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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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in Madrid lagerten Centralausschuß einheitlich geleitet wird. -- Die Verwirrung
der Gemüther in Spanien droht bereits das benachbarte Portugal anzustecken.
Seit der Ministerkrifis in Lissabon ist die Bevölkerung in eine gewisse Gährung
gerathen und aus Madeira wird von einer republikanischen Bewegung be¬
richtet, die bereits die Absendung von Truppen nothwendig gemacht hat.

Wenig besser sieht es in Italien aus, wo der Finanzminister Cambray-Digny
um seine Existenz kämpft und durch Menabrea nur mühsam auf seinein Posten
zurück gehalten wird. Trotzdem, daß die von der Kammer angeordnete Unter¬
suchung über angebliche Bestechungen in der Tabaksangelegenheit resultatlos
geblieben ist, dauert die Erregung der Gemüther in der Hauptstadt und den
Provinzen fort und kann die Regierung es zu keiner festen Position bringen.
Ueber die von Baiern beantragten Collectivschritte gegen Ausschreitungen des
bevorstehenden ökumenischen Concils ist Menabrea noch nicht schlüssig ge¬
worden, doch hat er seine Geneigtheit deutlicher als bisher bekundet. In
Rom scheint man entschlossen, aus dem bisherigen Wege weitergehen und
lieber ohne jede Betheiligung der Regierungen tagen, als sich durch Mitthei¬
lungen über die Vorlagen die Hände binden zu wollen. Auf eine vollständige
Vertretung des Episcopats wird Pius IX. übrigens verzichten müssen, da
nahezu die Hälfte der geladenen Kirchenfürsten theils wegen ihnen bereiteter
Schwierigkeiten, theils wegen eigener Bedenken dem Concil fern bleiben
wird. Das Sekretariat hat Fehler, der Bischof von Se. Pölten, die Leitung
der Section zur Vorberathung staatsrechtlicher Fragen Cardinal Reischach
übernommen; im Uebrigen weiß man schon jetzt, daß das italienische Epis-
copat die übrigen Elemente numerisch überragen und das eigentlich aus¬
schlaggebende sein wird.

Bei uns in Deutschland herrscht seit dem Schluß des Zollparlaments
und des Reichstages eine ziemlich vollständige politische Windstille. Aber
das Gefühl des Unbehagens, welches von den letzten Verhandlungen dieser
Körper zurückgeblieben ist, nimmt eher zu als ab. Zwar machen die dem
neuen Bundesstaat feindlichen Parteien weniger als jemals von sich reden
und scheint selbst der welfische Legitismus an Lust und Kraft für die Agita¬
tion beträchtlich eingebüßt zu haben; die Organe des vaterlandsfeindlichen
Particularismus ergehen sich in Phantastereien so kindischer Art, daß Schlüsse
auf ihre Erschöpfung und auf die Verzweiflung an. der eigenen Sache den
eigenen Anhängern nahe gelegt sind. Dafür nehmen aber auch in den
nationalen Kreisen Verstimmung und Indifferenz sichtlich zu. Das aber¬
malige Scheitern der Tarifreform hat den Glauben an die Brauchbar¬
keit des Zollparlaments, mit dem es schon seit Jahr und Tag nicht
mehr weit her ist, vollends erschüttert, dessen zu geschweigen. daß an
die Möglichlichkeit einer Competenzerweiterung dieses Parlaments von


in Madrid lagerten Centralausschuß einheitlich geleitet wird. — Die Verwirrung
der Gemüther in Spanien droht bereits das benachbarte Portugal anzustecken.
Seit der Ministerkrifis in Lissabon ist die Bevölkerung in eine gewisse Gährung
gerathen und aus Madeira wird von einer republikanischen Bewegung be¬
richtet, die bereits die Absendung von Truppen nothwendig gemacht hat.

Wenig besser sieht es in Italien aus, wo der Finanzminister Cambray-Digny
um seine Existenz kämpft und durch Menabrea nur mühsam auf seinein Posten
zurück gehalten wird. Trotzdem, daß die von der Kammer angeordnete Unter¬
suchung über angebliche Bestechungen in der Tabaksangelegenheit resultatlos
geblieben ist, dauert die Erregung der Gemüther in der Hauptstadt und den
Provinzen fort und kann die Regierung es zu keiner festen Position bringen.
Ueber die von Baiern beantragten Collectivschritte gegen Ausschreitungen des
bevorstehenden ökumenischen Concils ist Menabrea noch nicht schlüssig ge¬
worden, doch hat er seine Geneigtheit deutlicher als bisher bekundet. In
Rom scheint man entschlossen, aus dem bisherigen Wege weitergehen und
lieber ohne jede Betheiligung der Regierungen tagen, als sich durch Mitthei¬
lungen über die Vorlagen die Hände binden zu wollen. Auf eine vollständige
Vertretung des Episcopats wird Pius IX. übrigens verzichten müssen, da
nahezu die Hälfte der geladenen Kirchenfürsten theils wegen ihnen bereiteter
Schwierigkeiten, theils wegen eigener Bedenken dem Concil fern bleiben
wird. Das Sekretariat hat Fehler, der Bischof von Se. Pölten, die Leitung
der Section zur Vorberathung staatsrechtlicher Fragen Cardinal Reischach
übernommen; im Uebrigen weiß man schon jetzt, daß das italienische Epis-
copat die übrigen Elemente numerisch überragen und das eigentlich aus¬
schlaggebende sein wird.

Bei uns in Deutschland herrscht seit dem Schluß des Zollparlaments
und des Reichstages eine ziemlich vollständige politische Windstille. Aber
das Gefühl des Unbehagens, welches von den letzten Verhandlungen dieser
Körper zurückgeblieben ist, nimmt eher zu als ab. Zwar machen die dem
neuen Bundesstaat feindlichen Parteien weniger als jemals von sich reden
und scheint selbst der welfische Legitismus an Lust und Kraft für die Agita¬
tion beträchtlich eingebüßt zu haben; die Organe des vaterlandsfeindlichen
Particularismus ergehen sich in Phantastereien so kindischer Art, daß Schlüsse
auf ihre Erschöpfung und auf die Verzweiflung an. der eigenen Sache den
eigenen Anhängern nahe gelegt sind. Dafür nehmen aber auch in den
nationalen Kreisen Verstimmung und Indifferenz sichtlich zu. Das aber¬
malige Scheitern der Tarifreform hat den Glauben an die Brauchbar¬
keit des Zollparlaments, mit dem es schon seit Jahr und Tag nicht
mehr weit her ist, vollends erschüttert, dessen zu geschweigen. daß an
die Möglichlichkeit einer Competenzerweiterung dieses Parlaments von


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[0181] in Madrid lagerten Centralausschuß einheitlich geleitet wird. — Die Verwirrung der Gemüther in Spanien droht bereits das benachbarte Portugal anzustecken. Seit der Ministerkrifis in Lissabon ist die Bevölkerung in eine gewisse Gährung gerathen und aus Madeira wird von einer republikanischen Bewegung be¬ richtet, die bereits die Absendung von Truppen nothwendig gemacht hat. Wenig besser sieht es in Italien aus, wo der Finanzminister Cambray-Digny um seine Existenz kämpft und durch Menabrea nur mühsam auf seinein Posten zurück gehalten wird. Trotzdem, daß die von der Kammer angeordnete Unter¬ suchung über angebliche Bestechungen in der Tabaksangelegenheit resultatlos geblieben ist, dauert die Erregung der Gemüther in der Hauptstadt und den Provinzen fort und kann die Regierung es zu keiner festen Position bringen. Ueber die von Baiern beantragten Collectivschritte gegen Ausschreitungen des bevorstehenden ökumenischen Concils ist Menabrea noch nicht schlüssig ge¬ worden, doch hat er seine Geneigtheit deutlicher als bisher bekundet. In Rom scheint man entschlossen, aus dem bisherigen Wege weitergehen und lieber ohne jede Betheiligung der Regierungen tagen, als sich durch Mitthei¬ lungen über die Vorlagen die Hände binden zu wollen. Auf eine vollständige Vertretung des Episcopats wird Pius IX. übrigens verzichten müssen, da nahezu die Hälfte der geladenen Kirchenfürsten theils wegen ihnen bereiteter Schwierigkeiten, theils wegen eigener Bedenken dem Concil fern bleiben wird. Das Sekretariat hat Fehler, der Bischof von Se. Pölten, die Leitung der Section zur Vorberathung staatsrechtlicher Fragen Cardinal Reischach übernommen; im Uebrigen weiß man schon jetzt, daß das italienische Epis- copat die übrigen Elemente numerisch überragen und das eigentlich aus¬ schlaggebende sein wird. Bei uns in Deutschland herrscht seit dem Schluß des Zollparlaments und des Reichstages eine ziemlich vollständige politische Windstille. Aber das Gefühl des Unbehagens, welches von den letzten Verhandlungen dieser Körper zurückgeblieben ist, nimmt eher zu als ab. Zwar machen die dem neuen Bundesstaat feindlichen Parteien weniger als jemals von sich reden und scheint selbst der welfische Legitismus an Lust und Kraft für die Agita¬ tion beträchtlich eingebüßt zu haben; die Organe des vaterlandsfeindlichen Particularismus ergehen sich in Phantastereien so kindischer Art, daß Schlüsse auf ihre Erschöpfung und auf die Verzweiflung an. der eigenen Sache den eigenen Anhängern nahe gelegt sind. Dafür nehmen aber auch in den nationalen Kreisen Verstimmung und Indifferenz sichtlich zu. Das aber¬ malige Scheitern der Tarifreform hat den Glauben an die Brauchbar¬ keit des Zollparlaments, mit dem es schon seit Jahr und Tag nicht mehr weit her ist, vollends erschüttert, dessen zu geschweigen. daß an die Möglichlichkeit einer Competenzerweiterung dieses Parlaments von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/181>, abgerufen am 05.02.2025.