬
lichen sowohl als in polizeilichen Untersuchungen aufgehoben. Doch ließ man,
abgesehen von der Fortdauer dieser Strafe zur Aufrechthaltung der Disciplin
in Straf- und Correctionsanstalten, dieselbe noch zur Bestrafung des ge¬
werbsmäßigen Bettels und der mit Unfug oder öffentlichem Aergerniß ver¬
bundenen Trunkenheit, Rohheit oder Liederlichkeit bei solchen Individuen fort¬
bestehen, welche wegen der genannten Vergehen bereits wiederholt bestraft
worden sind, wenn zugleich deren herabgesunkene Persönlichkeit die Annahme
begründet, daß andere Strafmittel ihre Wirkung verfehlen würden. Ebenso
können auch Individuen, „deren Persönlichkeit so qualificirt ist", wegen klei¬
ner, polizeilich zu rügender Diebstähle, mit körperlicher Züchtigung belegt
werden. Bis auf diesen Punkt wenigstens hatte man sich bei der Anwen¬
dung der körperlichen Züchtigung vor dem öffentlichen Unwillen zurück¬
ziehen müssen.
Mit der Stadt Rostock verwickelte Herr v. Oertzen den Großherzog
im Jahre 1863 in einen auch jetzt noch nicht beendigten Streit, indem er
das in einer Untersuchung gegen die Mitglieder des Nationalvereins zu
Rostock ergangene freisprechende Erkenntniß des Raths cassirte, ein verurthei-
lendes Erkenntniß an die Stelle setzte und den Rath im Wege militairischer
Execution zwang, das letztere an den von ihm Freigesprochenen selbst zur
Ausführung zu bringen. Dieser Eingriff in die Rechtspflege vollzog sich in
Formen, welche lebhaft an den rauhen Stil des Herzogs Carl Leopold von
Mecklenburg erinnern. „Ihr erdreistet Euch", so wurde der Rath in einem
der in dieser Sache ergangenen landesherrlichen Nescripte angelassen. Eine
Beschwerde des Rostocker Raths wegen dieser Hemmung der Rechtspflege
wird in nächster Zeit wieder an den Bundesrath abgehen, nachdem ein
Bescheid des letzteren, welcher die Beschwerde abwies, weil ihr Gegenstand in
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