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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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und 19. Juni entschied wider viles Erwarten die principielle Annahme
des neuen Gesetzes und jetzt wurde der Triumph Gladstones als bereits
entschieden verkündet. Als aber die Lords bei der Specialdiscusfion eine
ganze Reihe wichtiger Amendements einbrachten und namentlich den Satz
gestrichen sehen wollten, welcher die Ueberschüsse der der bisherigen Staats¬
kirche zuständigen Einnahmen ausschließlich zu nicht kirchlichen Zwecken
bestimmte, gewann der Pessimismus nochmals die Oberhand und wurden aufs
Neue Scheitern der Bill, Conflict der beiden Häuser, Einberufung einer Herbst¬
session u. f. w. an die Wand gemalt. In der elften Stunde trat dann
abermals eine unerwartete Wendung ein: Gemeine und Lords einigten sich
in der Srille über die an der Bill vorzunehmenden Aenderungen, Gladstone
setzte seinen Wunsch, die Ueberschüsse zu nicht kirchlichen Zwecken verwandt
zu sehen mit Hilfe einer klug formulirten Clausel durch und der "Conflict"
war ausgeglichen, noch bevor er erklärt war. Unnachgiebiger hat die Pairie
sich in der Frage nach Abschaffung des Testeides sür die beiden alten Uni¬
versitäten bewiesen; übrigens liegt die Vermuthung nah, daß die Ablehnung
nicht sowohl der Sache selbst, als der Verschwommenheit des Glaubens¬
bekenntnisses galt, welches den alten Eid ersetzen sollte. -- Die Alabama An¬
gelegenheit ist noch in der Schwebe und wird wahrscheinlich erst im nächsten
Jahre wieder in Wendung kommen, da dem Schluß des Parlaments eine
halbjährige Ruhezeit folgen soll; Gladstones Weigerung auf die Jnterpella¬
tion Henry Bulwers einzugehen, legt die Vermuthung nah, daß neue Ver¬
handlungen zwischen den beiden Regierungen bereits wieder im Gange sind.

In Spanten, das seine Cortesversammlung am 13. d. M. auf vier
Monate vertagte, hat die Zersetzung der neu geschaffenen Verhältnisse ihren
unaufhaltsamen Fortgang genommen. Das nach Erlaß des Regentschafts¬
gesetzes gebildete Ministerium hat ^sich wiederholt umgestalten müssen und
krankt auch in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung an der Uneinigkeit
und dem gegenseitigen Mißtrauen seiner Glieder, von denen jedes seine
Specialpolitik und seinen speciellen Ehrgeiz hat. Herrera, der Justizminister,
hat auf Andrängen der monarchischen Demokraten zurücktreten müssen, Fi-
guerala und Prim vertrugen sich so schlecht, daß der erstere, nachdem er be¬
reits wiederholt mit seinem Abschied gedroht hatte, zurücktrat und durch
Ardcmaz ersetzt wurde, Rivero, der Präsident der Cortes, steht in offenem
Gegensatz gegen das gesammte Ministerium. Die Schwäche und Zerfahren¬
heit der Negierung hat den Muth der karlistischen und republikanischen Parteien
gehoben; die erstere versucht sich in,it einer Reihe von bis jetzt verunglückten
Schilderhebungen, an denen, wie es heißt, der Prätendent Don Carlos per¬
sönlichen Antheil genommen hat, die Republikaner bilden eine Liga, die sich
allmälig über die ganze Halbinsel verbreitet und neuerdings durch einen


und 19. Juni entschied wider viles Erwarten die principielle Annahme
des neuen Gesetzes und jetzt wurde der Triumph Gladstones als bereits
entschieden verkündet. Als aber die Lords bei der Specialdiscusfion eine
ganze Reihe wichtiger Amendements einbrachten und namentlich den Satz
gestrichen sehen wollten, welcher die Ueberschüsse der der bisherigen Staats¬
kirche zuständigen Einnahmen ausschließlich zu nicht kirchlichen Zwecken
bestimmte, gewann der Pessimismus nochmals die Oberhand und wurden aufs
Neue Scheitern der Bill, Conflict der beiden Häuser, Einberufung einer Herbst¬
session u. f. w. an die Wand gemalt. In der elften Stunde trat dann
abermals eine unerwartete Wendung ein: Gemeine und Lords einigten sich
in der Srille über die an der Bill vorzunehmenden Aenderungen, Gladstone
setzte seinen Wunsch, die Ueberschüsse zu nicht kirchlichen Zwecken verwandt
zu sehen mit Hilfe einer klug formulirten Clausel durch und der „Conflict"
war ausgeglichen, noch bevor er erklärt war. Unnachgiebiger hat die Pairie
sich in der Frage nach Abschaffung des Testeides sür die beiden alten Uni¬
versitäten bewiesen; übrigens liegt die Vermuthung nah, daß die Ablehnung
nicht sowohl der Sache selbst, als der Verschwommenheit des Glaubens¬
bekenntnisses galt, welches den alten Eid ersetzen sollte. — Die Alabama An¬
gelegenheit ist noch in der Schwebe und wird wahrscheinlich erst im nächsten
Jahre wieder in Wendung kommen, da dem Schluß des Parlaments eine
halbjährige Ruhezeit folgen soll; Gladstones Weigerung auf die Jnterpella¬
tion Henry Bulwers einzugehen, legt die Vermuthung nah, daß neue Ver¬
handlungen zwischen den beiden Regierungen bereits wieder im Gange sind.

In Spanten, das seine Cortesversammlung am 13. d. M. auf vier
Monate vertagte, hat die Zersetzung der neu geschaffenen Verhältnisse ihren
unaufhaltsamen Fortgang genommen. Das nach Erlaß des Regentschafts¬
gesetzes gebildete Ministerium hat ^sich wiederholt umgestalten müssen und
krankt auch in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung an der Uneinigkeit
und dem gegenseitigen Mißtrauen seiner Glieder, von denen jedes seine
Specialpolitik und seinen speciellen Ehrgeiz hat. Herrera, der Justizminister,
hat auf Andrängen der monarchischen Demokraten zurücktreten müssen, Fi-
guerala und Prim vertrugen sich so schlecht, daß der erstere, nachdem er be¬
reits wiederholt mit seinem Abschied gedroht hatte, zurücktrat und durch
Ardcmaz ersetzt wurde, Rivero, der Präsident der Cortes, steht in offenem
Gegensatz gegen das gesammte Ministerium. Die Schwäche und Zerfahren¬
heit der Negierung hat den Muth der karlistischen und republikanischen Parteien
gehoben; die erstere versucht sich in,it einer Reihe von bis jetzt verunglückten
Schilderhebungen, an denen, wie es heißt, der Prätendent Don Carlos per¬
sönlichen Antheil genommen hat, die Republikaner bilden eine Liga, die sich
allmälig über die ganze Halbinsel verbreitet und neuerdings durch einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/180>, abgerufen am 29.09.2024.