Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.dadurch gebrochen und das Volk könnte diese oder die Regierung oder beide Wir ersehen aus dem Bisherigen, daß ein verbreitetes Gefühl, man dadurch gebrochen und das Volk könnte diese oder die Regierung oder beide Wir ersehen aus dem Bisherigen, daß ein verbreitetes Gefühl, man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121361"/> <p xml:id="ID_449" prev="#ID_448"> dadurch gebrochen und das Volk könnte diese oder die Regierung oder beide<lb/> Behörden zugleich abberufen, so wie jede von ihnen das Recht hätte, im<lb/> Confliktfalle ans Volk zu appelliren und dieses zwischen ihnen entscheiden zu<lb/> lassen. Um dem Uebelstande abzuhelfen, daß bei directer Wahl der Regie¬<lb/> rung durch das Volk dieses keinen guten Verwaltungsbeamten wählen könnte,<lb/> weil es dieselben nicht zu kennen in der Lage sei, müßte dann ferner die<lb/> eigentliche Regierung von der Verwaltung getrennt und diese letztere Be¬<lb/> amten von längerer Amtsdauer übertragen werden. So könnte sich die Re¬<lb/> gierung ganz der eigentlichen Regierungsthätigkeit widmen, ja sie könnte,<lb/> ohne daß der regelmäßige Geschäftsgang darunter litte, öfter gewechselt wer¬<lb/> den, so oft das souveraine Volk eine solche Aenderung für nöthig hielte.<lb/> Bereits eingeführt ist dieses System in den Cantonen Genf und Baselland<lb/> und ganz neuerlich in Thurgau und Zürich. Herr Hilty verlangt dagegen<lb/> statt dieser Vorschläge, die er einer sehr scharfen Kritik unterzieht, die Ver¬<lb/> tretung der Minderheiten und das Platesormsystem, sowie noch häufigere<lb/> periodische Wahlen, als schon jetzt bestehen. Die directe Wahl der Regierung<lb/> durch das Volk würde nämlich nach ihm factisch die Organisation der Re¬<lb/> gierung auf der Basis der konstitutionellen Monarchie herbeiführen, der Re¬<lb/> gierungsrath würde gegenüber den Verwaltungsbeamten an die Stelle des<lb/> Fürsten treten, und was die beliebige Abberufung der Regierung betrifft, so<lb/> dürfte es gerade dann, wenn es am dringendsten geboten schiene, äußerst<lb/> schwer halten, dieses Recht auszuüben u. s. w.</p><lb/> <p xml:id="ID_450" next="#ID_451"> Wir ersehen aus dem Bisherigen, daß ein verbreitetes Gefühl, man<lb/> kann sagen der Volksinstinkt die Richtung angibt, in der die Reformen ge¬<lb/> sucht werden müssen, deren unsere Demokraten bedürfen. Dieses Ziel ist die<lb/> größere und wahrere Theilnahme des Volks an seinen öffentlichen Angelegen¬<lb/> heiten. Nicht das Ziel, sondern nur die Wege, die zu demselben hinführen<lb/> sollen, sind falsch. Das Referendum, das Veto, die Initiative sind Täu¬<lb/> schungen, Vorspiegelungen. Die einzig wahren Reformen bestehen nach<lb/> Tallichet vielmehr in der Einführung des ächten und wahren Repräsen¬<lb/> tativsystems. Dieses haben wir in der Schweiz nie gehabt. Es handelt<lb/> sich somit um eine gründliche Reform der Principien unserer öffentlichen In¬<lb/> stitutionen. Die Schwächen dieser letzteren sind von den drei oft genannten<lb/> Autoritäten anerkannt. Sie sind, um es kurz zu sagen, in Duodez die näm¬<lb/> lichen, wie die der „kaiserlichen Demokratie" in Frankreich. Das Volk ist nur<lb/> zum Scheine souverain, es wählt seine Vertreter, aber nicht zwanzig Bürger<lb/> können in der Regel diejenigen Männer wählen, denen sie wirklich ihr Ver¬<lb/> trauen schenken, die ihre Anschauungen theilen und ihren Wünschen Worte<lb/> zu leihen vermöchten. In die Hand solcher Vertreter legt das Volk seine<lb/> Rechte für 2, 3, 4 Jahre vollständig nieder. Und dies nennt man Demo-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
dadurch gebrochen und das Volk könnte diese oder die Regierung oder beide
Behörden zugleich abberufen, so wie jede von ihnen das Recht hätte, im
Confliktfalle ans Volk zu appelliren und dieses zwischen ihnen entscheiden zu
lassen. Um dem Uebelstande abzuhelfen, daß bei directer Wahl der Regie¬
rung durch das Volk dieses keinen guten Verwaltungsbeamten wählen könnte,
weil es dieselben nicht zu kennen in der Lage sei, müßte dann ferner die
eigentliche Regierung von der Verwaltung getrennt und diese letztere Be¬
amten von längerer Amtsdauer übertragen werden. So könnte sich die Re¬
gierung ganz der eigentlichen Regierungsthätigkeit widmen, ja sie könnte,
ohne daß der regelmäßige Geschäftsgang darunter litte, öfter gewechselt wer¬
den, so oft das souveraine Volk eine solche Aenderung für nöthig hielte.
Bereits eingeführt ist dieses System in den Cantonen Genf und Baselland
und ganz neuerlich in Thurgau und Zürich. Herr Hilty verlangt dagegen
statt dieser Vorschläge, die er einer sehr scharfen Kritik unterzieht, die Ver¬
tretung der Minderheiten und das Platesormsystem, sowie noch häufigere
periodische Wahlen, als schon jetzt bestehen. Die directe Wahl der Regierung
durch das Volk würde nämlich nach ihm factisch die Organisation der Re¬
gierung auf der Basis der konstitutionellen Monarchie herbeiführen, der Re¬
gierungsrath würde gegenüber den Verwaltungsbeamten an die Stelle des
Fürsten treten, und was die beliebige Abberufung der Regierung betrifft, so
dürfte es gerade dann, wenn es am dringendsten geboten schiene, äußerst
schwer halten, dieses Recht auszuüben u. s. w.
Wir ersehen aus dem Bisherigen, daß ein verbreitetes Gefühl, man
kann sagen der Volksinstinkt die Richtung angibt, in der die Reformen ge¬
sucht werden müssen, deren unsere Demokraten bedürfen. Dieses Ziel ist die
größere und wahrere Theilnahme des Volks an seinen öffentlichen Angelegen¬
heiten. Nicht das Ziel, sondern nur die Wege, die zu demselben hinführen
sollen, sind falsch. Das Referendum, das Veto, die Initiative sind Täu¬
schungen, Vorspiegelungen. Die einzig wahren Reformen bestehen nach
Tallichet vielmehr in der Einführung des ächten und wahren Repräsen¬
tativsystems. Dieses haben wir in der Schweiz nie gehabt. Es handelt
sich somit um eine gründliche Reform der Principien unserer öffentlichen In¬
stitutionen. Die Schwächen dieser letzteren sind von den drei oft genannten
Autoritäten anerkannt. Sie sind, um es kurz zu sagen, in Duodez die näm¬
lichen, wie die der „kaiserlichen Demokratie" in Frankreich. Das Volk ist nur
zum Scheine souverain, es wählt seine Vertreter, aber nicht zwanzig Bürger
können in der Regel diejenigen Männer wählen, denen sie wirklich ihr Ver¬
trauen schenken, die ihre Anschauungen theilen und ihren Wünschen Worte
zu leihen vermöchten. In die Hand solcher Vertreter legt das Volk seine
Rechte für 2, 3, 4 Jahre vollständig nieder. Und dies nennt man Demo-
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