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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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berufung eines griechisch-rechtgläubigen Concils vorzuschlagen und diesem die
Erledigung des griechisch-bulgarischen Kirchenstreits anheim zu stellen. Der
spröd (dessen Abhängigkeit von der Regierung, beziehungsweise seinem vom
Kaiser ernannten Oberprocureur ^gegenwärtig der Unterrichtsminister Graf
Tolstoy) notorisch ist) schwankte längere Zeit mit seiner Antwort; fiel dieselbe
im Sinne des Patriarchen aus, so konnten der Pforte ernsthafte Verlegen¬
heiten bereitet werden, denn die pcmslavistischen Wortführer waren längst darüber
einig, daß das Concil nur in Rußland und zwar in Kiew, der Wiege der rus¬
sischen Kirche, abgehalten werden dürfe und daß diese Gelegenheit im Sinne
und Interesse des orientalischen Christenthums ausgebeutet werden müsse.

Aber dieser Kelch ist an Abdul-Aziz und dessen Ministern glücklich vor¬
übergegangen. In seiner neuerdings erfolgten Antwort spricht der russische
spröd sich wider Erwarten gegen die Wünsche Jgnatjews und des Patriar¬
chen aus; das Concil -- so heißt es in der Antwort -- sei zur Zeit nicht
rathsam, da dasselbe für den Fall bulgarischer Unnachgiebigkeit zu einer Kirchen¬
spaltung führen könne, der Patriarch möge darum nicht müde werden, mit
den Bulgaren in versöhnlicher Weise zu unterhandeln u. f. w. Da auch
die Bulgaren sich mit dem Gedanken einer Entscheidung durch das zu be¬
rufende allgemeine Concil einverstanden erklärt hatten und die Zustimmung
der griechisch-orthodoxen Synoden von Athen. Belgrad, Bukarest und Kar-
lowitz ohne große Mühe zu beschaffen gewesen wären, so lag die Sache aus¬
schließlich in der Hand Rußlands und der Sultan hat allen Grund, mit der
vorläufigen Ablehnung der Petersburger Oberkirchenbehörde zufrieden zu
sein. -- Die Streitigkeiten der Pforte mit dem Vicekönig von Aegypten
sind dagegen noch nicht ausgeglichen. Der Sultan sieht in den von Aegypten
projectirten Handelsverträgen ebenso eine Verletzung des Einsetzungs-Fermans,
wie in jenen Einladungen zur Eröffnung des Suezkanals, welche das "Jour¬
nal de Turquie" als ungiltig und unberechtigt bezeichnet hat. Der Ent¬
schluß der Pforte, die Aufhebung der Capitulationen auf dem einen oder
dem anderen Wege durchzusetzen, scheint trotz der bekannten Abneigung
Rußlands gegen den bloßen Gedanken an eine solche Concession, ernst¬
lich gefaßt zu sein; die türkische Denkschrift, welche die UnHaltbarkeit des
gegenwärtigen Zustandes ausführlich erörtert, ist den Großmächten be¬
reits übergeben und hat alle Aussicht, wenigstens von Oestreich und
England berücksichtigt zu werden. Von analogen neueren Schritten des
Vicekönigs, der die Abschaffung der Consulargerichtsbarkeit gleichfalls seit
längerer Zeit betreibt und besonderes Interesse daran hat, der Pforte
den Vorsprung abzugewinnen, -- ist in letzter Zeit Nichts bekannt ge¬
worden. Bei der Abhängigkeit des Khedive von dem Wohl- oder Uebel¬
wollen der Westmächte, ist übrigens wenig wahrscheinlich, daß die Differenzen


berufung eines griechisch-rechtgläubigen Concils vorzuschlagen und diesem die
Erledigung des griechisch-bulgarischen Kirchenstreits anheim zu stellen. Der
spröd (dessen Abhängigkeit von der Regierung, beziehungsweise seinem vom
Kaiser ernannten Oberprocureur ^gegenwärtig der Unterrichtsminister Graf
Tolstoy) notorisch ist) schwankte längere Zeit mit seiner Antwort; fiel dieselbe
im Sinne des Patriarchen aus, so konnten der Pforte ernsthafte Verlegen¬
heiten bereitet werden, denn die pcmslavistischen Wortführer waren längst darüber
einig, daß das Concil nur in Rußland und zwar in Kiew, der Wiege der rus¬
sischen Kirche, abgehalten werden dürfe und daß diese Gelegenheit im Sinne
und Interesse des orientalischen Christenthums ausgebeutet werden müsse.

Aber dieser Kelch ist an Abdul-Aziz und dessen Ministern glücklich vor¬
übergegangen. In seiner neuerdings erfolgten Antwort spricht der russische
spröd sich wider Erwarten gegen die Wünsche Jgnatjews und des Patriar¬
chen aus; das Concil — so heißt es in der Antwort — sei zur Zeit nicht
rathsam, da dasselbe für den Fall bulgarischer Unnachgiebigkeit zu einer Kirchen¬
spaltung führen könne, der Patriarch möge darum nicht müde werden, mit
den Bulgaren in versöhnlicher Weise zu unterhandeln u. f. w. Da auch
die Bulgaren sich mit dem Gedanken einer Entscheidung durch das zu be¬
rufende allgemeine Concil einverstanden erklärt hatten und die Zustimmung
der griechisch-orthodoxen Synoden von Athen. Belgrad, Bukarest und Kar-
lowitz ohne große Mühe zu beschaffen gewesen wären, so lag die Sache aus¬
schließlich in der Hand Rußlands und der Sultan hat allen Grund, mit der
vorläufigen Ablehnung der Petersburger Oberkirchenbehörde zufrieden zu
sein. — Die Streitigkeiten der Pforte mit dem Vicekönig von Aegypten
sind dagegen noch nicht ausgeglichen. Der Sultan sieht in den von Aegypten
projectirten Handelsverträgen ebenso eine Verletzung des Einsetzungs-Fermans,
wie in jenen Einladungen zur Eröffnung des Suezkanals, welche das „Jour¬
nal de Turquie" als ungiltig und unberechtigt bezeichnet hat. Der Ent¬
schluß der Pforte, die Aufhebung der Capitulationen auf dem einen oder
dem anderen Wege durchzusetzen, scheint trotz der bekannten Abneigung
Rußlands gegen den bloßen Gedanken an eine solche Concession, ernst¬
lich gefaßt zu sein; die türkische Denkschrift, welche die UnHaltbarkeit des
gegenwärtigen Zustandes ausführlich erörtert, ist den Großmächten be¬
reits übergeben und hat alle Aussicht, wenigstens von Oestreich und
England berücksichtigt zu werden. Von analogen neueren Schritten des
Vicekönigs, der die Abschaffung der Consulargerichtsbarkeit gleichfalls seit
längerer Zeit betreibt und besonderes Interesse daran hat, der Pforte
den Vorsprung abzugewinnen, — ist in letzter Zeit Nichts bekannt ge¬
worden. Bei der Abhängigkeit des Khedive von dem Wohl- oder Uebel¬
wollen der Westmächte, ist übrigens wenig wahrscheinlich, daß die Differenzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/176>, abgerufen am 29.09.2024.