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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Niemand mehr gedacht wird. Auf die politische Parteistellung im Reichs¬
tage hat der Gegensatz der materiellen Interessen, der im Zollparlament
das große Wort führte, nur verwirrend gewirkt. Und die Lage des Reichs¬
tags war an und für sich peinlich und schwierig genug. Das Verhältniß
desselben zum Bundeskanzler ist seit der Ablehnung der Steuervorlagen
nicht mehr von diesem Körper selbst, sondern von den Resultaten des
bevorstehenden Landtags abhängig. Findet die Finanznoth der Regierung
keine Abhilfe, so sind neue Steuervorlagen an den Reichstag unvermeidlich
und diese können nur dazu führen, die bereits vorhandene Kluft zu erwei¬
tern. Wenn uns gar, wie in den letzten Tagen geschehen ist, gesagt wird,
daß es mit dem Deficit gar nicht so schlimm sei. als es von Herrn v. d. Heste,
bei dessen lakonischer Einbringung der Vorlagen gemacht worden, daß die Ein¬
nahmen sich in unerwarteter Weise gehoben und die Voranschläge überschritten
hätten, so kann das die Lage nur erschweren, nicht erleichtern und die Volks¬
vertretung in der Meinung bestärken, daß sie keine Steuern bewilligen darf,
ehe ihr voller Einblick in die Finanzverhältnisse, ehe ihr die Möglichkeit
geboten worden, die Verwendungen zu controlliren. Eine Finanzverwaltung,
die je nach den wechselnden Bedürfnissen des Tages Muthlosigkeit oder Zu¬
versicht, üble oder gute Laune zeigt, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn
man ihr mißtrauisch entgegentritt, zumal wenn sie im Dienst einer inneren
Politik steht, die nicht nur die Majorität gegen sich, sondern gar keine Partei
hinter sich hat. -- Dieser innern Politik, die in den letzten Jahren wesentlich
von dem Succurs gelebt hat, welcher ihr durch die Erfolge der nationalen
Staatskunst des Bundeskanzlers geboten wurde, ist in dem abgelaufenen
Monat zugemuthet worden, wenigstens für einige Zeit auf eigenen Füßen
zu stehen. Graf Bismarck hat sich von dem Amte des preußischen Minister¬
präsidenten förmlich beurlauben lassen und wie die Offiziösen übereinstimmend
berichten, wird dieser Urlaub bis über die Eröffnung des Landtags hinaus
dauern und die Herren v. d. Heydt, v. Muster, v. Eulenburg u. s. w. für
die bevorstehende parlamentarische Campagne auf sich selbst und ihre eigenen
Kräfte anweisen. Wem bewiesen werden soll, daß Graf Bismarck für den
preußischen Staat unentbehrlich ist, ob der Opposition, ob dem Ministerium
selbst, ist zunächst noch dahin gestellt. Vom Standpunkte der preußischen
Opposition aus, mag die erschwerte Stellung des in eine Anzahl zusammen¬
hangsloser Theile aufgelösten Cabinets als Vortheil erscheinen, weil sie dem
nächsten Landtage die Erfüllung seiner Pflicht wesentlich erleichtert -- wir, die
wir die Sache nach ihrer Wirkung auf das außerpreußische Deutschland be¬
urtheilen, können in dem zeitweise" Ausscheiden des Ministerpräsidenten nur
eine neue Calamität, eine Erschwerung der ohnehin unbehaglichen Lage sehen.
Die Dinge liegen einmal so, daß das Geschick des preußischen Staats und


Niemand mehr gedacht wird. Auf die politische Parteistellung im Reichs¬
tage hat der Gegensatz der materiellen Interessen, der im Zollparlament
das große Wort führte, nur verwirrend gewirkt. Und die Lage des Reichs¬
tags war an und für sich peinlich und schwierig genug. Das Verhältniß
desselben zum Bundeskanzler ist seit der Ablehnung der Steuervorlagen
nicht mehr von diesem Körper selbst, sondern von den Resultaten des
bevorstehenden Landtags abhängig. Findet die Finanznoth der Regierung
keine Abhilfe, so sind neue Steuervorlagen an den Reichstag unvermeidlich
und diese können nur dazu führen, die bereits vorhandene Kluft zu erwei¬
tern. Wenn uns gar, wie in den letzten Tagen geschehen ist, gesagt wird,
daß es mit dem Deficit gar nicht so schlimm sei. als es von Herrn v. d. Heste,
bei dessen lakonischer Einbringung der Vorlagen gemacht worden, daß die Ein¬
nahmen sich in unerwarteter Weise gehoben und die Voranschläge überschritten
hätten, so kann das die Lage nur erschweren, nicht erleichtern und die Volks¬
vertretung in der Meinung bestärken, daß sie keine Steuern bewilligen darf,
ehe ihr voller Einblick in die Finanzverhältnisse, ehe ihr die Möglichkeit
geboten worden, die Verwendungen zu controlliren. Eine Finanzverwaltung,
die je nach den wechselnden Bedürfnissen des Tages Muthlosigkeit oder Zu¬
versicht, üble oder gute Laune zeigt, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn
man ihr mißtrauisch entgegentritt, zumal wenn sie im Dienst einer inneren
Politik steht, die nicht nur die Majorität gegen sich, sondern gar keine Partei
hinter sich hat. — Dieser innern Politik, die in den letzten Jahren wesentlich
von dem Succurs gelebt hat, welcher ihr durch die Erfolge der nationalen
Staatskunst des Bundeskanzlers geboten wurde, ist in dem abgelaufenen
Monat zugemuthet worden, wenigstens für einige Zeit auf eigenen Füßen
zu stehen. Graf Bismarck hat sich von dem Amte des preußischen Minister¬
präsidenten förmlich beurlauben lassen und wie die Offiziösen übereinstimmend
berichten, wird dieser Urlaub bis über die Eröffnung des Landtags hinaus
dauern und die Herren v. d. Heydt, v. Muster, v. Eulenburg u. s. w. für
die bevorstehende parlamentarische Campagne auf sich selbst und ihre eigenen
Kräfte anweisen. Wem bewiesen werden soll, daß Graf Bismarck für den
preußischen Staat unentbehrlich ist, ob der Opposition, ob dem Ministerium
selbst, ist zunächst noch dahin gestellt. Vom Standpunkte der preußischen
Opposition aus, mag die erschwerte Stellung des in eine Anzahl zusammen¬
hangsloser Theile aufgelösten Cabinets als Vortheil erscheinen, weil sie dem
nächsten Landtage die Erfüllung seiner Pflicht wesentlich erleichtert — wir, die
wir die Sache nach ihrer Wirkung auf das außerpreußische Deutschland be¬
urtheilen, können in dem zeitweise» Ausscheiden des Ministerpräsidenten nur
eine neue Calamität, eine Erschwerung der ohnehin unbehaglichen Lage sehen.
Die Dinge liegen einmal so, daß das Geschick des preußischen Staats und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/182>, abgerufen am 05.02.2025.