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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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bescheidenen Credits eingebüßt haben. Das Zeitalter jener Secessionen, welche
die Jüngerschaar Lassalles zerrissen und in eine ganze Anzahl von Fractionen
und Fractiönchen zerspalteten, ist im letzten Monat durch eine Versöhnung der
feindlichen Brüder Schweitzer und Meute geschlossen worden. Aber diese Aus¬
söhnung hat bis jetzt einen Erfolg gehabt, der die Erwartungen, die sich an
dieselbe knüpften, diametral entgegenläuft. Die große Masse der Arbeiter
ist dem von den beiden Präsidenten gegebenen Beispiel nicht uur nicht ge¬
folgt, sondern hat an dem eigenmächtigen Friedensschluß derselben Veranlassung
zu einer Lösung der bisherigen Bande genommen. Der allgemeine deutsche Ar¬
beiterverein, oder vielmehr die verschiedenen Vereine, welche diesen Namen führ¬
ten, sind in voller Auflösung begriffen, eine Coterie steht gegen die andere
auf, ein Wortführer beschuldigt den andern des Verraths, der Käuflichkeit und
des Unterschleiss und die Resultate jahrelanger Agitationsarbeit sind so gut
wie verloren, die sauer verdienten Arbeiterpfennige, welche an dieselben
gewandt wurden, ins Wasser geworfen. Nichtsdestoweniger liegt es
ziemlich nah, von dieser Krisis eher Vorschub als Rückgang der Sache des
deutschen Socialismus zu erwarten. So lange die bisherigen Männer an
der Spitze der Bewegung standen, war von derselben Nichts zu fürchten, denn
diese Männer bewiesen bei jeder Gelegenheit, daß ihnen alle die Eigenschaften
fehlten, deren es zu erfolgreicher Demagogie bedarf; schon als Leute, die
eigentlich der Bourgeoisie angehörten, hatten sie bei dem Arbeiterstande keinen
eigentlichen Boden, und Vertrauen in ihre Redlichkeit und Ueberzeugung
haben sie bei Niemand zu erwerben verstanden. Von der Vormundschaft
dieser Schwätzer frei geworden. wird die Arbeiterbewegung brutalere Formen
gewinnen, die Phrasen und Theorien von ihrem Programm streichen und
sich wesentlich auf die Cultivirung des Feldes legen, auf dem sie ihre
Existenz bisher am fühlbarsten geltend gemacht hat -- das Feld der Strikes,
die mit den Lassalleschen Ideen zwar nichts zu thun haben, aber sehr viel
einschneidender und imposanter wirken, als hochtönende Resolutionen und
theoretische Beschlüsse. Diese Strikes. die gegenwärtig in einer ganzen Reihe
norddeutscher Städte chronisch geworden sind, gewöhnen die betheiligten
Classen an beständigen Kampf mit den Arbeitgebern, eine systematischen
Feindschaft gegen das Capital. Taucht einmal ein ächter Demagog? auf,
so findet er den Boden ungleich besser bearbeitet vor, als wenn die Apostel
Lassalles noch ein halbes Jahrzehnt das große Wort geführt und die Noth
ihrer Anhänger mit Anweisungen aus die Casse des künftigen Arbeiterstaats
zu beschwören versucht hätten.




bescheidenen Credits eingebüßt haben. Das Zeitalter jener Secessionen, welche
die Jüngerschaar Lassalles zerrissen und in eine ganze Anzahl von Fractionen
und Fractiönchen zerspalteten, ist im letzten Monat durch eine Versöhnung der
feindlichen Brüder Schweitzer und Meute geschlossen worden. Aber diese Aus¬
söhnung hat bis jetzt einen Erfolg gehabt, der die Erwartungen, die sich an
dieselbe knüpften, diametral entgegenläuft. Die große Masse der Arbeiter
ist dem von den beiden Präsidenten gegebenen Beispiel nicht uur nicht ge¬
folgt, sondern hat an dem eigenmächtigen Friedensschluß derselben Veranlassung
zu einer Lösung der bisherigen Bande genommen. Der allgemeine deutsche Ar¬
beiterverein, oder vielmehr die verschiedenen Vereine, welche diesen Namen führ¬
ten, sind in voller Auflösung begriffen, eine Coterie steht gegen die andere
auf, ein Wortführer beschuldigt den andern des Verraths, der Käuflichkeit und
des Unterschleiss und die Resultate jahrelanger Agitationsarbeit sind so gut
wie verloren, die sauer verdienten Arbeiterpfennige, welche an dieselben
gewandt wurden, ins Wasser geworfen. Nichtsdestoweniger liegt es
ziemlich nah, von dieser Krisis eher Vorschub als Rückgang der Sache des
deutschen Socialismus zu erwarten. So lange die bisherigen Männer an
der Spitze der Bewegung standen, war von derselben Nichts zu fürchten, denn
diese Männer bewiesen bei jeder Gelegenheit, daß ihnen alle die Eigenschaften
fehlten, deren es zu erfolgreicher Demagogie bedarf; schon als Leute, die
eigentlich der Bourgeoisie angehörten, hatten sie bei dem Arbeiterstande keinen
eigentlichen Boden, und Vertrauen in ihre Redlichkeit und Ueberzeugung
haben sie bei Niemand zu erwerben verstanden. Von der Vormundschaft
dieser Schwätzer frei geworden. wird die Arbeiterbewegung brutalere Formen
gewinnen, die Phrasen und Theorien von ihrem Programm streichen und
sich wesentlich auf die Cultivirung des Feldes legen, auf dem sie ihre
Existenz bisher am fühlbarsten geltend gemacht hat — das Feld der Strikes,
die mit den Lassalleschen Ideen zwar nichts zu thun haben, aber sehr viel
einschneidender und imposanter wirken, als hochtönende Resolutionen und
theoretische Beschlüsse. Diese Strikes. die gegenwärtig in einer ganzen Reihe
norddeutscher Städte chronisch geworden sind, gewöhnen die betheiligten
Classen an beständigen Kampf mit den Arbeitgebern, eine systematischen
Feindschaft gegen das Capital. Taucht einmal ein ächter Demagog? auf,
so findet er den Boden ungleich besser bearbeitet vor, als wenn die Apostel
Lassalles noch ein halbes Jahrzehnt das große Wort geführt und die Noth
ihrer Anhänger mit Anweisungen aus die Casse des künftigen Arbeiterstaats
zu beschwören versucht hätten.




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[0184] bescheidenen Credits eingebüßt haben. Das Zeitalter jener Secessionen, welche die Jüngerschaar Lassalles zerrissen und in eine ganze Anzahl von Fractionen und Fractiönchen zerspalteten, ist im letzten Monat durch eine Versöhnung der feindlichen Brüder Schweitzer und Meute geschlossen worden. Aber diese Aus¬ söhnung hat bis jetzt einen Erfolg gehabt, der die Erwartungen, die sich an dieselbe knüpften, diametral entgegenläuft. Die große Masse der Arbeiter ist dem von den beiden Präsidenten gegebenen Beispiel nicht uur nicht ge¬ folgt, sondern hat an dem eigenmächtigen Friedensschluß derselben Veranlassung zu einer Lösung der bisherigen Bande genommen. Der allgemeine deutsche Ar¬ beiterverein, oder vielmehr die verschiedenen Vereine, welche diesen Namen führ¬ ten, sind in voller Auflösung begriffen, eine Coterie steht gegen die andere auf, ein Wortführer beschuldigt den andern des Verraths, der Käuflichkeit und des Unterschleiss und die Resultate jahrelanger Agitationsarbeit sind so gut wie verloren, die sauer verdienten Arbeiterpfennige, welche an dieselben gewandt wurden, ins Wasser geworfen. Nichtsdestoweniger liegt es ziemlich nah, von dieser Krisis eher Vorschub als Rückgang der Sache des deutschen Socialismus zu erwarten. So lange die bisherigen Männer an der Spitze der Bewegung standen, war von derselben Nichts zu fürchten, denn diese Männer bewiesen bei jeder Gelegenheit, daß ihnen alle die Eigenschaften fehlten, deren es zu erfolgreicher Demagogie bedarf; schon als Leute, die eigentlich der Bourgeoisie angehörten, hatten sie bei dem Arbeiterstande keinen eigentlichen Boden, und Vertrauen in ihre Redlichkeit und Ueberzeugung haben sie bei Niemand zu erwerben verstanden. Von der Vormundschaft dieser Schwätzer frei geworden. wird die Arbeiterbewegung brutalere Formen gewinnen, die Phrasen und Theorien von ihrem Programm streichen und sich wesentlich auf die Cultivirung des Feldes legen, auf dem sie ihre Existenz bisher am fühlbarsten geltend gemacht hat — das Feld der Strikes, die mit den Lassalleschen Ideen zwar nichts zu thun haben, aber sehr viel einschneidender und imposanter wirken, als hochtönende Resolutionen und theoretische Beschlüsse. Diese Strikes. die gegenwärtig in einer ganzen Reihe norddeutscher Städte chronisch geworden sind, gewöhnen die betheiligten Classen an beständigen Kampf mit den Arbeitgebern, eine systematischen Feindschaft gegen das Capital. Taucht einmal ein ächter Demagog? auf, so findet er den Boden ungleich besser bearbeitet vor, als wenn die Apostel Lassalles noch ein halbes Jahrzehnt das große Wort geführt und die Noth ihrer Anhänger mit Anweisungen aus die Casse des künftigen Arbeiterstaats zu beschwören versucht hätten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/184>, abgerufen am 28.09.2024.