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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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religiöse Instincte, nicht Principien durchschlagend und die Vergeblichkeit-
der Smolkaschen Rundreise durch die ostgalizischen Städte kann schon
gegenwärtig für unterschrieben gelten. -- An der Südgrenze der ungarisch¬
östreichischen Monarchie, in Serbien, hat die Volksvertretung eine neue Ver¬
fassung votirt, die sogleich eingeführt worden ist. Die Verhandlungen sind
dieses Mal stiller und discreter geführt worden, als früher, wo die Skup-
tschina es in der Regel für ihre Hauptaufgabe hielt, möglichst viel nationalen
Staub aufzuwirbeln, die Aufmerksamkeit der in den beiden Nachbarstaaten
lebenden Serben zu erregen und der Welt zu beweisen, daß der großserbische
Gedanke nicht aufgegeben, sondern nur vertagt sei. Die gegenwärtige Re¬
gierung scheint ein anderes Programm befolgen und sich auf ihre häuslichen
Angelegenheiten beschränken zu wollen; seit sie die Führung der Geschäfte
übernommen, sind die Besorgnisse verstummt, welche noch vor anderthalb
Jahren weit verbreitet waren und in Constantinopel besonders ernst genom¬
men wurden.

Auch in Rumänien ist seit dem mißglückter Attentat auf den Minister
Cogolnitscheano die Ruhe nicht wieder gestört worden. Seit der Pariser
Conferenz hat die Pforte sich auf ihrem eigenen Gebiet wie in den
europäischen Vasallenstaaten überhaupt einer Ruhe zu erfreuen gehabt, wie
sie ihr lange nicht zu Theil geworden war. Auch der griechisch-bulgarische
Kirchenstreit hat nach den neuesten russischen Nachrichten eine Wendung ge¬
nommen, wie sie der Regierung des Sultans nur erwünscht sein kann. Be¬
kanntlich nähren die Bulgaren schon lange den Wunsch der Unterordnung
unter die griechische Kirche und Geistlichkeit, welcher sie sich seit Jahrhunder¬
ten fügen mußten, ledig zu werden; sie verlangen, daß der Gottesdienst aus¬
schließlich in ihrer Sprache gehalten werde, daß sie ihre Geistlichen selbst
wählen dürfen, daß in den von ihnen bewohnten Bezirken die Bischöfe von
einer bulgarischen Synode und zwar aus der specifisch bulgarischen Geistlichkeit
ernannt und bloß durch den Sultan (nicht den Patriarchen) bestätigt werden
sollen u. s. w. -- kurz, vollständige Emancipation und Gleichstellung mit den
Griechen. Diese Vorschläge wurden von dem Patriarchen Gregorius von
Constantinopel verworfen, obgleich die türkische Regierung dieselben moralisch
unterstützt und ihre Annahme empfohlen hatte. Natürlich wurden bulgari¬
scher Seits die Gegenvorschläge des Patriarchen gleichfalls verworfen und die
Spannung der Gemüther erreichte einen so hohen Grad, daß in den bulgari¬
schen Kirchen bereits für den Sultan, als den Befreier des Bulgarenvolkes von
dem griechischen Joche gebetet wurde. In dieser Verlegenheit und aus Aerger
über die Parteinahme der Pforte für die bulgarische Sache, wandte der Patriarch
sich auf den Rath des russischen G esandten Jgnatjew an, die höchste
russische Kirchenbehörde, den spröd zu Petersburg, um derselben die Ein-


religiöse Instincte, nicht Principien durchschlagend und die Vergeblichkeit-
der Smolkaschen Rundreise durch die ostgalizischen Städte kann schon
gegenwärtig für unterschrieben gelten. — An der Südgrenze der ungarisch¬
östreichischen Monarchie, in Serbien, hat die Volksvertretung eine neue Ver¬
fassung votirt, die sogleich eingeführt worden ist. Die Verhandlungen sind
dieses Mal stiller und discreter geführt worden, als früher, wo die Skup-
tschina es in der Regel für ihre Hauptaufgabe hielt, möglichst viel nationalen
Staub aufzuwirbeln, die Aufmerksamkeit der in den beiden Nachbarstaaten
lebenden Serben zu erregen und der Welt zu beweisen, daß der großserbische
Gedanke nicht aufgegeben, sondern nur vertagt sei. Die gegenwärtige Re¬
gierung scheint ein anderes Programm befolgen und sich auf ihre häuslichen
Angelegenheiten beschränken zu wollen; seit sie die Führung der Geschäfte
übernommen, sind die Besorgnisse verstummt, welche noch vor anderthalb
Jahren weit verbreitet waren und in Constantinopel besonders ernst genom¬
men wurden.

Auch in Rumänien ist seit dem mißglückter Attentat auf den Minister
Cogolnitscheano die Ruhe nicht wieder gestört worden. Seit der Pariser
Conferenz hat die Pforte sich auf ihrem eigenen Gebiet wie in den
europäischen Vasallenstaaten überhaupt einer Ruhe zu erfreuen gehabt, wie
sie ihr lange nicht zu Theil geworden war. Auch der griechisch-bulgarische
Kirchenstreit hat nach den neuesten russischen Nachrichten eine Wendung ge¬
nommen, wie sie der Regierung des Sultans nur erwünscht sein kann. Be¬
kanntlich nähren die Bulgaren schon lange den Wunsch der Unterordnung
unter die griechische Kirche und Geistlichkeit, welcher sie sich seit Jahrhunder¬
ten fügen mußten, ledig zu werden; sie verlangen, daß der Gottesdienst aus¬
schließlich in ihrer Sprache gehalten werde, daß sie ihre Geistlichen selbst
wählen dürfen, daß in den von ihnen bewohnten Bezirken die Bischöfe von
einer bulgarischen Synode und zwar aus der specifisch bulgarischen Geistlichkeit
ernannt und bloß durch den Sultan (nicht den Patriarchen) bestätigt werden
sollen u. s. w. — kurz, vollständige Emancipation und Gleichstellung mit den
Griechen. Diese Vorschläge wurden von dem Patriarchen Gregorius von
Constantinopel verworfen, obgleich die türkische Regierung dieselben moralisch
unterstützt und ihre Annahme empfohlen hatte. Natürlich wurden bulgari¬
scher Seits die Gegenvorschläge des Patriarchen gleichfalls verworfen und die
Spannung der Gemüther erreichte einen so hohen Grad, daß in den bulgari¬
schen Kirchen bereits für den Sultan, als den Befreier des Bulgarenvolkes von
dem griechischen Joche gebetet wurde. In dieser Verlegenheit und aus Aerger
über die Parteinahme der Pforte für die bulgarische Sache, wandte der Patriarch
sich auf den Rath des russischen G esandten Jgnatjew an, die höchste
russische Kirchenbehörde, den spröd zu Petersburg, um derselben die Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/175>, abgerufen am 29.09.2024.