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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Julikönigthum und die Bourgeoisie sollen das Prinzip der Eintheilung einer
allgemeinen Culturgeschichte abgeben? Es ist schwer abzusehen, wie der Ver¬
fasser zu der Ueberzeugung von einem solchen Zusammenhange zwischen den
politischen Krisen in einem europäischen Staate und der Geschichte der Wissen¬
schaft, Kunst, Literatur, Technik, der Reisen, Entdeckungen und Erfindungen
der Colonisation in allen übrigen Staaten gekommen ist. Da weder aus der
Vorrede noch aus dem Inhalte des ersten Bandes, noch aus der Art der Behand¬
lung der einzelnen Abschnitte irgend welche Gründe für diese "Gliederung" zu
ersehen sind, so nehmen wir vorläufig an, daß nur die Routine der
hergebrachten Eintheilung der politischen Geschichte des neunzehnten Jahr-
Hunderts, welche allerdings in der Bedeutung der politischen Ereignisse der
Jahre 181S und 1830 einen ausreichenden Grund hat, den Verfasser bestimmt
habe auch für die Culturgeschichte dasselbe Schema zu wählen. Ein solches
Verfahren wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Rückkehr der Bourbons
auf den französischen Thron etwa in der Geschichte der Chemie, oder in der
Entwickelung der modernen Sculptur ein so wesentliches Ereignis; gewesen
wäre, als sie auf dem Gebiete der Politik eine hervorragende Rolle spielt,
oder wenn die Thronbesteigung Louis Philipps eine neue Phase der Musik¬
geschichte eingeleitet hätte, oder für die Geschichte der Landwirthschaft epoche¬
machend gewesen wäre. Von einem solchen innigen Zusammenhang der
französischen Staatsgeschichte mit den verschiedenen Gebieten der Culturgeschichte
ist uns aber nicht nur nichts bekannt, sondern wir müssen auch ver¬
zweifeln aus dem Werke des Herrn Honegger zu erfahren, daß ein solcher
Zusammenhang bestehe. Der Verfasser denkt auch nicht daran, daß eine
solche "Gliederung des ungeheuren Materials" ihm die Pflicht auferlege einen
Zusammenhang der verschiedenen Culturgebiete in einer Epoche oder Periode
auszuweisen, denselben als Eintheilungsgrund darzustellen und nach irgend einem
Princip für die Gliederung zu suchen. Er nimmt ganz einfach das schon zu¬
rechtgezimmerte Fachwerk der Periodifirung der politischen Geschichte und
schüttet seine Collectanceen ganz gemächlich und sein säuberlich in die ver¬
schiedenen Rubriken, so daß die Darstellung der Geschichte der Astronomie,
der Reisen und der Colonisation, der Baukunst und der Philosophie ohne
Umstände im Jahre 1813 und im Jahre 1830 abgeschnitten wird, -- sind
doch die Bourbons 1816 auf den französischen Thron gekommen und 1830
wieder vertrieben worden. Ob die Geschichte der Aesthetik oder der drama¬
tischen Kunst, ob die Geschichte der Bauernemancipation oder Baumwollen¬
spinnerei, ob die Geschichte der Zoologie oder der Theologie sich zufällig auch
in solche Perioden von 1800 bis 1815, von 181S bis 1830 eintheilen lasse,
oder ob Alles dieses sehr viel mit Karl X. oder Louis Philipp zu schaffen
habe, ob Alles das organisch eingetheilt sei, -- daran denkt der Verfasser


Julikönigthum und die Bourgeoisie sollen das Prinzip der Eintheilung einer
allgemeinen Culturgeschichte abgeben? Es ist schwer abzusehen, wie der Ver¬
fasser zu der Ueberzeugung von einem solchen Zusammenhange zwischen den
politischen Krisen in einem europäischen Staate und der Geschichte der Wissen¬
schaft, Kunst, Literatur, Technik, der Reisen, Entdeckungen und Erfindungen
der Colonisation in allen übrigen Staaten gekommen ist. Da weder aus der
Vorrede noch aus dem Inhalte des ersten Bandes, noch aus der Art der Behand¬
lung der einzelnen Abschnitte irgend welche Gründe für diese „Gliederung" zu
ersehen sind, so nehmen wir vorläufig an, daß nur die Routine der
hergebrachten Eintheilung der politischen Geschichte des neunzehnten Jahr-
Hunderts, welche allerdings in der Bedeutung der politischen Ereignisse der
Jahre 181S und 1830 einen ausreichenden Grund hat, den Verfasser bestimmt
habe auch für die Culturgeschichte dasselbe Schema zu wählen. Ein solches
Verfahren wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Rückkehr der Bourbons
auf den französischen Thron etwa in der Geschichte der Chemie, oder in der
Entwickelung der modernen Sculptur ein so wesentliches Ereignis; gewesen
wäre, als sie auf dem Gebiete der Politik eine hervorragende Rolle spielt,
oder wenn die Thronbesteigung Louis Philipps eine neue Phase der Musik¬
geschichte eingeleitet hätte, oder für die Geschichte der Landwirthschaft epoche¬
machend gewesen wäre. Von einem solchen innigen Zusammenhang der
französischen Staatsgeschichte mit den verschiedenen Gebieten der Culturgeschichte
ist uns aber nicht nur nichts bekannt, sondern wir müssen auch ver¬
zweifeln aus dem Werke des Herrn Honegger zu erfahren, daß ein solcher
Zusammenhang bestehe. Der Verfasser denkt auch nicht daran, daß eine
solche „Gliederung des ungeheuren Materials" ihm die Pflicht auferlege einen
Zusammenhang der verschiedenen Culturgebiete in einer Epoche oder Periode
auszuweisen, denselben als Eintheilungsgrund darzustellen und nach irgend einem
Princip für die Gliederung zu suchen. Er nimmt ganz einfach das schon zu¬
rechtgezimmerte Fachwerk der Periodifirung der politischen Geschichte und
schüttet seine Collectanceen ganz gemächlich und sein säuberlich in die ver¬
schiedenen Rubriken, so daß die Darstellung der Geschichte der Astronomie,
der Reisen und der Colonisation, der Baukunst und der Philosophie ohne
Umstände im Jahre 1813 und im Jahre 1830 abgeschnitten wird, — sind
doch die Bourbons 1816 auf den französischen Thron gekommen und 1830
wieder vertrieben worden. Ob die Geschichte der Aesthetik oder der drama¬
tischen Kunst, ob die Geschichte der Bauernemancipation oder Baumwollen¬
spinnerei, ob die Geschichte der Zoologie oder der Theologie sich zufällig auch
in solche Perioden von 1800 bis 1815, von 181S bis 1830 eintheilen lasse,
oder ob Alles dieses sehr viel mit Karl X. oder Louis Philipp zu schaffen
habe, ob Alles das organisch eingetheilt sei, — daran denkt der Verfasser


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[0224] Julikönigthum und die Bourgeoisie sollen das Prinzip der Eintheilung einer allgemeinen Culturgeschichte abgeben? Es ist schwer abzusehen, wie der Ver¬ fasser zu der Ueberzeugung von einem solchen Zusammenhange zwischen den politischen Krisen in einem europäischen Staate und der Geschichte der Wissen¬ schaft, Kunst, Literatur, Technik, der Reisen, Entdeckungen und Erfindungen der Colonisation in allen übrigen Staaten gekommen ist. Da weder aus der Vorrede noch aus dem Inhalte des ersten Bandes, noch aus der Art der Behand¬ lung der einzelnen Abschnitte irgend welche Gründe für diese „Gliederung" zu ersehen sind, so nehmen wir vorläufig an, daß nur die Routine der hergebrachten Eintheilung der politischen Geschichte des neunzehnten Jahr- Hunderts, welche allerdings in der Bedeutung der politischen Ereignisse der Jahre 181S und 1830 einen ausreichenden Grund hat, den Verfasser bestimmt habe auch für die Culturgeschichte dasselbe Schema zu wählen. Ein solches Verfahren wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Rückkehr der Bourbons auf den französischen Thron etwa in der Geschichte der Chemie, oder in der Entwickelung der modernen Sculptur ein so wesentliches Ereignis; gewesen wäre, als sie auf dem Gebiete der Politik eine hervorragende Rolle spielt, oder wenn die Thronbesteigung Louis Philipps eine neue Phase der Musik¬ geschichte eingeleitet hätte, oder für die Geschichte der Landwirthschaft epoche¬ machend gewesen wäre. Von einem solchen innigen Zusammenhang der französischen Staatsgeschichte mit den verschiedenen Gebieten der Culturgeschichte ist uns aber nicht nur nichts bekannt, sondern wir müssen auch ver¬ zweifeln aus dem Werke des Herrn Honegger zu erfahren, daß ein solcher Zusammenhang bestehe. Der Verfasser denkt auch nicht daran, daß eine solche „Gliederung des ungeheuren Materials" ihm die Pflicht auferlege einen Zusammenhang der verschiedenen Culturgebiete in einer Epoche oder Periode auszuweisen, denselben als Eintheilungsgrund darzustellen und nach irgend einem Princip für die Gliederung zu suchen. Er nimmt ganz einfach das schon zu¬ rechtgezimmerte Fachwerk der Periodifirung der politischen Geschichte und schüttet seine Collectanceen ganz gemächlich und sein säuberlich in die ver¬ schiedenen Rubriken, so daß die Darstellung der Geschichte der Astronomie, der Reisen und der Colonisation, der Baukunst und der Philosophie ohne Umstände im Jahre 1813 und im Jahre 1830 abgeschnitten wird, — sind doch die Bourbons 1816 auf den französischen Thron gekommen und 1830 wieder vertrieben worden. Ob die Geschichte der Aesthetik oder der drama¬ tischen Kunst, ob die Geschichte der Bauernemancipation oder Baumwollen¬ spinnerei, ob die Geschichte der Zoologie oder der Theologie sich zufällig auch in solche Perioden von 1800 bis 1815, von 181S bis 1830 eintheilen lasse, oder ob Alles dieses sehr viel mit Karl X. oder Louis Philipp zu schaffen habe, ob Alles das organisch eingetheilt sei, — daran denkt der Verfasser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/224>, abgerufen am 22.07.2024.