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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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ähnliche Vorrechte zu übertragen, wie sie der Stadt Hamburg bezüglich
einer in ihr zu gründenden Hochschule zukämen. Aber es macht doch einen
höchst unerquicklichen Eindruck, die meisten deutschen Hochschulen von den
Einwohnern ihres Sitzes bisher nur als Objecte bürgerlicher Nahrung, gleich-
sam als wissenschaftliche Garnisonen angesehen zu wissen.




Die Lage in Galyien.
I.

Von den slavischen Ländern Oestreichs hat in den letzten Jahren Böh¬
men die öffentliche Aufmerksamkeit am lebhaftesten beschäftigt. Daß es hier
Deutsche sind, welche mit dem slavischen Elemente im Kampfe liegen, daß
diese Deutschen, ungleich ihren übrigen unter Fremde versprengten Stammes¬
genossen an Energie und Thatkraft hinter den Gegnern zurückstehen und trotz
aller gouvernementalen Unterstützung in eine secundäre Rolle gedrängt wer-
den, das hat wenigstens in Deutschland dazu beigetragen, gerade dieses
östreichische Kronland in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu
drängen. Namentlich die czechische Pilgerfahrt nach Moskau schien einen
handgreiflichen Beleg für die panslavistiichen Aspirationen des östreichischen
Slaventhums zu liefern und Befürchtungen vor dem Ueberhandnehmen russi¬
scher Einflüsse in Oestreich zu nähren. Dazu kam, daß Böhmen als Haupt¬
träger der föderalistischen Partei in dem inneren Staatsleben des Kaiserstaats
eine beträchtliche Rolle spielte und für den gefährlichsten Gegner jener deutschen
und liberalen Partei galt, welche seit nunmehr anderthalb Jahren in Wien
das Wort führt oder zu führen scheint.

Die Bedeutung Böhmens für die Entwickelung der östreichischen Dinge
kann nicht geleugnet werden. Aber sie wird sicher vielfach überschätzt. Schon
ein Blick auf die Karte beweist, daß dieses Land von den eigentlichen Cen¬
tren des Slaventhums zu weit abliegt, als daß es jemals als Stützpunkt
einer panslavistischen Gefahr in Betracht kommen könnte. Wenn das böhmisch,
deutsche Element auch an Rührigkeit hinter dem czechischen zurücksteht, so
bieten doch schon die gewichtigen materiellen Interessen, an die dasselbe ge¬
bunden ist, gewisse Bürgschaft darüber, daß die Deutschen in der Stunde
ernster Gefahr auf dem Platze sein und bei der Entscheidung mitsprechen
werden. Dazu kommt, daß die gegenwärtig an der Moldau maßgebende
Richtung, die jungczechische von jenem Spiel mit panslavistischen Utopien,
welches die Palazky und Rieger im Sommer 1867 aufnahmen. Nichts wissen


ähnliche Vorrechte zu übertragen, wie sie der Stadt Hamburg bezüglich
einer in ihr zu gründenden Hochschule zukämen. Aber es macht doch einen
höchst unerquicklichen Eindruck, die meisten deutschen Hochschulen von den
Einwohnern ihres Sitzes bisher nur als Objecte bürgerlicher Nahrung, gleich-
sam als wissenschaftliche Garnisonen angesehen zu wissen.




Die Lage in Galyien.
I.

Von den slavischen Ländern Oestreichs hat in den letzten Jahren Böh¬
men die öffentliche Aufmerksamkeit am lebhaftesten beschäftigt. Daß es hier
Deutsche sind, welche mit dem slavischen Elemente im Kampfe liegen, daß
diese Deutschen, ungleich ihren übrigen unter Fremde versprengten Stammes¬
genossen an Energie und Thatkraft hinter den Gegnern zurückstehen und trotz
aller gouvernementalen Unterstützung in eine secundäre Rolle gedrängt wer-
den, das hat wenigstens in Deutschland dazu beigetragen, gerade dieses
östreichische Kronland in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu
drängen. Namentlich die czechische Pilgerfahrt nach Moskau schien einen
handgreiflichen Beleg für die panslavistiichen Aspirationen des östreichischen
Slaventhums zu liefern und Befürchtungen vor dem Ueberhandnehmen russi¬
scher Einflüsse in Oestreich zu nähren. Dazu kam, daß Böhmen als Haupt¬
träger der föderalistischen Partei in dem inneren Staatsleben des Kaiserstaats
eine beträchtliche Rolle spielte und für den gefährlichsten Gegner jener deutschen
und liberalen Partei galt, welche seit nunmehr anderthalb Jahren in Wien
das Wort führt oder zu führen scheint.

Die Bedeutung Böhmens für die Entwickelung der östreichischen Dinge
kann nicht geleugnet werden. Aber sie wird sicher vielfach überschätzt. Schon
ein Blick auf die Karte beweist, daß dieses Land von den eigentlichen Cen¬
tren des Slaventhums zu weit abliegt, als daß es jemals als Stützpunkt
einer panslavistischen Gefahr in Betracht kommen könnte. Wenn das böhmisch,
deutsche Element auch an Rührigkeit hinter dem czechischen zurücksteht, so
bieten doch schon die gewichtigen materiellen Interessen, an die dasselbe ge¬
bunden ist, gewisse Bürgschaft darüber, daß die Deutschen in der Stunde
ernster Gefahr auf dem Platze sein und bei der Entscheidung mitsprechen
werden. Dazu kommt, daß die gegenwärtig an der Moldau maßgebende
Richtung, die jungczechische von jenem Spiel mit panslavistischen Utopien,
welches die Palazky und Rieger im Sommer 1867 aufnahmen. Nichts wissen


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[0150] ähnliche Vorrechte zu übertragen, wie sie der Stadt Hamburg bezüglich einer in ihr zu gründenden Hochschule zukämen. Aber es macht doch einen höchst unerquicklichen Eindruck, die meisten deutschen Hochschulen von den Einwohnern ihres Sitzes bisher nur als Objecte bürgerlicher Nahrung, gleich- sam als wissenschaftliche Garnisonen angesehen zu wissen. Die Lage in Galyien. I. Von den slavischen Ländern Oestreichs hat in den letzten Jahren Böh¬ men die öffentliche Aufmerksamkeit am lebhaftesten beschäftigt. Daß es hier Deutsche sind, welche mit dem slavischen Elemente im Kampfe liegen, daß diese Deutschen, ungleich ihren übrigen unter Fremde versprengten Stammes¬ genossen an Energie und Thatkraft hinter den Gegnern zurückstehen und trotz aller gouvernementalen Unterstützung in eine secundäre Rolle gedrängt wer- den, das hat wenigstens in Deutschland dazu beigetragen, gerade dieses östreichische Kronland in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu drängen. Namentlich die czechische Pilgerfahrt nach Moskau schien einen handgreiflichen Beleg für die panslavistiichen Aspirationen des östreichischen Slaventhums zu liefern und Befürchtungen vor dem Ueberhandnehmen russi¬ scher Einflüsse in Oestreich zu nähren. Dazu kam, daß Böhmen als Haupt¬ träger der föderalistischen Partei in dem inneren Staatsleben des Kaiserstaats eine beträchtliche Rolle spielte und für den gefährlichsten Gegner jener deutschen und liberalen Partei galt, welche seit nunmehr anderthalb Jahren in Wien das Wort führt oder zu führen scheint. Die Bedeutung Böhmens für die Entwickelung der östreichischen Dinge kann nicht geleugnet werden. Aber sie wird sicher vielfach überschätzt. Schon ein Blick auf die Karte beweist, daß dieses Land von den eigentlichen Cen¬ tren des Slaventhums zu weit abliegt, als daß es jemals als Stützpunkt einer panslavistischen Gefahr in Betracht kommen könnte. Wenn das böhmisch, deutsche Element auch an Rührigkeit hinter dem czechischen zurücksteht, so bieten doch schon die gewichtigen materiellen Interessen, an die dasselbe ge¬ bunden ist, gewisse Bürgschaft darüber, daß die Deutschen in der Stunde ernster Gefahr auf dem Platze sein und bei der Entscheidung mitsprechen werden. Dazu kommt, daß die gegenwärtig an der Moldau maßgebende Richtung, die jungczechische von jenem Spiel mit panslavistischen Utopien, welches die Palazky und Rieger im Sommer 1867 aufnahmen. Nichts wissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/150>, abgerufen am 22.07.2024.