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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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nur wenig bekannten oder so gut wie gar nicht bearbeiteten Terrain; er will
ein Baumeister sein, welcher für die Kärrner, Maurerund Zimmerleute den
Grundriß liefert. Nicht so sehr das Baumaterial will er herbeischaffen als
die leitenden Ideen für den zukünftigen Bau einer Culturgeschichte der neue¬
sten Zeit angeben. Wir erwarten somit Planmäßigkeit, Vollständigkeit in
der Anlage, ein ideelles Beherrschen des Ganzen, das Bewußtsein davon,
wie gearbeitet werden soll. Am Schlüsse der Vorrede sagt der Verfasser, er
wolle "nicht ins Detail gehen, sondern die Grundgedanken der Zeit kurz
und scharf fixiren, ihr die besondere Signatur ablauschen und das Funda¬
ment herstellen für eine weiter ausgeführte und in die Specialitäten ein¬
gehende Geistesgeschichte unserer vielbewegten und weithin strebenden Zeit."
Seinen auf das Allgemeine, Zusammenfassende gerichteten Geist charakterisirt
der Verfasser folgendermaßen: "Die Natur hat mir so viel Neigung und
Geduld gegeben, die Einzelnheiten zu studiren, aber nicht genug, mich selber
mit ihnen zu befassen. An dem Bächlein, das den großen Stromlauf schwellen
hilft, mag ich gern ausruhend verweilen; aber als Maler würde ich seine
idyllische Ruhe schwerlich zeichnen; mich locken mehr die unbegrenzten Hori¬
zonte und die Höhen. Die weitreichenden Vorstudien des Ganzen sind ab¬
geschlossen, der Organismus und die Gliederung des ungeheuren Materials
lange durchdacht u. s. f."

Büchertitel sind Wechsel, die der Verfasser ausstellt und in dem Buche
bezahlen muß. Vorreden, wie die des Verfassers lassen auf eine ungewöhn¬
liche Zahlungsfähigkeit schließen. Die Versprechungen des Verfassers sollen
uns zu der Voraussetzung nöthigen, daß wir es hier mit einem philosophi¬
schen Kopf xar exeellknos zu thun haben, daß das "ungeheure Material"
den gewaltigen Beherrscher, die Aufgabe ihren Meister gefunden habe.

Dem ist aber nicht so. Nicht "Grundsteine" finden wir ne dem Werke
Honegger's, sondern nur Bausteine , zu einer Culturgeschichte der neuesten
Zeit, und zwar meist Bausteine, die ganz formlos und unbehauen nicht im
mindesten auf einen Plan, auf einen großen ganzen Zusammenhang eines
herzustellenden Baues hindeuten, die keinerlei zukünftigen Organismus er¬
rathen lassen, die so ausschließlich quantitative Bedeutung haben, wie nur
irgendwelche für einen Bau bestimmte Materialien haben können, wie Sand
Mörtel.

Der Verfasser sagt, die "Gliederung des ungeheuren Materials sei lange
durchdacht". Betrachten wir diese Gliederung, so müssen wir zuallernächst
fragen, welche Veranlassung den Verfasser bewogen hat, bei der Periodisirung
der allgemeinen Culturgeschichte der letzten Jahrzehnte, Ereignisse der po¬
litischen Geschichte und zwar der politischen Geschichte Frankreichs zu
Grunde zu legen. Das erste Kaiserreich, die Restauration der Bourbons, das


nur wenig bekannten oder so gut wie gar nicht bearbeiteten Terrain; er will
ein Baumeister sein, welcher für die Kärrner, Maurerund Zimmerleute den
Grundriß liefert. Nicht so sehr das Baumaterial will er herbeischaffen als
die leitenden Ideen für den zukünftigen Bau einer Culturgeschichte der neue¬
sten Zeit angeben. Wir erwarten somit Planmäßigkeit, Vollständigkeit in
der Anlage, ein ideelles Beherrschen des Ganzen, das Bewußtsein davon,
wie gearbeitet werden soll. Am Schlüsse der Vorrede sagt der Verfasser, er
wolle „nicht ins Detail gehen, sondern die Grundgedanken der Zeit kurz
und scharf fixiren, ihr die besondere Signatur ablauschen und das Funda¬
ment herstellen für eine weiter ausgeführte und in die Specialitäten ein¬
gehende Geistesgeschichte unserer vielbewegten und weithin strebenden Zeit."
Seinen auf das Allgemeine, Zusammenfassende gerichteten Geist charakterisirt
der Verfasser folgendermaßen: „Die Natur hat mir so viel Neigung und
Geduld gegeben, die Einzelnheiten zu studiren, aber nicht genug, mich selber
mit ihnen zu befassen. An dem Bächlein, das den großen Stromlauf schwellen
hilft, mag ich gern ausruhend verweilen; aber als Maler würde ich seine
idyllische Ruhe schwerlich zeichnen; mich locken mehr die unbegrenzten Hori¬
zonte und die Höhen. Die weitreichenden Vorstudien des Ganzen sind ab¬
geschlossen, der Organismus und die Gliederung des ungeheuren Materials
lange durchdacht u. s. f."

Büchertitel sind Wechsel, die der Verfasser ausstellt und in dem Buche
bezahlen muß. Vorreden, wie die des Verfassers lassen auf eine ungewöhn¬
liche Zahlungsfähigkeit schließen. Die Versprechungen des Verfassers sollen
uns zu der Voraussetzung nöthigen, daß wir es hier mit einem philosophi¬
schen Kopf xar exeellknos zu thun haben, daß das „ungeheure Material"
den gewaltigen Beherrscher, die Aufgabe ihren Meister gefunden habe.

Dem ist aber nicht so. Nicht „Grundsteine" finden wir ne dem Werke
Honegger's, sondern nur Bausteine , zu einer Culturgeschichte der neuesten
Zeit, und zwar meist Bausteine, die ganz formlos und unbehauen nicht im
mindesten auf einen Plan, auf einen großen ganzen Zusammenhang eines
herzustellenden Baues hindeuten, die keinerlei zukünftigen Organismus er¬
rathen lassen, die so ausschließlich quantitative Bedeutung haben, wie nur
irgendwelche für einen Bau bestimmte Materialien haben können, wie Sand
Mörtel.

Der Verfasser sagt, die „Gliederung des ungeheuren Materials sei lange
durchdacht". Betrachten wir diese Gliederung, so müssen wir zuallernächst
fragen, welche Veranlassung den Verfasser bewogen hat, bei der Periodisirung
der allgemeinen Culturgeschichte der letzten Jahrzehnte, Ereignisse der po¬
litischen Geschichte und zwar der politischen Geschichte Frankreichs zu
Grunde zu legen. Das erste Kaiserreich, die Restauration der Bourbons, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/223>, abgerufen am 03.07.2024.