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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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zwar mit dem Ministerium des Auswärtigen auch noch das des Innern,
brachte es aber niemals zu einer genügenden Kenntniß des Landes und sei¬
ner Bedürfnisse und wurde niemals heimisch unter uns. Er ließ Andere für
sich arbeiten, während er selbst einen großen Theil des Jahres außerhalb
Mecklenburgs verlebte. Nach achtjähriger Amtsführung trat er vom Schau¬
platz zurück und es zeigten sich bald darauf die Zeichen einer unheilbaren
Geisteskrankheit, deren zerrüttenden Einwirkungen er vor Kurzem erlag.

Auf ihn folgte v. Oertzen, früher mecklenburgischer Bundestags¬
gesandter, zu dessen ersten Handlungen nach Antritt seines Ministerpostens
gehörte, daß er die bis dahin wenigstens formell offen gehaltene Frage wegen
einer Reform der ständischen Verfassung abschloß, indem er ein großherzog¬
liches Rescript an den Landtag unterzeichnete, in welchem allem "Experimen¬
tiren mit neuen willkürlichen Verfassungsformen" der Abschied gegeben und
die Absicht strengen Festhaltens an der bestehenden Landesverfassung ange¬
kündigt wurde. Herr v. Oertzen war es ferner, welcher als Vorstand des
von ihm gleichzeitig versehenen Ministeriums des Innern die weitere Aus¬
bildung der Strafe der körperlichen Züchtigung sich angelegen sein ließ.

Da man in neuerer Zeit mehrfach gewagt hat, die Mittheilungen über
die Anwendung dieser Strafe in Mecklenburg als dem Gebiet der Fabel an¬
gehörig zu bezeichnen, so wird es sich rechtfertigen, wenn wir Veranlassung
nehmen, einen kurzen Abriß der Geschichte dieses Strafmittels in unserem
Lande hier einzuschalten. Zur Zeit der Herrschaft des Constitutionalismus
wurde durch ein Gesetz vom 11. Jan. 1849 die Strafe der körperlichen Züch¬
tigung gänzlich abgeschafft. Nach Wiederherstellung der altständischen Ver¬
fassung aber wurde diese Strafe für ein Bedürfniß erklärt und unter Zu¬
stimmung von Ritter- und Landschaft durch Verordnung vom 29. Jan. 1852
für folgende Fälle wieder eingeführt: 1) zur Aufrechthaltung der Disciplin
in Gefängnissen, 2) zur Ahndung von Lügen und Winkelzügen in gerichtlichen
und polizeilichen Untersuchungen, 3) als Strafe des gewerbsmäßigen Bet¬
tels, der Trunkenheit, Völlerei und Liederlichkeit, der Unzucht, der Beleidi¬
gung der Obrigkeit und ihrer Diener, so wie der thätlichen Widersetzlichkeit
gegen dieselben, des Diebstahls, der Forstfrevel, des Betrugs und der Fäl¬
schung. Durch Verordnung vom 27. Januar 1853 wurde das Maß der
Röhrchen nach Länge und Dicke erweitert. Die von Herrn v. Oertzen die¬
ser Institution gegebene Fortbildung bestand darin, daß unter dem 2, April 1864
eine Verordnung, betreffend die Bestrafung der Dienstvergehen der Guts¬
leute auf den ritterschaftlichen Gütern, erschien, welche dem Gutsherrn das
Recht verlieh, eine Polizeistrafe bis zu 25 Hieben wegen Dienstvergehen zu
erkennen. Die Verordnung hatte auf dem Landtage nur die Zustimmung
der Ritterschaft erlangt, war dagegen von der Landschaft abgelehnt worden,


zwar mit dem Ministerium des Auswärtigen auch noch das des Innern,
brachte es aber niemals zu einer genügenden Kenntniß des Landes und sei¬
ner Bedürfnisse und wurde niemals heimisch unter uns. Er ließ Andere für
sich arbeiten, während er selbst einen großen Theil des Jahres außerhalb
Mecklenburgs verlebte. Nach achtjähriger Amtsführung trat er vom Schau¬
platz zurück und es zeigten sich bald darauf die Zeichen einer unheilbaren
Geisteskrankheit, deren zerrüttenden Einwirkungen er vor Kurzem erlag.

Auf ihn folgte v. Oertzen, früher mecklenburgischer Bundestags¬
gesandter, zu dessen ersten Handlungen nach Antritt seines Ministerpostens
gehörte, daß er die bis dahin wenigstens formell offen gehaltene Frage wegen
einer Reform der ständischen Verfassung abschloß, indem er ein großherzog¬
liches Rescript an den Landtag unterzeichnete, in welchem allem „Experimen¬
tiren mit neuen willkürlichen Verfassungsformen" der Abschied gegeben und
die Absicht strengen Festhaltens an der bestehenden Landesverfassung ange¬
kündigt wurde. Herr v. Oertzen war es ferner, welcher als Vorstand des
von ihm gleichzeitig versehenen Ministeriums des Innern die weitere Aus¬
bildung der Strafe der körperlichen Züchtigung sich angelegen sein ließ.

Da man in neuerer Zeit mehrfach gewagt hat, die Mittheilungen über
die Anwendung dieser Strafe in Mecklenburg als dem Gebiet der Fabel an¬
gehörig zu bezeichnen, so wird es sich rechtfertigen, wenn wir Veranlassung
nehmen, einen kurzen Abriß der Geschichte dieses Strafmittels in unserem
Lande hier einzuschalten. Zur Zeit der Herrschaft des Constitutionalismus
wurde durch ein Gesetz vom 11. Jan. 1849 die Strafe der körperlichen Züch¬
tigung gänzlich abgeschafft. Nach Wiederherstellung der altständischen Ver¬
fassung aber wurde diese Strafe für ein Bedürfniß erklärt und unter Zu¬
stimmung von Ritter- und Landschaft durch Verordnung vom 29. Jan. 1852
für folgende Fälle wieder eingeführt: 1) zur Aufrechthaltung der Disciplin
in Gefängnissen, 2) zur Ahndung von Lügen und Winkelzügen in gerichtlichen
und polizeilichen Untersuchungen, 3) als Strafe des gewerbsmäßigen Bet¬
tels, der Trunkenheit, Völlerei und Liederlichkeit, der Unzucht, der Beleidi¬
gung der Obrigkeit und ihrer Diener, so wie der thätlichen Widersetzlichkeit
gegen dieselben, des Diebstahls, der Forstfrevel, des Betrugs und der Fäl¬
schung. Durch Verordnung vom 27. Januar 1853 wurde das Maß der
Röhrchen nach Länge und Dicke erweitert. Die von Herrn v. Oertzen die¬
ser Institution gegebene Fortbildung bestand darin, daß unter dem 2, April 1864
eine Verordnung, betreffend die Bestrafung der Dienstvergehen der Guts¬
leute auf den ritterschaftlichen Gütern, erschien, welche dem Gutsherrn das
Recht verlieh, eine Polizeistrafe bis zu 25 Hieben wegen Dienstvergehen zu
erkennen. Die Verordnung hatte auf dem Landtage nur die Zustimmung
der Ritterschaft erlangt, war dagegen von der Landschaft abgelehnt worden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/266>, abgerufen am 22.07.2024.