Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.ten. Die stillen Wünsche des Reichskanzlers für das Zustandekommen des Seit dem Schluß des ungarischen Landtags und jener leidenschaftlichen ten. Die stillen Wünsche des Reichskanzlers für das Zustandekommen des Seit dem Schluß des ungarischen Landtags und jener leidenschaftlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121395"/> <p xml:id="ID_538" prev="#ID_537"> ten. Die stillen Wünsche des Reichskanzlers für das Zustandekommen des<lb/> Südbundes, die in der neuesten Sammlung diplomatischer Actenstücke ausdrücklich<lb/> zugestanden werden und die k. k. Beurtheilung der belgisch-französischen Wechsel¬<lb/> beziehungen haben zum Ueberfluß bestätigt, was unbefangene Zuschauer der<lb/> neuesten östreichischen Aera längst wußten: daß des Grafen Beust sogenannte<lb/> liberale innere Politik nur Mittel zum Zweck ist und daß Oestreich die erste<lb/> sich ihm darbietende Gelegenheit benutzen wird, um genau da anzuknüpfen,<lb/> wo es im Jahre 1866 stehen blieb. Nirgend scheint man das genauer zu<lb/> wissen wie in Ungarn, wo man den Friedenswünschen der Wiener Negierung<lb/> auch neuerdings wieder die richtige Auslegung gegeben hat. „Noch haben wir<lb/> den Frieden nöthig."</p><lb/> <p xml:id="ID_539" next="#ID_540"> Seit dem Schluß des ungarischen Landtags und jener leidenschaftlichen<lb/> Debatten über den Entwurf zur Umgestaltung der Rechtspflege, welche die<lb/> Stellung des Justizministers Hvrvath zu erschüttern Miene machten, stehen die<lb/> Vorgänge in den slavischen Ländern des Kaiserstaats wieder im Mittelpunkt<lb/> der Interessen. Die vielbesprochene Angelegenheit des Bischofs von Linz<lb/> hat durch eine mit der Verurtheilung beinahe gleichzeitige Begnadigung die¬<lb/> ses Prälaten unerwartet raschen Abschluß gefunden und von den Verhand¬<lb/> lungen der Delegationen weiß man wenig mehr, als daß das um 6—7 Mill.<lb/> Gulden erhöhte Kriegsbudget den wichtigsten Punkt derselben bilden wird.<lb/> Wenn es wahr ist, daß die Ausschüsse der beiden parlamentarischen Körper<lb/> die Erhöhung der Osfiziersgehalte und die Verpflegungssummen ihrem ganzen<lb/> Umfange nach zu bewilligen entschlossen sind, so ist der übrig bleibende<lb/> Spielraum für Streichungen ein verschwindend geringer und das auf vier<lb/> Millionen berechnete Deficit für 1870 unvermeidlich. — Mindestens in einem<lb/> großen Theil der Monarchie wird Fragen dieser Art aber ebenso gleichgiltig<lb/> zugesehen, wie allen übrigen Dingen, welche das Interesse des Gesammtstaats<lb/> berühren; namentlich in den von Slaven bewohnten Grenzländern werden<lb/> die nationalen Händel und Eifersüchteleien allen übrigen Rücksichten vorgesetzt.<lb/> In Böhmen versucht man es, die utraquistischen Traditionen des Czechen-<lb/> thums durch eine Gedächtnißfeier zu Ehren Johann Huß's aufzuwärmen, ein<lb/> Bestreben, dem der russische Panslavismus mit besonderer Befriedigung zu¬<lb/> sieht, weil ihm die „Entkatholisirung" des czechischen Königreichs eine der<lb/> wesentlichsten Bedingungen zur Herstellung eines wahrhaft slavischen Pro¬<lb/> gramms bedeutet. In Galizien hat die Bestattung der Gebeine Kasimirs<lb/> des Großen eine ungewöhnliche Erregung der polnischen Gemüther hervor¬<lb/> gerufen, natürlich aber zu gleicher Zeit den Polenhaß der Ruthenen unter<lb/> die Waffen gerufen. Vergebens müht die von dem Schwärmer Smolka ge¬<lb/> führte polnische Demokratie sich ab, eine Verständigung mit den russischen<lb/> Stimmführern zu bewirken — in der slavischen Welt sind nationale und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
ten. Die stillen Wünsche des Reichskanzlers für das Zustandekommen des
Südbundes, die in der neuesten Sammlung diplomatischer Actenstücke ausdrücklich
zugestanden werden und die k. k. Beurtheilung der belgisch-französischen Wechsel¬
beziehungen haben zum Ueberfluß bestätigt, was unbefangene Zuschauer der
neuesten östreichischen Aera längst wußten: daß des Grafen Beust sogenannte
liberale innere Politik nur Mittel zum Zweck ist und daß Oestreich die erste
sich ihm darbietende Gelegenheit benutzen wird, um genau da anzuknüpfen,
wo es im Jahre 1866 stehen blieb. Nirgend scheint man das genauer zu
wissen wie in Ungarn, wo man den Friedenswünschen der Wiener Negierung
auch neuerdings wieder die richtige Auslegung gegeben hat. „Noch haben wir
den Frieden nöthig."
Seit dem Schluß des ungarischen Landtags und jener leidenschaftlichen
Debatten über den Entwurf zur Umgestaltung der Rechtspflege, welche die
Stellung des Justizministers Hvrvath zu erschüttern Miene machten, stehen die
Vorgänge in den slavischen Ländern des Kaiserstaats wieder im Mittelpunkt
der Interessen. Die vielbesprochene Angelegenheit des Bischofs von Linz
hat durch eine mit der Verurtheilung beinahe gleichzeitige Begnadigung die¬
ses Prälaten unerwartet raschen Abschluß gefunden und von den Verhand¬
lungen der Delegationen weiß man wenig mehr, als daß das um 6—7 Mill.
Gulden erhöhte Kriegsbudget den wichtigsten Punkt derselben bilden wird.
Wenn es wahr ist, daß die Ausschüsse der beiden parlamentarischen Körper
die Erhöhung der Osfiziersgehalte und die Verpflegungssummen ihrem ganzen
Umfange nach zu bewilligen entschlossen sind, so ist der übrig bleibende
Spielraum für Streichungen ein verschwindend geringer und das auf vier
Millionen berechnete Deficit für 1870 unvermeidlich. — Mindestens in einem
großen Theil der Monarchie wird Fragen dieser Art aber ebenso gleichgiltig
zugesehen, wie allen übrigen Dingen, welche das Interesse des Gesammtstaats
berühren; namentlich in den von Slaven bewohnten Grenzländern werden
die nationalen Händel und Eifersüchteleien allen übrigen Rücksichten vorgesetzt.
In Böhmen versucht man es, die utraquistischen Traditionen des Czechen-
thums durch eine Gedächtnißfeier zu Ehren Johann Huß's aufzuwärmen, ein
Bestreben, dem der russische Panslavismus mit besonderer Befriedigung zu¬
sieht, weil ihm die „Entkatholisirung" des czechischen Königreichs eine der
wesentlichsten Bedingungen zur Herstellung eines wahrhaft slavischen Pro¬
gramms bedeutet. In Galizien hat die Bestattung der Gebeine Kasimirs
des Großen eine ungewöhnliche Erregung der polnischen Gemüther hervor¬
gerufen, natürlich aber zu gleicher Zeit den Polenhaß der Ruthenen unter
die Waffen gerufen. Vergebens müht die von dem Schwärmer Smolka ge¬
führte polnische Demokratie sich ab, eine Verständigung mit den russischen
Stimmführern zu bewirken — in der slavischen Welt sind nationale und
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